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Fotos

Ein Interview mit einer blinden Fotografin

Nur weil sie blind ist, bedeutet das noch lange nicht, dass Flo Fox keine geniale Fotografin sein kann.

Porträt: Gigi Stoll

Flo Fox hat nicht nur einen richtig coolen Namen, sondern auch ein riesiges und sehr besonderes Portfolio. Aufgewachsen in den Straßen New Yorks, wie sie selbst gern sagt, hat sie immer alles fotografiert, was ihr interessant erschien. Zerstörte Häuser, Graffiti an den Wänden, den Bau des World Trade Centers, eine Menge der verrückten Bewohner der Stadt, inklusive ihre Geschlechtsteile. Das ist ziemlich beeindruckend, vor allem wenn man bedenkt, dass sie mit einem blinden Auge geboren wurde und mit 30 das Augenlicht komplett verlor, nachdem sie an Multipler Sklerose erkrankt war. Sie gehörte zu der ultrahippen Bohème, die sich 1970 in Greenwich Village rumtrieb, hatte ihre eigene Talkshow und baute Rampen für Behinderte, während sie selbst in einem Rollstuhl saß. Wir hatten Angst, dass wir irgendwas in unserem Intro vergessen haben könnten, also riefen wir sie an und redeten mit ihr, während sie in ihrem Appartement in Chelsea saß, aus dem man das Empire State Building sehen kann.

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VICE: Hi, Ms. Fox! Wie geht‘s?
Flo Fox: Du solltest mich fragen, was ich gerade mache. Ich bereite zwei Ausstellungen vor, also bin ich gerade am Durchdrehen, bis ich meine Arbeit fertig habe. Die erste Ausstellung wird in der Gallery 307 sein und es wird eine Retrospektive meiner Arbeit darstellen. Nur von meiner Arbeit! Das muss nervenaufreibend sein. Wie wäre es, wenn wir ebenfalls ein retrospektives Interview führen würden? Wo bist du aufgewachsen?
OK… Nun, geboren wurde ich in Miami, Florida, meine Eltern waren beide New Yorker, aber mein Vater ging nach Miami, um eine Honigfirma zu gründen. Was er auch tat, allerdings starb er an einem Herzinfarkt, als ich zwei Jahre alt war. Dann brachte meine Mutter ihre Kinder zurück in ihr New Yorker Appartement in Queens, wo wir lebten, bis sie starb, als ich 14 war. Während der High School habe ich bei einem Onkel und einer Tante gelebt. Aber ich glaube auch, dass ich viel auf der Straße gelernt habe. Wann bist du das erste Mal mit Fotografie in Berührung gekommen?
Als ich 13 war, sah ich ein Foto von Robert Frank, auf dem Leute auf der Straße abgebildet waren. Ich drehte mich sofort zu meiner Mutter um und sagte: „Mama, ich will eine Kamera! Eine professionelle!“ Und sie antwortete: „Wenn du nach der neunten Klasse deinen Abschluss hast, kaufe ich dir eine.“ Aber sie ist vorher gestorben, also bekam ich diese Kamera nie. Ich bekam sie eigentlich bis zu meinem 26. Lebensjahr nicht. Ich ließ mich von meinem Mann scheiden und nahm einen Job in einer Kleiderfabrik an, dafür ging dann mein erstes Gehalt drauf. Würdest du sagen, dass dein Interesse an Fotografie durch die Behinderung beeinflusst wurde?
Nun ja. Ich bin mit einem blinden Auge auf die Welt gekommen, was mich zu einer geborenen Fotografin macht. Ich muss nicht erst ein Auge schließen, ich muss nicht das, was ich in drei Dimensionen sah, ins zwei Dimensionale umrechnen. Alles was ich tun muss, ist das Bild, das ich sehe, einrahmen. Klingt das interessant? Ja, sehr. Bitte mehr davon.
Wenn du es sagst … Als ich 30 war, im Jahr 1972, konnte ich auf dem gesunden Auge immer schlechter sehen. Ein Jahr später musste ich mit einer Krücke laufen, weil mein Bein taub wurde. Mir wurde Multiple Sklerose damals noch nicht diagnostiziert, aber ich wusste, dass es das ist, weil meine Schwester es zwei Jahre zuvor bekam. Und wiederum zwei Jahre später verlor ich jegliches Gefühl in meiner rechten Hand. Ich hoffe, du musst das alles nicht aufschreiben – du nimmst das auf, oder? Ja, tue ich. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich hab irgendwo gelesen, dass du anderen Sehbeeinträchtigten Fotografie beigebracht hast.
Das stimmt. 1978 begann ich am Lighthouse For The Blind zu unterrichten. Ich war die Erste, die eine Autofokuskamera für das Magazin Camera 35 getestet hat. Wir verbrachten Zeit mit dem Redakteur, einem Engländer, und er fragte mich, ob ich sein Buch gelesen hätte. Ich sagte nein, und er fragte mich, ob ich Analphabetin sei. Ich sagte: „Nein, aber blind.“ Das war ihm bestimmt ein bisschen peinlich.
Nun, er war clever und fragte, ob ich schon mal von Autofokus gehört hatte. Und kurze Zeit später brachte er mir die erste Autofokuskamera, um sie für das Magazin zu testen. Kurz darauf ging ich ins Lighthouse und bot diesen Kurs an. Ich lehrte nur für ein Jahr, gab danach aber viele andere Seminare in Galerien und Museen. War das nicht zu der Zeit, als du angefangen hast, an der Dickthology-Serie zu arbeiten?
Ja, als ich damals lehrte, kam die Polaroid SX-70 raus. Ich hab sie ausprobiert, aber ich empfand die Bilder, die von weiter weg gemacht wurden, als langweilig und das quadratische Format war anders zu handhaben als 35mm. Aber ich fand auch sofort heraus, dass es gut geeignet für Detailaufnahmen war. Nur die Augen von jemanden, Lippen, andere Körperteile. So habe ich mit Dickthology angefangen. Warum hast du dich auf Schwänze konzentriert?
Kannst du dir ein ergreifenderes Thema vorstellen? Nicht wirklich. Es muss zu dieser Zeit ziemlich schockierend gewesen sein. Wie reagierte die Öffentlichkeit darauf?
Mein ganzes Leben hatte ich keine Eltern, die mir beibrachten, was gut und was schlecht ist, also entwickelte ich meine eigene Sicht der Dinge. Die meisten haben gelacht, einige waren dagegen. Und dann waren da noch die, die mich um mehr baten! Wie bist du an deine Motive gekommen? War es einfach?
Oh, es war sehr leicht. Ich habe vor 24 Jahren angefangen, und einfach jeden Mann, der zu mir nachhause kam, gefragt, und seitdem leihe ich mir ihre Penisse und lasse sie hübsch aussehen. Die meisten waren glücklich darüber. Einige sind auch auf mich zugekommen und fragten mich, ob sie mitmachen könnten. Ich glaube dass es einem eine gewisse Art von Macht verleiht, wenn man in der Öffentlichkeit seine Geschlechtsteile, aber sonst nichts zeigt.
Ja, aber jeder ist für mich wiedererkennbar. Sie habe alle etwas Eigenes. Wie wahr.
Oh, du hast selber einige gesehen, oder? Keiner erreichte das Ausmaß des Empire State Buildings. Erzähl mir von deinen Fotos für Playboy.
1976 hat mich der Playboy kontaktiert und mich gebeten, eine Serie über meine sexuellen Fantasien zu machen. Ich entschied mich, ein Selbstporträt zu inszenieren, das meine damalige sexuelle Fantasie darstelle: Eine nackte Frau, die sich vor einem Spiegel selbstbefriedigt, während zwei Männer auf sie zukommen. Einer in einer schwarzen, der andere in einer weißen Robe, Gut und Böse. Am Ende steht sie alleine vor dem Spiegel und fragt sich, ob die beiden Männer nur ihrer Einbildung entsprungen sind, oder ob sie real waren. Ich dachte, es wäre eine gute Metapher über die Selbsterkenntnis. Du siehst heiß aus. Du hast auch eine Talk Show, die Foto-Flo Show, moderiert. Was war dein Lieblingsinterview?
Danke. Ja, das war zwischen 1980 und 1982. Steve Steigman war der einfachste. Er arbeitete für eine Firma namens Bay City Productions und die meisten seiner Arbeiten waren kommerziell, also nehme ich an, dass er sich sicherer fühlte, darüber zu sprechen. Die Person, die am schwierigsten zu interviewen war, war Ruth Orkin. Sie war sehr wählerisch, was ihre Antworten anging. Aber ich denke, sie wusste, dass sie nicht mehr so lange aktuell sein würde, es könnte sein, dass sie deswegen sauer war. Wie das?
Nun, an einer Stelle fragte ich sie: “Glaubst du, die Leute kaufen deine Arbeiten, weil sie nicht perfekt sind?” Sie wurde richtig wütend. Sie schlug auf den Tisch und sagte: “Wie kannst du es wagen, sowas auf den Tisch zu bringen? Ich will schließlich noch Aufträge bekommen.” Ich entschuldigte mich und wechselte das Thema, aber es nervte mich. Sie starb kurz darauf. Das ist traurig. Hast du ein Lieblingsfoto?
Ich mag die Bilder vom World Trade Center. Ich bin aufs Dach gegangen und ließ mich am Rand runterbaumeln, der Vorarbeiter hielt meine Beine, so konnte ich sie fotografieren, während sie das World Trade Center bauten. Ich hab mich damals viel getraut. Die Bauarbeiter sahen mich an, als wäre ich verrückt. Kannst du dir das vorstellen? Ein heißes junges Ding hängt da an diesem Gerüst. Das war sicher eine gute Aussicht. Ich hab gehört, dass du selber Rollstuhlrampen in New York gebaut hast.
Das stimmt. Als ich behindert wurde, gab es einige Gegenden, in denen ich mich nicht gut bewegen konnte, weil es keine Rampen gab. Wenn da ein Block war, wo ich häufiger hin wollte, hab ich mir einfach Zement besorgt, bin da um Mitternacht hin, habe den Zement da gelassen und bin zurück in meine Wohnung, um einen Eimer Wasser zu holen. Ich habe dann den Zement mit dem Wasser angerührt und mir meine eigenen Rampen gebaut. Ich habe es damit sogar in die Zeitungen geschafft: „Verrückte Fotografin baut mitten in der Nacht Rampen“. Ich hab so um die zehn Rampen errichtet. Du hast auch ein paar Bilder von kaputten Gehwegen gemacht.
Ja, ich nenne die Serie Criptic. Es hat als Versuch angefangen, den Behinderten zu helfen; um den Staat dazu zu bringen, mehr Rampen zu bauen. Es gibt ein Foto, das ich „Personal Earthquake“ genannt und in der Fernsehsendung Shame On You!, gezeigt habe. In der Sendung ging es darum, Menschen oder Dinge zu zeigen, die das Leben unangenehm machen. Danach haben sie den Gehweg repariert, was eine gute Sache war, weil in der Gegend viele Behinderte leben. Machst du immer noch Fotos?
Ich bin dazu physisch leider nicht mehr in der Lage. Ich habe aber immer zwei Kameras dabei, und wenn ich etwas interessantes sehe, versuche ich, die Leute um mich herum dazu zu bringen, die Bilder so zu machen, wie ich sie sehen würde. Eins, das ich besonders mag, heißt „Almost A Passover“. Meine Pflegerin hat es 2008 gemacht. Sie war vollkommen verwundert darüber, dass ich Fotos von weggeworfenen Absperrungen machen wollte, aber ich bin der Meinung, dass irgendwas daran lustig war. Was meinst du? Ja, das war es. Vielen Dank für dieses wundervolle Gespräch, Ms. Fox.
Danke, meine Liebe.