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Mode

Mode und Extremismus in Islamabad

Wir waren vor Ort, wurden von der gezeigten Mode absolut hinweggefegt und dafür bedurfte es noch nicht einmal einer Bombe.

(Von links nach rechts: harter Typ aus Pakistan, VICE-Korrespondentin Charlet Duboc, harter Typ aus Pakistan, harter Typ aus Pakistan, VICE-Regisseur Will Fairman)

Im Januar sind unsere Freunde Will und Charlet nach Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, gereist, um über die zweite Fashion Week des Landes zu berichten. Der daraus resultierende Film war so gut, dass wir eine ganze Sendung daraus gemacht haben: Fashion Week Internationale. Das soll weniger Paris und Mailand sein, dafür mehr Terrorismus und Schönheitsoperationen. Sie waren bei der Full-Figured Fashion Week in New York, um sich vollschlanke Models anzusehen, in Medellin bei der Moda Para el Mundo, wo die Mädchen kurvenreich und kosmetisch bearbeitet sind, und in Las Vegas zur International Lingerie Week, auf der jeder eine Waffe dabei hatte.

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Fashion Week Internationale feiert kommende Woche Premiere, also haben wir uns mit Will getroffen, um über die erste Folge, Pakistan Fashion Week, zu sprechen.

VICE: Hi Will! Also wo kommt die Idee für diese Sendung her?

Will: Es war eigentlich Charlets Idee. Irgendwie bekam sie ein Mail bezüglich der Islamabad Fashion Week und sprach mit Andy [Capper, Global Editor von VICE] darüber. Sie erklärte es ihm also: „Ich habe diese Idee: Es gibt hunderte unbekannter Fashion Weeks überall auf der Welt, von denen die Leute nichts wissen, und wir haben die Möglichkeit, nach Pakistan zu gehen. Was hältst du davon?“ Danach habe ich eine Mail von Andy bekommen: „Pakistan Fashion Week, willst du dahin? Aber du musst dich sofort entscheiden!“ Und meine erste Reaktion war „Scheiße, ich will absolut nicht nach Pakistan.“

Warum nicht?

Einfach darum. Du kannst nicht einfach alles ignorieren, was du in den Nachrichten siehst. Man kann doch nicht anders, als zu denken: „Ich werde bestimmt mit einem Bein weniger nach Hause kommen.“ Charlet war zuvor noch nie als Host aufgetreten und ich bin noch nie auf einer Fashion Week gewesen. Wir wussten auch nicht, was für ein Format es werden sollte … Aber am Ende dachte ich: „Scheiß drauf, wir machen das.“

Was genau hat dich dazu gebracht, deine Meinung zu ändern?

Ganz ehrlich, es war ein sehr ruhiger Monat und ich hatte Angst, ohne Arbeit dazustehen. Also dachte ich, dass Pakistan zwar nicht ideal war, aber immerhin ein Job. Die Tage vor der Reise wurde ich so nervös, dass ich nichts mehr essen konnte. Sogar als das Taxi schon bestellt war, sagte jede Faser meines Körpers: „Mach das nicht!“ Aber als ich im Flugzeug saß und einige Xanax genommen hatten, schien es besser zu werden. Und als wir dann ankamen, dachte ich: „Scheiß drauf! Jetzt sind wir schon hier, jetzt können wir auch das Beste daraus machen.“

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Was waren deine ersten Gedanken nach der Ankunft?

Wir waren in diesem riesigem, palastartigem Hotel und innerhalb des ersten Tages waren alle Vorurteile, die ich gegenüber diesem Ort hatte, wie weggeblasen. Nichts von dem, wovor ich Angst gehabt hatte, existierte überhaupt. Und alles, von dem ich dachte, dass es so etwas dort nicht gäbe, wurde uns sofort angeboten. Die Organisatoren boten uns Gras und Drinks an. Da liefen Mädchen mit Miniröcken, High Heels und Föhnfrisuren rum. Es war das Gegenteil dessen, was ich erwartet hatte.

Abgesehen von all dem Adrenalin—was macht die Pakistan Fashion Week so interessant, dass du einen Film darüber gedreht hast?

Die Textilindustrie in Pakistan ist einer der größten der Welt. Also gibt es dort eine Menge Brautmode und Mode, die von einheimischen Stämmen inspiriert ist. Außerdem versuchen viele Designer, ihre Spiritualität durch ihre Kleidung zu vermitteln. Als sie Charlet eingekleidet haben, sorgten sie sich darum, dass sie sich beim Tragen der Sachen spirituell fühlte. Sie fragten sie ständig, ob sie Gott spürte.

Haben sie irgendetwas dafür getan, dass sie sich verbundener mit dem Herrn fühlte?

Na ja, sie sagten Dinge wie: „Wenn du deine Augen schließt, deinen Atem anhältst und dann zehn Sekunden lang atmest, wird die Spiritualität durch deine Kleidung in deine Seele gelangen.“ Ich weiß nicht, ob es gewirkt hat, aber sie schienen sich ihrer Sache sehr sicher zu sein.

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Es gab mit Sicherheit auch ein paar westliche Einflüsse hier und da.

Ja. Es gab die traditionelle Seite, aber es wurde auch versucht, westliche Mode zu präsentieren. Da gab es diese eine Show, wo die Typen mit offenem Hemd, rasierter Brust, Sonnenbrille und aufgemalten Tribal-Tattoos herumliefen. Und die Mädchen hatten Hot Pants an. Sie versuchten, sexy zu wirken, aber sie hatten sowas noch nie gemacht. So kam eine merkwürdige Mischung aus westlichen Idealen und der traditionellen pakistanischen Sicht auf Liebe und Romantik heraus. Du konntest die Klamotten nicht nach normalen westlichen Standards bewerten. Es waren eher Prototypen, Experimente der Annäherung an den Westen.

Gab es einen Designer, der irgendwie aus der Menge herausstach?

Da war dieser Typ, Amar Belal. Er war das Aushängeschild der pakistanischen Mode, weil eine seiner Jeans einmal in einer Folge von Sex and the City vorkam. Also redeten alle über ihn. Aber in unseren Augen war es eher wie H&M 1995.

Die guten alten Zeiten. Gibt es auch Käufer aus dem Westen?

Ja, aber größtenteils für die Textilien und ich denke, das war das Entscheidende. Du hast oft gesehen, dass die Kollektionen wahrscheinlich erst einige Wochen vor der Show gemacht worden waren. Sie haben ganz aufrichtig versucht, kreativ und zukunftsorientiert zu sein. Dieses eine Mädchen hat uns das ganze Konzept hinter den bizarren und untragbaren Designs erklärt und sie erzählte uns etwas über Mondrian und Fauvismus. Und dann gab es jemanden, dessen Kollektion auf Schachbrettern basierte. Charlet wurde in ein schwarz-grünes Läuferkostüm aus PVC gesteckt und ich musste ein Outfit anziehen, das einen Springer darstellen sollte. Das war wenigstens witzig und mal etwas anderes, die Typen waren zwar völlig durchgeknallt, aber zumindest war es kreativ.

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Du hast neulich etwas von einem Rapper erzählt, den du getroffen hast.

Ach ja, wir haben diesen jungen Rapper getroffen, der das Patenkind von dem Typen war, der das Event organisiert hat. Er war total darauf versessen, ein Bad Boy zu sein. Er nahm uns mit in sein Studio bei sich zuhause und rappte uns seine ganzen Songs vor, in denen es eigentlich nur darum ging, wie junge Männer ihre Frustration durch Internetpornos abbauen.

Was noch?

An einem Tag wurden wir in das Haus des Veranstalters eingeladen und wir fuhren durch diese unglaublich reiche Vorstadt, mit gigantischen Häusern und vor jedem stand eine ganze Armee bewaffneter Männer. Sobald wir das Haus betraten, kam uns sofort der Geruch von Gras entgegen. Es wirkte alles sehr vertraut; da gab es auch noch so einen unheimlichen Fotografen, der mir ständig Koks anbot. Es war komisch, wie die Mädchen mit einem redeten, anscheinend hatten sie noch nie zuvor mit einem Jungen gesprochen. Sie flirteten sehr heftig, aber nicht auf eine unangenehme Art. Alles, was wir als selbstverständlich erachten, also eine ganz normale Interaktion zwischen Jungs und Mädchen, existiert da drüber nicht.

Waren die Models so dünn wie im Westen?

Es wurde tatsächlich Wert darauf gelegt, dass sie schlank waren. Wir haben gehört, wie ein italienischer Stylist etwas zu einem Model sagte, aber leider haben wir nur das Ende des Unterhaltung mitbekommen. Wir hörten nur: „Hast du gesagt, dass ich fett bin?“ Und er meinte: „Nein, nein, du bist wunderschön. Aber du kannst immer noch schöner sein, wenn du noch schlanker wirst.“ Zu uns sagte er dann: „Das ist halt ein Teil des Geschäfts. Wenn du ein Supermodel sein willst, musst du ein bisschen hungern.“ Wir waren etwas davon überrascht, dass diese sehr westliche Einstellung der Modeindustrie selbst dort schon verbreitet ist.

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Woher stammten die Models?

Sie kamen alle aus der Gegend. Es gab einige Frauen in den Dreißigern, die in Pakistan große Namen waren, aber der Rest waren einfach Leute aus den umliegenden Städten, die das noch nie zuvor gemacht hatten. Einige von ihnen verheimlichten es sogar ihren Eltern, weil sie auf dem Laufsteg nackte Haut zeigen mussten. Die nahmen wirklich große Risiken dabei auf sich.

Und wie waren die Zuschauer? Wer saß in der ersten Reihe?

Es war die Elite der Gesellschaft. Eine Mischung aus Regierungsmitgliedern und eine handvoll Fashion Blogger, meistens waren es Männer, die in der ersten Reihe saßen. Da war dieses eine, super zickige Mädchen, die irgendwie versuchte, sich so wie „traditionelle“ Modejournalisten zu benehmen, und nichts war gut genug für sie. Am Tag nach der ersten großen Show schrieb sie etwas für eine große pakistanische Zeitung mit dem Titel „Pakistan Fashion Weak“. Was für ein mieser Witz.

Aber abgesehen davon liefen da eine Menge Leute von der Regierung rum. Und tatsächlich wurde einer der Teilnehmer drei Wochen später ermordet, da er wohl gegen eine Art Gesetz gegen Blasphemie verstoßen hatte. Das erinnert einen dann daran, dass auch wenn die Leute dort sehr gut beschützt werden, sie trotzdem Dinge tun, die den Rest des Landes ganz schön ankotzen. 99% des Landes hassen Events wie die Fashion Week. Sie sehen es als Angriff auf ihre Werte und ihren Glauben.

Aber ihr selbst hattet keinen Ärger?

Nein, das Hotel war in einem Umkreis von 2 km abgesichert. Ohne dass man fünf mal kontrolliert wurde, kam man da nicht rein: Bombenkontrollen, Spiegel, Spürhunde. Aber selbst auf dem Wochenmarkt in der Gegend hatten wir keine Angst oder das Gefühl, dass Ärger in der Luft lag.

Na das klingt doch gut.

Die erste Folge von Fashion Week Internationale: Pakistan läuft bald auf VICE.COM