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Popkultur

​Ich habe mir die YouTube-Serie der Bundeswehr angeschaut, damit ihr es nicht müsst

Wie gut funktioniert die Propaganda?
Screenshot: Youtube | Die Rekruten

Die Bundeswehr hat ein neues Schlachtfeld für sich entdeckt: YouTube. Und eins muss man ihr lassen—die erste Offensive hat funktioniert. Die Idee, mittels einer Mini-Serie Werbung für die Armee zu machen, ist in der Öffentlichkeit eingeschlagen wie eine präzisionsgelenkte Bombe in einen Tanklaster. Kurz nach ihrem Anfang hat Die Rekruten schon wütende Diskussionen ausgelöst.

Auf der einen Seite, weil die Serie so teuer ist: Zusammen mit der Werbekampagne sollen Die Rekruten insgesamt acht Millionen Euro kosten. "Da frage ich mich schon, wo ist das Geld hingeflossen, steht das wirklich in einem gesunden Verhältnis?", bemerkte zum Beispiel der Grünen-Politiker Tobias Lindner.

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Auf der anderen Seite ärgern sich viele Kritiker darüber, dass die Serie ziemlich unverblümt versucht, Jugendliche anzusprechen—und das auch gar nicht so schlecht macht. Zumindest von der Optik kann Die Rekruten auf YouTube mithalten. Und die Serie gibt sich wirklich alle Mühe, unverklemmt und authentisch rüberzukommen. "Man könnte unsere Generation eigentlich nicht besser ansprechen", sagt ein Zwölftklässler in einem NDR-Beitrag.

Das Problem dabei sei, dass nicht die ganze Wahrheit erzählt werde, kritisiert der Grünen-Politiker Lindner (und nicht nur er). Unter "verantwortungsvoller Werbung" verstehe er, dass man auch die negativen Aspekte der Arbeit bei der Bundeswehr zeige: zum Beispiel die schlechten Zustände in manchen Kasernen, aber auch die Härten von Auslandseinsätzen. (Bleibt zu bemerken, dass Herr Lindner es mit diesem Verständnis von Werbung in der Privatwirtschaft nicht besonders weit gebracht hätte.)

Wie jedes Mal, wenn die Bundeswehr eine neue Werbekampagne startet, hagelt es natürlich auch Kritik von Leuten, die jede Art von Werbung für die Armee strikt ablehnen. Aber wenn wir die Frage, ob die Bundeswehr überhaupt bei jungen Leuten für sich werben dürfen soll, einmal ausklammern, bleibt immer noch eine andere: Wie gut funktioniert diese Werbung überhaupt?

Wenn man sich die bis jetzt veröffentlichten drei Folgen der Serie anschaut, kommt man zu zwei Schlüssen. Erstens: Was die Bundeswehr sich da vorgenommen hat, ist ziemlich ambitioniert, und sie haben sich sehr viel Mühe dabei gegeben. Zweitens: Es funktioniert als Rekrutierungs-Mittel überhaupt nicht. Das liegt aber nicht daran, dass die Sendung nicht authentisch genug ist—ganz im Gegenteil.

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Die erste richtige Folge heißt "Kulturschock", und der Name passt. "Es gibt zwei verschiedene Arten, diese Linie zu übertreten", erklärt ein Ausbilder einmal und zeigt dabei auf ein Stück Panzertape, das irgendjemand auf den Boden neben eine Bürotür geklebt hat. "Eine richtige und eine falsche." Die falsche: wie ein normaler Mensch das Tape ignorieren und durch die offene Tür gehen, beim Reingehen vielleicht nochmal klopfen. Die richtige: an dem Tape stehenbleiben, sich zum Klopfen komisch verrenken und dann warten, bis man zum Eintreten aufgefordert wird. "Für Euch. Mit Euch. Für Deutschland."

Zuerst zur Ambition: Es ist schon ein ziemlich arbeitsintensives Projekt, jeden Tag der drei Monate Grundausbildung der jungen Matrosen zu dokumentieren und das ganze Material dann zu fetzigen Clips von jeweils knapp fünf Minuten zusammenzuschneiden. Laut Bundeswehr-Sprechern gibt es so gut wie gar kein Drehbuch, was für den Auftraggeber selbst auch ein gewisses Risiko bedeutet: Der Bund kann die Rahmenbedingungen steuern (z.B. die schicke Marine-Kaserne in Parow auswählen), aber niemand weiß, was diese Leute in ihrer Zeit dann wirklich anstellen. In der ersten Folge fängt die weibliche Protagonistin an zu weinen, weil sie ihre Piercings ausziehen muss. Woher will die Bundeswehr wissen, dass sie die Grundausbildung durchhält? Wenn sie abbricht, wäre der Werbe-Effekt vollends hinüber. Ein bisschen Respekt vor diesem für eine staatliche Institution ziemlich radikalen Experiment kann man also schon haben. Auch für die drei Protagonisten klingt das nach einer ziemlich anstrengenden Zeit: Sie müssen nicht nur die Grundausbildung überstehen, sie müssen sich auch noch selbst dabei beobachten und filmen.

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Lohnt sich die Mühe? Man darf bezweifeln, dass die Serie potenzielle Rekruten wirklich begeistert. Denn dazu ist sie viel zu authentisch.

Ich war bei der Bundeswehr, und die bisherigen drei Folgen der Serie geben die ersten drei Tage Grundausbildung ziemlich genau wieder: das ewige Schlangestehen, die Verwirrung, die gewollt hirnrissigen Vorschriften (man darf nicht durch offene Türen gehen, ohne vorher an einer Linie abgewartet zu haben), die Langeweile, die unerklärliche, aber heiß brennende Liebe des deutschen Soldaten für richtig beschissene Wortspiele ("Aufgeben können Sie bei der Post, har har!"). Am Anfang wird man nicht mal ordentlich von Feldwebeln angebrüllt! Stattdessen übernehmen gelangweilte Stabsgefreite den ganzen Einzug der Rekruten. Wenn man dann plötzlich versteht, dass man in dem Laden unendlich viel mehr Zeit mit Bettenmachen, statt mit Mit-Knarren-im-Wald-Rumrennen verbringen wird, ist es für den echten Rekruten natürlich viel zu spät.

Was ist das für 1 Vorbild? Screenshot: YouTube | Die Rekruten

Aber nicht für die Zuschauer. Die haben jeden Gedanken an eine Zukunft bei der Bundeswehr wahrscheinlich spätestens nach der Geschichte mit der Linie gründlich aufgegeben. Natürlich wird die Grundausbildung später noch ein bisschen spannender—aber wer nach den drei ersten Folgen dieser Show immer noch zur Bundeswehr will, der gehört da auch hin. Die Schüler aus dem NDR-Beitrag erzählten, dass sie sich die Show zur "Unterhaltung" schon anschauen würden. Zum Bund will aber keiner von ihnen gehen.

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