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Die Geschichte des Südsudan

Der schwarze Kontinent

Afrika, die Geburtsstätte der Menschheit. Der Kontinent ist komplex, riesig und verändert sich in einem enormen Tempo. Aber wenn wir ehrlich sind, ist es für viele von uns einfach „Afrika“. Wieso hat es der Kontinent so schwer?

Fotos von Tim Freccia

Ihr solltet besser nicht alles glauben, was ihr über Afrika lest oder hört, vor allem, wenn es um die kulturelle Sensibilität, ethnische Besonderheiten oder Grenzen des Kontinents geht. Wer entsprechende Informationen verbreitet, verfolgt im Allgemeinen ganz bestimmte Absichten, ist ein ausgemachter Betbruder oder Schwachkopf oder hat die törichte Vorstellung, dass die Rettung Afrikas zu einem vollkommen an den Haaren herbeigezogenen Zeitpunkt bevorstehen könnte. Wenn ihr ehrlich seid, und alle politische Korrektheit vergesst, müsst ihr zugeben: Afrika ist ein Land, oder wird von der Welt meist als solches behandelt. Afrika ist ein Markt und ein Marketing-Aufhänger und ein sorgfältig analysiertes Genre in der Mode-, Musik- und Tourismusbranche; vor allem aber ist und war es stets eine einzigartige Obsession des Westens. Es ist der Ort, den ständig irgendjemand retten will.

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Auf der Karte besteht Afrika aus 54 brodelnden Nationen, rammelvoll mit weißen, schwarzen, braunen und gelben Leuten aller Religionen und Überzeugungen, die alle simultan über Internet-Coffeeshops, über mystische Auren, weitgehend unverständliches Stammesgezänk, Macheten und Kugeln miteinander kommunizieren. Außerdem ist es komplex, riesig und verändert sich in einem enormen Tempo. Aber wenn wir ehrlich sind, ist es für viele von uns letztendlich einfach „Afrika“.

Die sorgfältig gezeichneten Grenzlinien auf den modernen Karten des Kontinents haben nichts zu tun mit den alten Stämmen und Zivilisationen, die ihn nach wie vor beherrschen. Es handelt sich viel eher um territoriale Überbleibsel ausländischer Gier, guter Absichten und brutaler Kriege. Doch um unsere Reise fortzusetzen, müssen wir mit Leuten reden, die unsere Pässe stempeln, alle diplomatischen Segnungen ignorieren, und mit allen Arten von Rebellen und Aktivisten über Afrikas unstete Grenzen und die nach wie vor herrschenden kulturellen Trennungen sprechen. Dies gilt vor allem deshalb, weil unser endgültiges Ziel—der Südsudan—von den neuesten Grenzlinien auf der Karte umschlossen wird und unsere Mission darin besteht, das geheime Versteck des gestürzten Vizepräsidenten Riek Machar zu finden, um seine Version der Wahrheit zu hören. Auch ohne kapriziöse Piloten ist die vor uns liegende Aufgabe mehr als beängstigend.

Schon seit der Zeit, als Ptolemäus über die Quelle des Nils nachdachte, seit Entdecker sich auf die Suche nach dem mystischen Königreich des Priesterkönigs Johannes begaben, hat Afrika die Mystischen, die Hysterischen, die Gierigen, die Wohlmeinenden und natürlich die Gewalttätigen angezogen. Bis Anfang der 1970er-Jahre fanden sich auf den meisten gedruckten Karten noch weiße Gebiete mit Bemerkungen wie „Nicht genügend Daten“, um große Landstreiche zu kennzeichnen, in denen Satelliten- oder Luftaufnahmen die Wolken nicht durchdringen konnten. Und doch waren diese Gebiete schon von Beginn des Homo sapiens an bewohnt, ganz zu schweigen von den zahlreichen haarigen, aufrecht gehenden Bestien, von denen wir abstammen.

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Wie konnte sich die mutmaßliche Geburtsstätte der Menschheit nur in einer so relativ kurzen Zeitspanne zu einem so dunklen und hoffnungslosen Ort entwickeln?

Die Suche der Europäer nach der Quelle des Nils Mitte des 19. Jahrhunderts löste eine ähnliche Hysterie aus wie der wahnwitzige Wettstreit um die Eroberung des Weltraums in den 1960ern. Wer würde die Quelle des Nils zuerst entdecken? Welcher Ruhm würde die tapferen Seelen erwarten, die sich in die entlegensten, ursprünglichsten Winkel Afrikas vorwagten? In Wahrheit folgten die tropenhelmbewehrten Entdecker, die von der Royal Geographic Society entsandt wurden, schlicht den bereits ausgetretenen Pfaden arabischer Sklavenhändler. Als etwas mutigere Opportunisten in Burundi schließlich das schmale Rinnsal entdeckten, aus dem der uralte Nil gespeist wurde, schienen sie schrecklich aufgeregt. Die Einheimischen interessierte das nicht. Sie wollten nur wissen, was für sie dabei rausspringen würde. Für die Leute, die hier lebten, war die Erkundung Afrikas eine seltsame Obsession.

Als britische Entdecker die gewaltigen Sümpfe des Sumpflandes Sudd auf dem Gebiet des heutigen Südsudans erreichten, wurden sie von riesigen schwimmenden Pflanzeninseln aufgehalten. Während die Weißen von der Unpassierbarkeit der Landschaft vor ihnen überzeugt waren, zuckten die Einheimischen vom Stamme der Nuer nur mit den Schultern und paddelten einfach daran vorbei. Für Außenstehende bestand Afrika—und besteht es in vielerlei Hinsicht bis heute—aus undurchdringlichen Sümpfen, Wüsten und Wäldern. Für die Stämme, die seit Jahrtausenden von dem Land lebten, war es einfach ihre Heimat.

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Rätselhaft war Afrika immer nur für Außenstehende, nicht für die etwa 7.400 bekannten Stämme, die den Kontinent seit Jahrhunderten bevölkerten. Natürlich wurden einige dieser Stämme vollständig ausgelöscht; andere, darunter auch die, die im heutigen Südsudan leben, führten eine kümmerliche ländliche Existenz. Die beständige Präsenz stets wechselnder korrupter Anführer und Regime hat Afrikas Probleme natürlich nur noch mehr verschlimmert. Da wäre beispielsweise Teodoro Obiang Nguema Mbasogo, der Präsident von Äquatorialguinea in Zentralafrika, der bekannt dafür ist, im großzügigen Rumpf seiner privaten Boeing 737 über die Zukunft seines Landes zu sinnieren. Das einst unter dem Namen Fernando Pó bekannte und als provinziell geltende Äquatorialguinea ist laut IWF und Weltbank mittlerweile die reichste Nation Afrikas, was das Pro-Kopf-Einkommen anbetrifft. Zurückzuführen ist dies in erster Linie auf seine riesigen, lange ungenutzten Erdölvorkommen.

2005, bevor das Ölgeld richtig zu fließen begann, verbrachte ich ein wenig Zeit mit Präsident Obiang. Wir sprachen über den unerwarteten Reichtum Äquatorialguineas. Er erzählte mir, dass seine größte Sorge der Frage galt, wie sich die kulturelle Identität einer relativ kleinen Bevölkerung von 722.000 Einwohnern in Anbetracht der zu erwartenden Einnahmen aus 1,1 Milliarden Barrel nachgewiesener Ölvorkommen bewahren ließe. Für ihn kam der Reichtum, der aus den Erdölfunden erwuchs, einem Fluch gleich, weil er wusste, dass er sein Land „zerstören“ würde. Dieses existenzielle Dilemma hielt den zutiefst besorgten Präsidenten und seine Familie allerdings nicht davon ab, selbst ein paar Milliarden davon einzustreichen (nur zur Sicherheit, natürlich). Obiang wollte damit eigentlich sagen, dass Afrika reich ist. Afrika ist dicht bevölkert. Afrika ist der Ort, an dem die meisten ungenutzten natürlichen Ressourcen in der Welt, das meiste fruchtbare Land der Welt darauf warten, genutzt zu werden. Und letztendlich werden es Afrikaner sein, die die Erträge einstreichen.

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Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird sich die Gesamtbevölkerung Afrikas in den nächsten 100 Jahren vervielfachen. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich der Anteil des Kontinents an der Weltwirtschaft verdoppelt. Das Bruttosozialprodukt der afrikanischen Nationen wächst derzeit um mehr als vier Prozent pro Jahr. Da die meisten, wenn nicht gar alle großen festländischen Ressourcenfunde auf einem Kontinent erfolgen werden, der etwa dreimal so groß ist wie die Vereinigten Staaten, bieten sich nahezu unendliche Möglichkeiten.

Das Klischee vom „armen“, „rückständigen“ und „unheimlichen“ Afrika wäre somit fraglich. Der Ursprung dieser Falschwahrnehmung ist komplex. Liegt es daran, dass die Ungleichheit der Vermögensverteilung auf dem Kontinent Occupy Wall Street wie ein Stück Performancekunst aussehen lässt, oder wollen wir wohlhabenden Westler Afrika genau so, um es retten zu können? Ist es der Schuldkomplex der Weißen, erkennbar an Tausenden von Infomercials, Hilfsorganisationen und prominenten Galionsfiguren, die Afrikas Armut, Krankheit, Gewalt und Analphabetismus in unser kollektives Unterbewusstes telegrafieren?

Afrika war schon immer reich. Vor der Kolonialzeit haben sich Afrikaner, Araber und Europäer einfach das genommen, was sie wollten. Die Sklaverei war eine bequeme Methode, um auf minimalem Gebiet maximalen Gewinn zu machen, ein System, das so effizient war, dass es vollständig in die neue Neue Welt importiert wurde und den Erfolg vor Ort sicherte.

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Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Afrika an jene zurückgegeben, die von den Alliierten als seine rechtmäßigen Eigentümer betrachtet wurden. Es überrascht heute ebenso wenig wie damals, wenn sich diese führenden Köpfe als Schachfiguren der ehemaligen Kolonialherren herausstellten. Ein wiederkehrendes Motiv in den 70ern und 80ern war, dass ein afrikanischer Herrscher, der sich nicht kaufen ließ, gestürzt oder getötet werden konnte.

Zum Ende des Kalten Krieges sorgte Russland als Drahtzieher hinter Dutzenden von Putschen, Gegenputschen, zivilen Unruhen und Buschkriegen für Aufregung. Die CIA reagierte darauf mit der Bewaffnung von Konterrevolutionären und Diktatoren. Es waren schmutzige Kriege, die zu noch schmutzigeren Kriegen führten, die sich wiederum zu regelrechten ethnischen Säuberungen und Massenmorden auswuchsen. Diese Kriege und die mangelnde Stabilität waren der Anfang von allem, von der Wilderei und der Landvernichtung bis zu Krankheiten und Hunger. Anfang der 80er hatte es Afrika aus simpler Armut in die Apokalypse katapultiert.

Eine Gruppe übergelaufener SPLA-Soldaten in Akobo.

Das Meiste davon geschah unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, bis ein nicht ganz auf der Höhe der Zeit befindlicher irischer Musiker die Afrika-Obsession der Welt neu belebte. Anfang der 80er hatte der Singer-Songwriter und spätere Musikaktivist Bob Geldof eine Reihe langweiliger Alben vorzuweisen und wurde zunehmend frustrierter, weil er nicht so recht wusste, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Im Oktober 1984 sahen er und Millionen anderer Leute eine BBC-Dokumentation von Michael Buerk über die Hungersnot im äthiopischen Korem, eine Folge der Konflikte, die zu einer starken Dezimierung der Bevölkerung geführt hatten.

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Wie viele andere von den Bildern des Leidens bewegt, wollte sich Geldof nicht wirklich mit den Ursachen des Hungers auseinandersetzen: Russlands Einmischung, Sozialpolitik, jahrzehntelanger Krieg, Korruption, der Zusammenbruch der Infrastruktur und wiederkehrende Umweltkatastrophen, die zu Hunger führen. Er sah hungrige Menschen und wollte ihnen zu essen geben. Dazu musste er die Anteilnahme der Menschen ansprechen. Und so schrieb er einen Song.

1984 schrieb und produzierte Geldof zusammen mit dem Schotten James „Midge“ Ure den Song „Do They Know It’s Christmas?“. Angesichts anspruchsloser Textzeilen wie „There’s a world outside your window / And it’s a world of dread and fear“ oder „The Christmas bells that ring there / Are the clanging chimes of doom“ konnte man diesem von 80er-Boybands und -Popsängern gesungenen Liedchen nicht vorwerfen, dass es sich auf tiefgründige oder lehrreiche Weise mit dem Leid Afrikas auseinandersetzte. Der eingängige Refrain „Feed the world“ allerdings schien den richtigen Ton zu treffen. In Video und Text fanden sich keinerlei Bilder von den Afrikanern oder Hungerregionen, denen der Song eigentlich helfen sollte.

Der Song wurde mit den Stimmen von Boy George, Bananarama, Sting, Simon Le Bon, Bono und George Michael eingespielt und sollte die zweitmeistverkaufte Single in der britischen Geschichte werden. Der Erlös aus vier Millionen verkauften Exemplaren lag bei rund 8 Millionen US-Dollar.

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Angeregt durch Geldofs Erfolg wollte der Manager Ken Kragen das Konzept eines Popsongs zum Aufbringen von Spendenmitteln für Hungeropfer kopieren. Er beschloss, im Anschluss an die Grammy-Verleihung 1985 einen von Stars strotzenden Megachor zu organisieren, um dem Leid der Welt zu gedenken. So entstand „We Are the World“, geschrieben von Michael Jackson und Lionel Ritchie und produziert von Quincy Jones. Die Erlöse aus dem Verkauf der Single gingen an eine Hilfsorganisation namens USA for Africa. Die Hitsingle und weitere Events sollen letztendlich unglaubliche 100 Millionen US-Dollar eingebracht haben. Während Bob Dylan „We are saving our own lives / We make a better day / Just you and me“ trällerte, fiel den Zuhörern nicht auf, dass Hunger oder Afrika in dem Lied nicht mal erwähnt wurden.

Am 13. Juli 1985 organisierten Geldof und Ure beseelt ein 16-stündiges Konzert namens Live Aid, mit dem Ziel, jede Menge Geld für die Hungerhilfe in Äthiopien und im heutigen Eritrea einzuspielen. 175.000 Personen sollen an den beiden Veranstaltungsorten in New York und London dabei gewesen sein und 1,5 Milliarden Menschen sahen die Live-Schaltung der beiden Veranstaltungen im Fernsehen. Das Konzert spielte schließlich Spenden in Höhe von 245 Millionen US-Dollar ein.

Die Idee, mithilfe eines Popsongs die Leute auf eine Katastrophe aufmerksam zu machen, hatte sich in jedem Fall als durchschlagender Erfolg erwiesen—der Beweis, dass Popkultur und junge Menschen Veränderungen bewirken konnten. Es ließe sich allerdings einwenden, dass Live Aid weniger Auswirkungen für Äthiopien im Speziellen als für Afrika im Allgemeinen hatte, in der Hinsicht, dass es plötzlich cool war, „etwas ändern“ zu wollen—wobei unklar blieb, was etwas oder ändern bedeutete. Das Logo von Live Aid war eine Gitarre in der Form Afrikas mit dem winzigen typischen Foto eines hungernden Kindes in der Ecke.

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Nicht, dass irgendjemand bei all dem etwas über den Kontext der 400.000 verhungerten Äthiopier erfahren hätte, über die Hintergründe eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs und einer sozialistischen Politik, die Landwirtschaft in den meisten Gegenden nahezu unmöglich machte. Hier wurde humanitäre Hilfe als Kriegswaffe eingesetzt. Und das lieferte keine guten Fernsehbilder. Wohin das Geld ging oder in wessen Tasche es schließlich enden würde, sobald es nach Afrika gelangte, war nicht ganz klar, und in den darauffolgenden Jahren wurden viele wohlmeinende Hilfsorganisationen auf dem gesamten Kontinent beschuldigt, unabsichtlich Spenden an eine Reihe von Organisationen übergeben zu haben, die blutige Aufstände, ethnische Säuberungen und korrupte Regime unterstützten.

Eine Mutter mit Kind in einem zivilen Lager vor Machars Stützpunkt in Akobo, Südsudan.

Bis zu den internationalen Simultanausstrahlungen der Konzerte aus der Live-Aid-Reihe 2005 wurde kaum etwas hinterfragt, doch dann sorgte—ausgerechnet—Bill O’Reilly von Fox News für einen Riesenwirbel, als er Bono danach fragte, wie groß die Wahrscheinlichkeit sei, dass die Spendenerlöse in den Händen von Warlords und korrupten Beamten enden würden. Der U2-Frontmann stammelte sich durch das Interview, dem ein ähnlich bissiger Artikel im Guardian vorausgegangen war. 2010 dann behauptete die BBC—die den ursprünglichen Bericht ausgestrahlt hatte, der Geldof überhaupt erst auf die Idee für Band Aid, Live Aid usw. gebracht hatte—dass ein beträchtlicher Teil der bei diesen Events eingenommenen Spenden für den Kauf von Waffen und zum Töten von Menschen verwendet wurde. Geldof rastete öffentlich aus und unternahm einige verzweifelte Versuche, die Berichterstattung der BBC zu diskreditieren. Die Rettung Afrikas erwies sich, bei näherer Betrachtung, als nicht ganz unproblematisch.

Dessen ungeachtet hatte Live Aid rein rechnerisch trotz der eingespielten 10 Milliarden US-Dollar nie eine Chance zur Rettung des Kontinents. Dem Wall Street Journal zufolge haben reiche Länder in den letzten 60 Jahren mindestens 1 Billion US-Dollar Entwicklungshilfe nach Afrika gepumpt, jedoch ohne größere Wirkung, wie es scheint.

Symptomatisch für die Naivität des Westens war die jüngste Berichterstattung zum Tod von Nelson Mandela, der als Symbol des Friedens und der positiven Veränderungen für den Kontinent hochgehalten wurde. Der übliche Bericht über seinen Aufstieg vom eingesperrten Terroristen zum grauhaarigen Präsidenten Südafrikas nach der Apartheid und einem mit Gandhi vergleichbaren Mythos lässt im Allgemeinen einige Fakten aus. So waren beispielsweise die bis zu seiner Verhaftung 1962 von Mandela befehligten „Freiheitskämpfer“ von Umkhonto we Sizwe (MK), die gegen die Apartheid kämpften, dafür bekannt, dass sie ihren Gegnern mit Benzin gefüllte Reifen um die Brust legten und sie dann verbrannten. Noch 1985 fügte Mandelas Frau Winnie der Anti-Apartheidsbewegung großen Schaden zu, als sie sagte: „Mit unseren Zündhölzern und unseren Halsketten werden wir dieses Land befreien.“ Doch davon ist im Allgemeinen nicht die Rede, wenn es um Nelson Mandela geht.

Als Mandela nach seiner ersten Amtszeit zurücktrat, galt das als Beweis, dass Afrika sich selbst helfen konnte, ohne dass dazu jedoch irgendwelche näheren Erläuterungen gemacht wurden. Doch dann kamen die wirklich einflussreichen Persönlichkeiten. Wer braucht Bob Geldof oder The Who, wenn Clinton, Gates und Buffett plötzlich ganz versessen darauf sind, zu zeigen, dass Afrika—mit nur ein ganz klein wenig mehr Entwicklung—genauso funktionieren kann wie Amerika? Sie konzentrierten sich auf die Basics: sauberes Wasser, Moskitonetze, Solarenergie, Bildung, was auch immer. Kaum schaltete man einen Nachrichtensender ein, erzählte einem ein Milliardär oder sonstiger Prominenter, wie sich das anstellen ließe.

Quasi über Nacht schien Amerika plötzlich zu wissen, dass es gute Diamanten und „Blutdiamanten“ gab. Und obwohl kaum davon auszugehen war, dass irgendjemand die wilde Mischung der an diesen Operationen beteiligten Gruppen auseinanderhalten konnte, wussten wir mit einem Mal, dass unsere Smartphones den Einsatz bestimmter Mineralien erfordern, die im Kongo unter schrecklichen Bedingungen gewonnen wurden, manchmal sogar von Kindern. Vielleicht können wir eines Tages ein faires Smartphone kaufen, wie ein Paar Stoffschuhe, das ein Kind in Uganda ernährt, oder Fairtrade-Kaffeebohnen, mit denen ein Farmer ein paar Cent extra verdient. Vielleicht ist das die Lösung und alles wird gut.

Mit Beginn des neuen Jahrhunderts sorgten 9/11 und der Irak dafür, dass Afrika aus dem Blickfeld verschwand. Islamischer Terrorismus, Sprengfallen und die Taliban verlagerten die Aufmerksamkeit Amerikas und Europas auf die Probleme im Nahen Osten und in Südasien. Afrika war—nun ja, Afrika. Der Schwarze Kontinent. Undurchsichtig. Unerforscht. Unbekannt.

Dann, Anfang März 2012, stießen junge Leute beim Surfen im Internet auf einen Amateurfilm. Er schien selbst gemacht zu sein und zeigte einen Mann, der seinem jungen Sohn etwas über schlechte Menschen in Afrika erzählte. Der Film Kony 2012 stammte von einer kleinen Gruppe religiöser junger Filmemacher in San Diego, die zuvor im 700 Club über Uganda diskutiert und Videos von entführten Kindern gezeigt hatten. Dieser spezielle Film gab einen kurzen Überblick über die verabscheuungswürdigen Taten von Joseph Kony, dem Anführer der Lord’s Resistance Army, der der breiten Öffentlichkeit bis dahin quasi unbekannt war. In Afrika hingegen war dies nichts Neues—Kony war sechs Jahre zuvor aus Uganda geflohen. Der Film war dazu gedacht, ihn „berühmt“ zu machen, damit er gefasst werden konnte. Zugleich handelte es sich um eines der größten Events in der Geschichte des Internet; heute scheint es, als wüßten nahezu alle Leute zwischen 12 und 35 Jahren, dass es da einen ganz schlimmen Mann in Afrika gab, der Kinder stahl, um sie zu Soldaten zu machen. Kony läuft noch immer frei herum und keiner weiß genau, was mit ihm geschehen ist. Was allerdings alle wissen, ist, dass der Macher des Videos gefilmt wurde, wie er kurz nach Erscheinen seines Films nackt vorbeifahrende Autos anbrüllte. Jedenfalls wandte sich, vereinfacht ausgedrückt, das Interesse des Westens von der hoffnungslosen Gewalt im Nahen Osten hin zu einer einfacheren, nobleren Sache: Wir müssen nur einen bösen Mann im afrikanischen Urwald finden und alles ist in Ordnung.

Zum Zeitpunkt von Mandelas Tod und seinem prominent besuchten Begräbnis im Dezember 2013 hatte es einmal mehr den Anschein, Afrika könne gerettet werden.