Der Joeys-Cup: Die Rache der Pizzafahrer
Alle Fotos: John Frank

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Hamburg

Der Joeys-Cup: Die Rache der Pizzafahrer

Was gibt es besseres als sich von einem 18-Jährigen Pizzalieferanten tunneln zu lassen? Willkommen beim Joeys Cup!

Ich liege im Matsch. Richtig klassisch, mit dem Gesicht schön im eiskalten, hagel- und schauerzermatschten Boden. Ich schmecke Erde, ich schmecke Scham. Mir fällt nach ein bisschen Nachdenken keine Position ein, in der man lächerlicher aussieht, höchstens wenn man als Bauer im Stall mit der Kuh erwischt wird. Gleich werde ich aufstehen und meine abgekämpfte Drei-Bier-eine-Bratwurst-Fresse abwischen und so tun, als wäre das alles gar nicht schlimm. Ich werde lächeln, ich werde den Gegnern aus Stade oder Lüneburg oder Eppendorf den High-Five geben, Daumen hoch, ihr Säcke, haha, gut gemacht. Ich liege noch mit dem Gesicht im Matsch und höre das Geschrei von den mitgefahrenen Freundinnen, Pizzabäckern, den Unsportlichen aus den Betrieben.

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Ich habe mich eben von einem achtzehnjährigen Pizzafahrer aus dem norddeutschen Niemandsland tunneln lassen, bin spektakulär auf die Visage gefallen, der Typ macht das Tor. Fußballspielen, merke ich, ist wie Pizza ausfahren oder Hamburger Wetter—no country for old men.

Andererseits: Wer sich im Januar für Mindestlohn im Schnee auf den Roller setzt, um unter Lebensgefahr eine Salami Supreme zum Kunden zu schliddern, der lässt sich auch am freien Tag im Hagel beim Joeys Cup 2015 tunneln und frisst ein bisschen Erde.

Der Joeys Cup in Hamburg hat ein bisschen Tradition. Schon seit ein paar Jahren kommen hier Filialen meist aus dem norddeutschen Raum zusammen, um um den großen Preis zu kicken: 250 Euro für die Betriebsfeier im Laden und einen Pokal, der aussieht, als hätte man ihn noch eben schnell bei Pokal Ebert in aus dem Regal geklaut. Die weiteren Plätze bekommen—nichts, genau, ganz wie im Leben und bei der Tour zu Frau Schmiechen, die nie Trinkgeld gibt. Im Gegenteil: Nicht nur zahlen die Filialen ihre Anfahrt selber, sondern müssen auch noch eine Anmeldegebühr löhnen. Und die hat sich bislang für uns noch nicht richtig rentiert. Ich sehe die 250 Euro auf Nimmerwiedersehen in die Betriebsfeier von irgendeinem Kaff-Joeys wandern.

Ich stehe wieder am Anstoßkreis und bringe den Ball ins Spiel. Kleinfeld, fünf gegen fünf, gleichzeitig laufen bei der Vorrunde noch drei andere Spiele. Es ist verdammt kalt. Ende Mai, und in Hamburg ist es elf Grad und Hagel. Alles ist grau, trist, am Spielfeldrand hat man eine Bretterbude hochgezogen, in der man Obdachlose untergebracht hat, die aus den Fenstern starren. Von jedem Dorf-E-Jugend-Turnier weiß man, dass es bei solchen Veranstaltungen besonders auf das fein austarierte Rahmenprogramm ankommt: Ein Clown, der Luftballons knotet. Die Schülerband, die Metallica covern will. Dein Onkel Bernd, der sich am Bierstand richtig einen reintut und der Bierstandfrau dabei an den Hintern fasst.

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Hier? Nichts. Nur eine kurze Ansprache über einen scheppernden Röhrenverstärker von einem Typen aus der Joeys-Zentrale, dass er viel Spaß wünscht und sich bei den vier ehrenamtlichen Schiedsrichtern bedankt. Der Typ zeigt den Pokal und hält einen dieser fake Schecks hoch, auf denen normalerweise „1 Million" steht. Hier steht „250 Euro". Ich kann dem Typen aus der Zentrale dabei zusehen, wie er vor Hass auf seine Kollegen zerfasert wird, die jetzt irgendwo im Spa in Ottensen chillen, nur weil er beim Streichholzziehen das kurze Ende hat und jetzt hier mit uns Mindestlohn-Losern aus der Basis steht. Dafür hat er nicht BWL studiert.

Kein Fun-Event also. Komisch. Dabei kann sich Joeys gerade überhaupt keine schlechte Laune leisten:

Der Skandal um Burger King im letzten Jahr hat die Systemgastronomie flächendeckend gefickt. Davon hat man als Kunde vielleicht nicht viel mitbekommen, aber bei Joeys und anderen Franchise-Systemen wurden hektisch Maßnahmen erstellt, wie man Hygiene garantieren kann. Man kennt ja schließlich seine Franchisenehmer, oft junge Typen, die plötzlich mit minimalem Aufwand selbständig und Unternehmer sind, und man kennt die Typen, die sich Schichtleiter nennen und für den Innendienst verantwortlich sind, weil sie einmal zu oft nach dem Einkauf in der Hasenheide über die rote Ampel sind und jetzt halt nichts anderes machen können als zwischen zwei Zigarettenpausen den Laden drinnen in Schuss zu halten. Und dafür hat man eben schnell sieben oder acht goldene Regeln zusammengestellt und in jeder Filiale ausgedruckt. Sollte die unangekündigte interne Kontrolle feststellen, dass gegen eine davon verstoßen wurde, gibt es einen massiven Rüffel.

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Darüber hinaus hat man sich um positivere Darstellung gekümmert: Fernsehwerbung, endlich, die einmal pro Woche dienstags auf Pro Sieben ausgestrahlt wird. Die Filialleiter jubelten: 21st century! Ein bisschen in der Gegenwart angekommen! Endlich ernstgenommen von Corporate. Endlich medienwirksame Präsenz. Außerdem endlich ein neuer, todsicherer Claim: Joeys befriedigt.

Dann bekamen sie die Rechnung: anstatt wie bisher 0,75% des Umsatz nimmt der Konzern jetzt 4% des Umsatz jeder Filiale aus der Kasse. Joeys befriedigt?

Dazu kommt, dass seit Anfang des Jahres in den Filialen Mindestlohn gezahlt werden muss—vorbei die Zeit, dass man jemanden für 6€ pro Stunde auf den Roller setzen konnte.

Will sagen: Beim Joeys Cup kommt so richtig viel schlechte Laune zusammen. Von allen Seiten Beef. Allerbester, frischer Fuckyou-Groll, der für die eine oder andere Grätsche sorgen sollte. Oder?

Naja. Ich haue erstmal den Ball vom Mittelkreis aus aufs Tor und hoffe, dass der Wind ihn über den weit draußen stehenden Torwart trägt. Er titscht auf die Latte, die Leute an der Linie machen „Ooooh". Näher sind wir einem Treffer hier noch nicht gekommen. Denn das Gefälle an Qualität ist schon enorm. Es gibt die, die das intern als fröhlichen Ausflug verkauft haben und ihre teigigen Bäcker in die Aufstellung nehmen, die selber beschriftete Shirts als Trikots haben, die sich über jeden angekommenen Pass freuen. Und es gibt Teams, die definitiv beim Nachwuchs des örtlichen FC gewildert haben und noch schnell vor Abfahrt ein paar A-Jugendlichen eine rote Mütze aufgesetzt haben.

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Und dann gibt es noch ein paar herausragende Akteure: Mahmut, Flüchtling aus Nordafrika, Semi-Fußballprofi in der Heimat, jetzt acht Tore in zwei Spielen, vielen Dank auch für gar nichts.

Oder Petika: Belegt Pizzen, bisschen versoffen, bisschen bequem, bisschen viel Fußballwetten. War aber nicht immer so: Als er siebzehn war, hat ihn ein Spielervermittler in der ungarischen Provinz entdeckt und es geschafft, dass er bei Hannover 96 vorspielen durfte. Dort mochte man ihn auch. Der Spielervermittler war glücklich, dass er den Rohdiamanten fast untergebracht hatte und ließ ihn bei sich wohnen. Problem: „Spielervermittler immer weg. Frau von Vermittler immer zuhause." Das war vor zehn Jahren. Petika hat nie wieder das Trainingsgelände von 96 oder einem anderen Verein gesehen. Hier, in Hamburg, beim Pizza Cup ist er eine unaufhaltbare Macht.

Froh kann der Filialleiter sein, der so einen im Team hat. An der Seitenlinie gestikulieren sie als ehrgeizige Coaches—sind gute Coaches auch gute Leader, gute Filialleiter? Schwingt man sich für so einen Klopp auch noch im schlimmsten Sturm aufs Rad? Ich habe den Eindruck, dass die gerne von dem Typen aus der Zentrale wahrgenommen würden, aber der sitzt nur auf einem Hocker und friert und glotzt auf den Zettel mit Spielplan, zählt die Partien bis er endlich nach Hause darf.

Später gibt es keine Pizza, stattdessen Fleisch und Kartoffeln, die zwei freundliche Russen auf dem Grill schwenken. Dann sind wir satt. Und nass. Und richtig dreckig. Und ausgeschieden.

Wer gewonnen hat? So wichtig ist das nicht. Fakt ist, dass es im Vorjahr Wolfsburg war, was einiges über diese Veranstaltung aussagen sollte.

Wie scheiße es wirklich war? Ich kann euch sagen, wie es war. Es war ein Samstag beim Fußballspielen. Und du musst nicht mal bei Joeys angestellt sein um zu verstehen, dass das besser als arbeiten ist.