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In Oberösterreich ist ein alternatives Schulprojekt an der Bürokratie gescheitert

In der Sokrates Schule in Leonding gab es ein Kinderparlament und gezielten Dialog statt Frontalunterricht. Gestern musste die Schule geräumt werden. Wir sagen euch, warum.
Foto von der Website der Sokrates-Schule

Das größte Problem mit der Bildung ist, dass man sie zuerst haben muss, bevor man sich Gedanken darüber machen kann, wie sinnvoll sie ist. Zu dem Zeitpunkt, wo wir uns endlich die Frage stellen, welche Rolle Bildung in unserem Leben spielen sollte, ist es für die meisten von uns mit der (formalen) Bildung auch schon vorbei und das Problem wird nahtlos an die nächste Generation von Schülerinnen und Schülern weitergegeben.

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Die Ironie liegt auf der Hand: Leider führt die klassische Schulbildung oft zu so viel Frustration, dass jeder, der sie erst mal hinter sich gebracht hat, sich nicht auch noch damit beschäftigen will, sie grundlegend zu verbessern. Wenn wir in der Schule eins gelernt haben, dann wohl, dass der Spruch „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir" so nicht stimmt. Was zumindest ich aber nicht gelernt habe, ist, dass dieser Spruch eigentlich von Seneca stammt und im Original genau das Gegenteil aussagt, nämlich: „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir (leider)."

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sowohl das Originalzitat, als auch der Umstand, dass es in meiner gesamten AHS-Zeit nicht ein einziges Mal vorkam, einiges über den Zustand unseres Bildungssystems aussagt.

Umso wichtiger sind alternative Schulprojekte, die es sich zum Ziel gesetzt haben, ihren Schülern modulares Lernen, Spaß an der Bildung und demokratische Arbeitsmethoden beizubringen. Ein solches Projekt ist—oder: war bis vergangene Woche—die Sokrates Schule Leonding in Oberösterreich. Aufgrund eines Untersagungsbescheides seitens der Gemeinde Leonding wurde die Schule mit dem 12. April 2015 zwangsgeschlossen.

„Unsere Herangehensweise war immer, Kinder auf ihrem Lebensweg zu unterstützen und ihnen beizubringen, wie sie das Wissen für ihre eigenen Ziele am besten aneignen können", erklärt mir die ehemalige Obfrau der Schule Anita Brandstötter. „Außerdem wollten wir Schülerinnen und Schülern den Frust ersparen, den die Regelschule durch das reine Aufzeigen von Defiziten erzeugt, weil wir glauben, dass eine solche Pädagogik durch den Druck zur Perfektion ihr Selbstbewusstsein schwächt."

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Das Konzept der Schule orientierte sich an den Methoden von Sokrates—also Dialog statt Belehrung und zielgerichtetes Nachfragen statt hierarchischem Frontalunterricht. Eltern wurden verstärkt eingebunden, Schüler tagten regelmäßig in einem Kinderparlament. Gleichzeitig war die Schule aber auch öffentlich und jede Lehrperson beim Staat angestellt—was für die Schulleitung sicherstellte, dass Lehrer „auch entlassen werden können, wenn sie den Kindern weder Respekt noch Wissen nahe bringen".

Der Lehrplan wurde mit Montessori-Materialien und auf Basis der Grundlagen von Jean Piaget gestaltet. Jetzt ist das alternative Projekt gescheitert. Die Sokrates Schule postete dazu folgende Nachricht auf Facebook:

Auch im direkten Gespräch betont Anita Brandstötter noch mal, dass die Schule einen ideellen Kampf verloren habe, und zwar „den Kampf, unseren Kindern Wissen so beizubringen, wie sie es gut aufnehmen können und sie somit gestärkt ins Leben zu schicken. Den Kampf gegen die Windmühlen der Bürokratie. Den Kampf gegen Menschen, die es nicht aushalten, wenn andere Menschen aus dem System ausbrechen."

Tatsächlich bezieht sich der Untersagungsbescheid der Gemeinde Leonding auf die Widmung des Grundstücks. Das ist nämlich als „Wohnbau mit Grünlage" eingetragen und darf entsprechend keinen Betrieb und auch keine Schule beherbergen.

Für Anita Brandstötter ist das ein rein akademischer Unterschied. Wenn es nicht darum ginge, die Sokrates Schule zu schädigen, hätte es immerhin auch andere Möglichkeiten für die Gemeinde Leonding gegeben, um mit der Angelegenheit umzugehen. „Die Gemeinde hätte das auch so legen können, dass die Schule erst mit Ende des Schuljahrs geschlossen wird", meint Brandstötter. „So werden die Schüler im laufenden Jahr rausgeworfen." Alle Kinder, die auf der Sokrates Schule angemeldet waren, müssen sich nun eine neue Schule suchen—und im fortlaufenden Unterricht einer Regelschule zurechtfinden.

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Die Bildungspolitik weiß längst, dass es so nicht weiter geht. Wir produzieren Lernroboter, die auch in der Wirtschaft nicht zu brauchen sind.

Die Schließung ist für alle Beteiligten ein radikaler Einschnitt. Wenn es um die Zukunft geht, wird Brandstötter, die sich im restlichen Gespräch immer wieder auf die Faktenlage beruft, emotional. „Die Schule war in ihrem 4. Jahr. Jetzt sind wir in Zwangsinsolvenz. Natürlich können wir auch nicht so einfach eine neue Schule aufmachen. Die Kinder und Lehrer wurden in alle Winde verstreut und müssen sich für die restlichen drei Schulmonate in völlig andere Systeme eingliedern." Das erzeuge Stress bei allen Beteiligten.

Trotzdem ist Anita Brandstötter zuversichtlich, dass sich alternative Bildungsprojekte weiterhin entwickeln und durchsetzen werden—auch, wenn ihre eigene Schule nicht dazugehört. „Es wird in Zukunft nur noch so gehen, wenn man Kindern ernsthaft Wissen beibringen will", sagt sie. Die Sokrates Schule wäre ein Modell gewesen, das freie Schule, wie sie sein soll, widerspiegelte. „Bei uns wurden die Kinder entsprechend ihrer Stärken gefördert. Ohne Lust am Lernen ist Bildung nur ein Abfüllen mit Wissen, das sofort wieder vergessen wird. Wir produzieren Lernroboter, die auch in der Wirtschaft nicht zu brauchen sind. Die Bildungspolitik weiß längst, dass es so nicht weiter geht. Der Apparat ist jedoch viel zu träge und es sitzen Menschen am Steuer, die das Schiff lieber im Hafen lassen, statt es in neue Gewässer zu lenken. Die Menschen sind zu ängstlich und feige, neue Wege zu gehen. Wir sehen an unseren Kindern, dass es sehr wohl auch anders geht."

Bei der Gemeinde Leonding stand bis zur Veröffentlichung dieses Artikels niemand für ein Statement zur Verfügung—wir aktualisieren den Beitrag aber, sobald wir mit jemandem im Rathaus gesprochen haben.

Markus auf Twitter: @wurstzombie


Titelbild: Offizielle Website der Sokrates-Schule Leonding