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Vice Blog

Zusammengefegtes Fleisch, Hautkleber und die Trauerrede im Handschuhfach

Bestatter ist so ziemlich der traurigste Beruf den ich mir vorstellen konnte, auch wenn mir „ Six Feet Under" und diverse Tim Burton-Charaktere was anderes erzählen wollten, es blieb doch immer etwas gruselig.

Bestatter ist so ziemlich der traurigste Beruf den ich mir vorstellen konnte, auch wenn mir „ Six Feet Under" und diverse Tim Burton-Charaktere was anderes erzählen wollten, es blieb doch immer etwas gruselig. Seit einigen Jahren ist Bestatter, beziehungsweise „Bestattungsfachkraft" ein Ausbildungsberuf ist, nahm ich mal den Beruf des Bestatters an, und habe einen netten Nachmittag mit Herrn Hoffman, einer Bestattungsfachkraft mit ordentlich Humor verbracht.Er erzählte mir von 200 Gramm, zusammengekratzten Fleisch, vorgefertigte Trauerreden im Handschuhfach, Alditüten voller Geld, und an Leichen festgeklebte Finger. Seitdem bin ich voll und ganz davon überzeugt, dass Bestatter ein ziemlich abgefahrener Beruf ist, und das meine ich nicht auf diese nervige „Emiliy The Strange"- Pseudo Grufti-Art

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Vice: Guten Tag Herr Hoffmann, Bestatter ist ja jetzt nicht sooo der Traumberuf, wie kamen sie denn darauf? Hatten sie schon immer irgendwelche Grufti-Ambitionen?

Herr Hoffmann: Nee, ich bin da rein geboren. Ich bin hier schon als kleiner Steppke rumgelaufen bei meinem Vater, habe dann aber auch erst eine Lehre zum Mechaniker gemacht, bin dann aber doch ins Familiengeschäft gegangen.

Für sie ist das also ein Job wie jeder beliebige andere?

Jo.

Welche Eigenschaften sollte man denn als junger Mensch mitbringen, wenn man sich dazu entschließt eine Ausbildung zum Bestatter zu machen?

In diesem Beruf ist vieles Erfahrung, das Meiste kann man nur mit der Zeit lernen. Wir hatten hier mal Eine , die ständig mit den Hinterbliebenen mit geheult hat. Das geht nicht, da muss man schon Abstand zu haben. Oder auch organisatorisches Zeug, als eine meiner Mitarbeiterinnen schon 2-3 Jahre bei uns war, dachte ich, ich könnte mal in aller Ruhe in den Urlaub fahren. Tja, kaum saß ich im Flieger hat die Botschaft von was weiß ich wo angerufen, und die hatten da jetzt ne´Leiche liegen die nach Jakarta überführt werden musste. Das hätte die auch noch nach ein paar Jahren im Betrieb alles nicht alleine hingekriegt. Man muss eigentlich alles Mal gesehen haben.

Sie scheinen ja sehr locker und lustig. Sind sie so auch mit den Hinterbliebenen, wie gehen sie denn eigentlich mit denen um?

Da gibt es ja große Unterschiede. Wenn einer seinen Ehepartner verloren hat, sage ich denen dann Sachen wie „Sie müssen jetzt zu dem und dem Amt und dort ihren Partner abmelden." Man muss denen was zu tun geben. Ein bisschen menschliche Betreuung, und Ablenkung ist da ganz gut. Außerdem bei neunzig jährigen Omis ist auch keiner mehr so richtig geschockt wenn die verstirbt. Aber meinen Sohn, der ist jetzt zwanzig, den könnte ich das nicht machen lassen. Zu der Betreuung von Angehörigen braucht man einfach Lebenserfahrung.

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Sie sind jetzt seit über 30 Jahren in diesem Beruf, was war denn das Verrückteste was Ihnen dabei so passiert ist?

Da gab es alles, ich könnte Bücher darüber schreiben, wenn wir die Akten durchgehen, kann ich Ihnen zu jedem Fall etwas erzählen. Ich habe sogar schon angefangen Kurzgeschichten zu schreiben.

Na, geben sie doch mal ein Beispiel!

Ach, da gibt es Sachen, wie jemanden aus der Wohnung abholen in der so hoch (hält die Hand ungefähr Hüfthoch) Scheiße auf dem Boden lag, oder man geht rein ins Haus und dann hängt da jemand auf dem Dachboden, und dann muss man mal kucken wie man den 90 Kilo Typen die Wendeltreppe runter kriegt.

Ach sie holen die Leichen auch selber ab?

Ja na klar! Herlaufen können sie ja nicht mehr! Das habe ich die ersten 8-10 Jahre fast nur gemacht, da war ich immer Beifahrer beim Leichenwagen. Weil es ja, wie ich gesagt habe so ist, dass man für das persönliche etwas Erfahrung braucht.

Uh, das ist ja sicher manchmal recht fies, was man da so sieht.

Also ich sag mal so, am Aussehen der Menschen kann mich nichts mehr stören. Da hatte ich auch schon alles einmal gehabt. Ein junge dem Handgranate in der Hand explodiert ist, Autounfälle, ach und wir hatten auch mal einen der ist vor den Zug gesprungen da hatten wir vielleicht noch 200g zusammenkratzen können, sah alles aus wie einmal durch den Mixer gedreht. Die größten Stücke die wir noch finden konnten war so ein Stück (hält die Hände ca. 15 cm auseinander) Oberschenkel und ein Teil vom Kiefer, das sah aus wie…

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… Danke für diese umfassender Erläuterung, und sowas geht ihnen dann nicht nahe, also gab es da nichts was selbst sie harten Brocken mal weich gemacht hat?

Als ich meine Mutter beerdigt habe, aber auch da habe ich dann ganz abgeschaltet. Ich bin mit meinem Vater ins Krankenhaus, habe sie hochgehoben und in den Sarg gelegt. Ich habe da auch alles selber gemacht. Außer den Sarg in die Erde lassen, das ging nicht. Aber abgesehen davon, habe ich mir die ganze Zeit gedacht: „OK, das ist nur dein Job, das hier machst du jeden Tag.". Ich habe komplett abgeschaltet, bis zur Trauerfeier war das für mich eine fremde Frau.

Konnten Sie denn dann normal trauern, oder sind Sie dann zu abgestumpft für das Ganze?

Nein, nein. Ich bin dann auch zu Hause ganz normal traurig. Ich schalte nur bei der Arbeit ab. Obwohl es auch da schon Sachen gab bei denen ich mich zusammenreißen musste. Wir hatten mal zwei Kinder, von denen ich eines auch kannte, die ermordet worden sind, das war dann schon sehr hart, überhaupt Todesfälle von Kindern gehen einem sehr nahe. Bei so alten Menschen kann man das einfach hinnehmen, aber bei Kindern sollte der Tod noch nicht sein.

Machen Sie denn auch die Trauerfeiern selber?

Also wir organisieren die Feier und vermitteln zwischen Friedhofbehörde, Kirchengemeinde, Sekten und was auch immer die Leute da so haben. Die Stellen dann meist einen Redner. Ich habe aber auch eine Trauerrede im Auto für Notfälle, falls mal was auf der Autobahn passiert. Dann müsste ich mir nur schnell ein paar Sachen erzählen lassen, wie lange verheiratet, Namen der Kinder und so weiter. Habe ich noch nie gebrauchen müssen, aber eben für den Notfall immer im Auto. Manche Familien sagen dann „Ach, wir haben hier jemanden der Bruder macht die Rede." Davon rate ich ab, die stehen nämlich dann da und kriegen kein Wort raus.

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Aber wie kann es sich denn eine völlig fremde Person anmaßen über das Leben eines Anderen zu erzählen, ist das nicht immer sehr pauschalisiert?

Es gibt ja Menschen die sind vom Beruf her professionelle Redner- die machen das schon sehr gut. Allerdings habe ich dazu auch eine Geschichte. Wir hatten mal eine Trauerfeier da waren so Typen aus einer Kneipe hier aus der Gegend, so eine Rocker Kneipe, da standen auf dem Friedhof zusammengezählt so bestimmt 200 Jahre Knast. Aber der eine hat eine so wundervolle Rede gehalten. Den hätte ich sofort als Redner eingestellt bei mir.

Man denkt es ja zunächst gar nicht, aber wenn ich Sie so reden höre, hört es sich fast so an, als sei Bestatter ein Beruf bei dem man unheimliche viele nette Leute kennenlernt.

Ja, ach ganz verrückte Sachen gibt es da. Hier ist mal immer so ein Penner rumgeschlichen, irgendwann kam der dann auch in den Laden- danach konnte ich Stühle wegschmeißen- der war komplett vollgepisst, ich habe ihn dann immer gefragt wann er kommt und vorher die Gartenstühle hingestellt, die man abwischen kann. Jedenfalls wollte er seinen Freund beerdigen lassen. Wir haben dann ein bisschen verhandelt und was ausgemacht. Ich dachte ja der ist verrückt und macht das eh alles nicht und habe ihn dann gefragt wie und wann er das Ganze denn bezahlen würde, da nimmt er eine seiner Aldi-Tüten auf den Tisch, macht sie auf und sagt zu mir „Nehmen sie sich was sie für eine anständige Beerdigung brauchen.". Diese Tüte war voll mit Geldscheinen! Unglaublich, dem Typen haben mehrere Häuser hier in der Gegend gehört, und der läuft rum wie ein Penner, pisst sich zu, und hat zwei Aldi Tüten voller Geld. Wir haben die Beerdigung noch gemacht, und dann zwei Monate später wurde der mit allen Taschen voller Geld, von einem LKW überfahren, das sah auch vielleicht aus…

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…Bitte, Herr Hoffmann nicht schon wieder. Aber wo Sie es gerade schon angesprochen haben. So eine Beerdigung kostet ja ganz ordentlich was.

Früher haben ja die Krankenkassen was dazu gezahlt, das wurde erst deutlich heruntergesetzt und dann ganz abgeschafft. Jetzt gibt es so sozial Beerdigungen, die haben aber mit beerdigen nicht viel zu tun, das sind schlicht und einfach Entsorgungen. Aber überlegen sie sich das doch mal, für einen doofen Wandschrank laufen die Leute durch 25 Möbelhäuser und geben massenhaft Kohle dafür aus, und für die Beerdigung wird dann das aller Billigste genommen.

Gibt es denn auch Leute die hierherkommen und mal probeliegen wollen, wie beim Autokauf das Probefahren?

Nicht so direkt, aber hier kam mal ein Typ vielleicht gerade mal 40 Jahre alt rein. Der war vielleicht ein Typ, mindestens zwei Meter Groß und ganz muskulös. Der hat sich einen Sarg ausgesucht und noch eine Sterbeversicherung bei mir abgeschlossen. Der Typ war Aids krank und hat sich so langsam schon einmal auf seinen Tot vorbereitet. Ein Jahr später haben wir ihn dann abgeholt da war er nur noch Haut und Knochen.

Gibt es denn Trends bei Särgen und dessen Ausstattungen?

Nee, also Trends gibt es keine, es gibt hier und da mal einen Sonderwunsch, aber sonst sind die eigentlich immer gleich. Billiger sind sie geworden, weil die Leute nicht mehr so viel ausgeben wollen, aber im Prinzip sind die nicht so unterschiedlich. Klar gibt es Modelle wie hier den weißen, der wird oft genommen wenn junge Menschen versterben. Letztens wurde darin ein rumänisches Mädchen im Brautkleid begraben. Für deren Beerdigung haben die Eltern mit Sicherheit 15.000 Euro ausgegeben.

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Eine der momentanen Luxusausführungen im geschäft und sehr beliebt bei Jüngeren.

Man kennt das ja aus Filmen und Serien wie „My Girl" oder „Six Feet Under", dass die Leichen dann nochmal aufgehübscht werden, erledigen sie diese Aufgabe auch?

Also wenn man die schminkt sieht das total bekloppt aus. Wir wissen ja auch oft nicht wie die vorher aussahen, dann könnten ganz schöne faux-pas unterlaufen. Man legt die meist schon so gut wie fertig hin, bevor die Leichenstarre eintritt. Blöd ist es nur wenn sie vergessen das Kinn hochzubinden. Dann liegt der Patient so (Herr Hoffmann reist seinen Mund auf wie bei der Entnahme der Weisheitszähne) da. Das sieht ganz doof aus. Da gibt es aber auch so ein Mittel, das heißt Lippofix, das ist so ein Hautkleber, damit muss man vorsichtig umgehen, sonst klebt man an der Person fest, und das ist dann auch wieder blöd, passiert aber jedem mal. Allerdings verwende ich das nicht gerne, da damit zwar die Lippen zusammenkleben, aber der Kiefer dann doch wieder nach unten rutscht, und das dann noch lächerlicher aussieht. Wir nehmen in solchen Fällen immer so eine Kieferstütze die unter das Kinn geklemmt wird. Eine weitere Möglichkeit ist den Mund von innen zusammen zu nähen, das machen sogenannte Thanatologen, da wird dann hier in den Kiefer eine Nadel (Herr Hoffmann macht erneut Anstalten es mir an seinem eigenen Kiefer zu demonstrieren…) eingestochen und dann unten durch…

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… ehm, ja ich glaube ich habe eine Vorstellung wie das geht! Wollen die Leute denn ihre Verstorbenen im offenen Sarg sehen?

So wie bei den Amis? Nee, das ist hier sehr unüblich, geht natürlich, aber ist auch immer unschön. Ein Toter sieht nun mal tot aus, und das ist nicht schön. Und riechen tut es ja auch, gerade bei so einem Wetter. Lassen sie mal ne´Scheibe Wurst in der Sonne liegen, dass riecht dann auch schon nach 1-2 Stunden ein bisschen eklig. Bei den Amis ist das so, da werden die Leichen ja regelrecht restauriert, die bezahlen hunderte Dollars an Thanatologen um selbst ein Verkehrsunfall Opfer schick aussehen zu lassen. Hier ist das unüblich. Wäre auch wieder sehr teuer.

Ja, das habe ich mir bei ihrer Erzählung auch schon gedacht. Beerdigungen scheinen ganz schön was zu kosten.

Ja, also so unser Angebot liegt bei 899 Euro, da kommen aber noch die Friedhofsgebühren dazu und sowas.

Gut Herr Hoffmann, ich danke ihnen herzlichst für das Gespräch, und freue mich, dass Sie mein Bestatter Klischee wiederlegen konnten, so offen und freundlich wie sie sind.

Ja, ja bitte. Auf Wiedersehen

Ja, Auf.. ehm. Machen sie es gut!

Bei uns sagt keiner gerne Auf Wiedersehen

Kanns mir leider gerade auch nicht leisten

Haha, Tschüß, passen sie auf sich auf!

Der Verband der Thanatologen hat übrigens eine sehr verstörend nüchterne Website, auf der man sich informieren kann wann und wo Kosmetik Seminare mit Titeln wie „Perfect Finish" oder „Einbalsamierung Grundlagen" stattfinden. Und ganz Perverse können sich als Mitglied einloggen, und sich die hübsch gemachten Leichen anderen Thanatologen anschauen. Mir persönlich haben allerdings Herr Hoffmanns lebhaften Schilderungen gereicht um mir für mindestens zwei bis drei Stunden den Appetit zu verderben, wäre ich nicht eh schon Vegetarierin, hätte mir Herr Hoffmanns Wurstvergleich, die Lust am Fleisch ordentlich versaut, dennoch würde ich mich sehr darüber freuen wenn er eines Tages tatsächlich sein Buch mit den Kurzgeschichten herausbringt.