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AfD

Handball den Deutschen? Wie Handball in der AfD-Ecke gelandet ist

Der Philosoph und Zeit-Kolumnist Wolfram Eilenberger verglich den deutschen Handball mit der AfD. Das ist den Handballern und seinen Fans gegenüber nicht fair, hat aber wahre Ansätze.
Foto: Imago

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal bei einem Text so laut auflachen musste. Der Philosoph und „Zeit Online"-Kolumnist Wolfram Eilenberger hatte in seinem Artikel „Handball: Alternative für Deutschland" nicht weniger als gesamt Handball-Deutschland in eine Ecke mit der AfD verfrachtet. „Wenn Fußball Merkel ist, dann ist Handball Petry." Die Handball-Nationalmannschaft, die beim überraschenden EM-Sieg in Polen 13 Millionen Zuschauer begeisterte, sei ohne jeglichen Migrationshintergrund. „100 Prozent kartoffeldeutsche Leistungsbereitschaft." Sport für echte deutsche Männer eben, „ohne eingestickte Hundenamen auf den Finalschuhen". Wer Eilenbergers Kolumne kennt, weiß, dass der Kollege gerne mal quer denkt, fast immer allerdings einen brauchbaren Gedanken in die Welt setzt. Dieses Mal schien er etwas zu weit gegangen zu sein.

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Denn wenig überraschend schäumte die Handball-Welt vor Wut. Unter dem Artikel versammelten sich über 600 Kommentare, die sich gesalzen haben. Handball-World schrieb eine wütende und lustige Kabinenpredigt. Der DHB fühlte sich persönlich angegriffen und lieferte eine wenig hilfreiche Stellungnahme:

Auf die Inhalte wolle man nicht eingehen, so so. Vielleicht, weil Eilenberger im Grunde Recht hat? Der Sportsoziologe Klaus Cachay, der an der Uni Bielefeld über Diversität im Sport forscht, erklärte: „Der Text ist zwar völlig überzogene Polemik und der Handball hat nichts mit der AfD zu tun, aber er hat, was die soziale Schließung der Sportart in Bezug auf Migranten anbelangt, einen wahren Kern."

„Wir haben das Thema verschlafen, ich will mich da nicht ausschließen", erklärte Georg Clarke, als DHB-Vizepräsident für den Nachwuchs verantwortlich, gegenüber der Zeit, die gestern versuchte, die Wogen zu glätten. Allerdings ist es nicht nur der Handball, der ein Problem mit Diversität hat: Volleyball, Hockey oder Leichtathletik haben eine ähnlich „weiße" Weste. Anders als Vater Fußball, wo in den Nachwuchsleistungszentren bis zu 40 Prozent Jugendliche mit Migrationshintergrund spielen. Man kann dem DFB einiges vorwerfen, aber dieses Thema sind sie vor etwa zehn Jahren richtig angegangen. Der Handball aber ist eine provinziell deutsche Angelegenheit geblieben. Selbst bei den Füchsen Berlin spielen in der B-Jugend nur ein Rollando und ein Enes. Doch ist Handball wirklich nur ein Gladiatoren-Spiel für besorgte Bürger, wie es Eilenberger provokant andeutet?

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Der Sport hat eine tiefe Verankerung im deutschen Bewusstsein. Er ist die Nummer 2 in Deutschland. Handball wurde in Deutschland erfunden als Alternative für Frauen zum Fußball. Über die Jahrzehnte entwickelten sich Handball-Regionen wie in Ostwestfalen oder Schleswig-Holstein, und die Handball-Bundesliga zur stärksten Liga der Welt. Egal, wie chaotisch die Zustände um den DHB in der Vergangenheit auch waren, die Nationalmannschaft hatte immer grandiose Quoten. Solange allerdings lauter Giselas und Gunters auf den Tribünen der Turniere in der ARD-Berichterstattung eingeblendet wurden und man nicht vermochte, aus Stars wir Ivano Balic oder Luc Abalo Aushängeschilder zu machen, konnte man in der Generation junger Migranten-Kinder kaum gegen Fußball anstinken.

wo — Filippo Cataldo (@filippocataldo)9. Februar 2016

Georg Clarke sagte gegenüber der Zeit, dass bereits viele Kinder und Enkelkinder von Migranten aus Russland, Polen oder Ex-Jugoslawien in den Vereinen und Nachwuchs-Nationalteams spielten. Es ist allerdings so, dass diese Länder eine große Handball-Tradition haben. Die Eltern geben den Kindern zumindest ein Bewusstsein für die Sportart mit. Wenn noch nicht mal die gut integrierten Italiener Handball spielen wollen, warum sollten das vermeintlich schlechter integrierte Bevölkerungsgruppen, die ebenfalls keinen Bezug zum Sport haben? Klaus Cachay selbst sagt, dass man bei Schlussfolgerungen vorsichtig sein müsste. Die Annahme, dass Handball als „Dorfsport" keinen Zugang für Migranten biete, widerlegt er damit, dass in den Handball-Hochburgen Göttingen und Minden trotz hohem Migrantenanteil auch dort keine zum Handball gehen. Man müsse die weitere Forschung abwarten.

Was allerdings zu Recht an Eilenbergers Text problematisch ist, ist die Konnotation der (abzuwartenden) Handball-Begeisterung mit dem Interesse für die AfD. Natürlich säumten plötzlich viele junge, deutsche Fans die Hallen in Krakau und Breslau. Doch das wäre auch passiert, wenn die Basketball-Nationalmannschaft bei der EM im eigenen Land so mitreißend gespielt hätte. Dass die vermeintlich urigen Handballer vielleicht ins Menschen-Bild eines Bernd Höcke passen—dafür können sie selber nichts.

Meiner Erfahrung nach sind Handballer eher intelligente Schluffis, für die das Teamgefüge und Respekt an erster Stelle stehen. Meistens sind die (rechten) Idioten eher zum Fußball gegangen. Dass jetzt auf einmal jeder Handball feiert und sie für eine Gesellschaftskritik herhalten müssen, das haben die Handballer nicht verdient.

Toni mag Handball, weil man sich dort fürchterlich über Schiedsrichter aufregen kann. Folgt ihm bei Twitter: @sopranovic