Die Rehabilitation des Besenkammer-Boris

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Die Rehabilitation des Besenkammer-Boris

Heute vor 30 Jahren wurde Boris Becker der jüngste Wimbledon-Sieger aller Zeiten. Es folgte eine Weltkarriere und der Absturz zur Lachnummer. Heute ist er Trainer des besten Tennis-Spielers der Welt. Eine Würdigung.

Boris Becker hat wieder ziemlich gut lachen. Während er in der Trainerbox saß, erspielte sich sein Schützling Novak Djokovic alleine im Jahr 2015 drei Grand-Slam-Siege und elf Titel insgesamt. Der Weltranglistenerste hatte eine Bilanz von 82:6 Siegen und nahm nur bei einem (!) Turnier teil, bei dem er nicht ins Finale einzog. Der Anteil von Becker an diesen Erfolgen ist groß. Dabei hätte vor zehn Jahren niemand geglaubt, dass der 48-Jährige wieder im Trainingsanzug auf den prestigeträchtigsten Tennisplätzen dieser Welt steht und Turniersiege wie in Wimbledon feiert. Vor 30 Jahren schon eher.

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Was viele heute schon wieder vergessen haben: Von 1984 bis 1999 war Boris Becker weltweit einer der erfolgreichsten Tennisprofis. 1985 wurde er Juniorenweltmeister und gewann seinen ersten Tennis-Grand-Prix beim Queen's Club Turnier in London. Nicht mal einen Monat später stieg er zur größten Sensation im Tennissport auf. Er gewann am 7. Juli 1985 im Alter von nur 17 Jahren als erster ungesetzter Spieler, als erster Deutscher und als bis heute jüngster Sieger beim bedeutendsten Tennisturnier der Welt in Wimbledon mit 3:1-Sätzen im Finale gegen Kevin Curren.

Der 27-jährige Südafrikaner Curren spielte wohl das beste Tennis seines Lebens, hatte nacheinander den offensiven Stefan Edberg, den Weltranglistenersten McEnroe und den Vorjahresfinalisten Connors glatt in drei Sätzen geschlagen. Gegen den unbekannten Boris Becker war er der klare Favorit. Becker gewann den ersten Satz mit 6:3, verlor den zweiten im Tie-Break. Danach war Curren endgültig überrascht, dass dieser Junge über drei Stunden auf höchsten Niveau spielen konnte: Becker gewann den dritten Satz mit 7:6. Im vierten Satz stand es dann 5:4. 40:30. Dritter Matchball. Einer von Beckers gefürchteten Brutalaufschlägen. Ass. 6:4. Mit gespreitzten Beinen, beide Fäuste zum Himmel gerissen und einem Schrei der bis nach Deutschland hallte, feierte Becker seinen Sieg.

Es folgt eine mediale Huldigung und der Aufstieg zum Weltstar. Mit Steffi Graf wird der blonde Rotschopf mit den unverwechselbaren blauen Augen zu einem der größten deutschen Sportidole und Tennis avanciert in Deutschland zum populärsten Zuschauersport nach Fußball. Becker wird zum deutschen Sportler des Jahres gewählt. Im folgenden Jahr wird er wieder Juniorenweltmeister, kann er in Wimbledon seinen Triumph gegen Ivan Lendl wiederholen und wird erneut Sportler des Jahres.

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Wegen seinem schnellen Offensivspiel wird er zu „Bumm-Bumm-Boris". Vor allem auf dem schnellen Rasen kann er mit seinem druckvollen und variablen Spiel auftrumpfen. Zwölf Wochen führt er die Weltrangliste an. 1992 holt er im Doppel mit Michael Stich Gold bei Olympia. Bis zum Ende seiner Karriere holt er über 49 Einzeltitel und gewinnt neben drei Wimbledon-Titeln noch drei weitere Grand-Slam-Titel. Begriffe wie der „Becker-Hecht" oder „Becker-Rolle" , ein im Hechtsprung geschlagener Volley oder nach gewonnenen Big Points die „Becker-Faust" sind bis heute bekannt. Becker war ein Held, ein Vorbild einer ganzen Generation.

Foto: Sven Simon/Imago

Sein letzter großer Erfolg ist dann gefühlt im Jahr 1996, wo die „Bufonaria borisbeckeri", eine Meeresschnecke, nach Becker benannt wird.

Ich kenne nur den Boris aus Klatschmagazinen. Den aufgedunsenen und betrunkenen Besenkammer-Boris. Aus dem unscheinbaren Wunderkind und international bekannten Sportstar wurde ein bemitleidenswerte Trauerfigur, die mindestens so viele Skandale und Fettnäpfchen wie Tennispokale in der Vitrine stehen hat.

Er betrog seine Frau Barbara, mit der er zwei Kinder hat, mit dem russischen Model Angela Ermakowa auf einer Treppe zwischen den Toiletten eines Londoner Nobelrestaurants. Besenkammer-Boris und seine Tochter Anna waren geboren. Die Medien schossen sich auf ihn ein und Becker machte einfach weiter als Zirkusclown. Nach Kurzbeziehungen zu mehr oder weniger promintenten Models und It-Girls eines immer ähnlichen Beuteschemas kamen zahlreiche geschäftliche Misserfolge durch Beteiligungen an insolventen Unternehmen und eine Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung wegen Steuerhinterziehung hinzu.

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Auch seine drei Autohäuser laufen seit Jahren wohl ziemlich schlecht. Seine beiden Biographien, von der er die zweite, eine Art Abrechnung und Schuss nach hinten, heute bitter bereut, machten Becker endgültig zur unresozialisierbaren Lachnummer. Nachdem er sich bei Twitter-Battles und einem Auftritt in einer TV-Spielshow mit Oliver Pocher—auch noch zwischenzeitlicher Neu-Ehemann von Beckers Ex-Freundin Sandy Meyer-Wölden—öffentlich zum Affen machte, verlor er auch noch einen Werbevertrag mit einem Autohersteller. Becker war am Boden.

In Britain bringt man Boris Becker mehr Respekt entgegen als in Deutschland. So what. pic.twitter.com/APPqf4qOmZ
— Max Murr (@murr_max) 11. Juni 2015

Ende 2013 wurde dann eine Bombe vermeldet: Boris Becker wird Trainer vom Weltranglistenzweiten und Tennis-Kult-Star Novak Djokovic. Die Tennis- und Medienwelt stand Kopf. Allgemeiner Tenor: „Was verdammt nochmal will Djokovic mit dem?" Der „Djoker" wurde gerade erst vom Weltverband neben Serena Williams zum „World Champion 2013" gekürt. Becker war seit 1999 nicht mehr im Tennisgeschäft. Erfahrungen als Trainer hat er kaum. Lediglich von 1997 bis 1999 war er Teamchef der deutschen Davis-Cup-Mannschaft—mit nur durchwachsenem Erfolg. Der Serbe hat sein Spiel auf harte Grundlinienschläge gepaart mit einer perfekten Beinarbeit spezialisiert und spielt gerne auch mal lange Ballwechsel. Becker war zu seiner aktiven Zeit Serve-and-Volley-Spieler. Das passt nicht.

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Der Djoker ist aber nicht der einzige mit einem Altstar an seiner Seite. Andy Murray wird schon seit 2012 von Beckers ehemaligen Kontrahenten Ivan Lendl trainiert. Auch Roger Federer arbeitet mit dem ehemaligen Superstar Stefan Edberg zusammen. Murray wurde dauraufhin Olympiasieger, gewann die US Open und sorgte nach 77 Jahren wieder für einen britischen Triumph in Wimbledon. Becker wusste damals schon als Experte bei der BBC, wie wichtig ein ehemaliger Topspieler als Trainer sein kann: „Eines darf hier niemand vergessen—den Effekt, den die Verpflichtung Lendls für Murray hatte."

Djokovic erhofft sich von Becker nicht viele neue Ideen für sein Spiel, denn er spielt nahezu perfektes Tennis. Vielmehr will er durch Becker an seiner mentalen Stärke arbeiten. Mats Wilander, ehemaliger Weltranglistenerste, bringt es auf den Punkt: „Die Spieler sind heutzutage besser, sie sind schneller und körperlich stärker. Aber es gibt einen Punkt, bei dem sie schwächer sind als zu meiner Zeit: im Kopf!" In einer Einzelsportart, wo der kleinste Fehler bestraft wird und die Konzentration über Stunden aufrecht gehalten werden muss, wohl der wichtigste Punkt.

Djokovic selber erklärte, dass ein Spiel „zu 95 Prozent" über die mentale Stärke entschieden wird. Er will, dass Becker ihn noch stärker macht. Auch Becker sieht bei Djokovic noch genügend Entwicklungspotenzial. Er will ihn laut eigener Aussage im „taktischen und mentalen Bereich" schulen, damit er „in entscheidenden Spielsituationen" noch besser wird.

Foto: Imago

Das erste Jahr von Djokovic und Becker hat gezeigt, dass es wohl besser passt, als gedacht. Der Djoker gewann unter anderem in Wimbledon und ist wieder Weltranglistenerster. Auch um Becker ist es ruhiger geworden. Er ist wieder in seiner Welt. „Die Medien zeichnen von Sporthelden gern perfekte Bilder. Wenn dann ihr Leben komplett ausgeleuchtet wird, kann es der Projektion nicht mehr standhalten", erklärt Beckers damaliger Wimbledon-Finalgegner Kevin Curren. „Wenn du mit Ruhm und Macht nicht vernünftig umgehen kannst, arbeiten sie irgendwann gegen dich. Es ist nicht leicht, ein Superstar zu sein", erzählt der Südafrikaner. Becker fehlte das. Er will wieder ein ernstzunehmender Sportler sein. An der Seite von Djokovic ist er endlich wieder in der Weltspitze des Tennis. Er hat endlich eine Aufgabe, wo er sich einbringen kann und sich wohlfühlt. Er ist beschäftigt—dann kann er auch nicht so oft in ein Fettnäpfchen treten.

Mit Becker an seiner Seite konnte Novak Djokovic auf dem Centre Court in Wimbledon, Beckers Wohnzimmer, zwei Mal in Folge das Turnier gewinnen. Die ATP World Tour Finals gewann der Djoker am Wochenende ebenfalls. Die Zuschauer jubelten ihm zu, während er im Konfettiregen stand. Sie huldigten auch irgendwie Boris Becker. Für den ehemaligen Tennis-Star eine Genugtuung und ein Gefühl aus besseren Zeiten. Im nächsten Jahr will er mit Djokovic zwei noch ausstehende Titel holen: Den Titel bei Roland Garros und die olympische Goldmedaille in Rio. Auch, damit sie wieder ein bisschen für ihn jubeln.

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