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​Unterwegs mit nicht peinlichen Schland-Fans

Deutsche Fans schreien „Sieg! Sieg! Sieg", während das Bier vom Schnurrbart auf die Plauze tropft und der Stock keinen Zentimeter aus dem deutschen Anus weicht. Dass es kreativer und lustiger geht, zeigt die „Sektion Ratskrone".
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Diese Plakat stammt nicht von der Sektion Ratskrone | Foto: imago | Hartenfelser

Der Alte Hafen von Marseille ist ein einziges Spiegelbild. Im Wasser reflektieren glitzernd die Sonnenstrahlen, die vor Anker liegenden Luxusyachten sind so blank gewienert, dass sich an ihrer Außenhaut die schönen Frauen der Stadt die Wimpern nachziehen könnten. In den Sonnenbrillen der Träger vervielfältigen sich die ohnehin nicht enden wollenden Eindrücke dieser aufregenden Stadt. Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, schmückt den Hafenvorplatz eine zehn Meter hohe Dachkonstruktion, in dem die Besucher, wenn sie den Kopf in den Nacken legen, ihr eigenes Spiegelbild grüßen können.

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Alles lacht und scheint und spiegelt sich. Und dann kommen die Deutschen.

Deutsche Nationalmannschaftsfans haben seit jeher einen beschissenen Ruf. Man kennt sie in ihrer schlimmsten Form als glatzköpfige Stiernacken-Trupps, die vor lauter „Frankreich-Überfall"-Verzückung mit einem Dauerständer durch die Gegend laufen würden, hätten sie nicht so kleine Eier. Die große Masse hat mit Gewalt und Gröfaz-Fantasien zwar nichts zu tun, ist in ihrer ganzen Schlandhaftigkeit aber auch kein Gewinn für ein Turnier. Die Welt liebt (Nord)Iren, die kleine Babys in den Schlaf und Stadiongänger um den Verstand singen und ergötzt sich an sympathischen Walisern, Isländern und knuffigen Albanern. Viele unserer deutschen Repräsentanten singen in der Kurve die unsägliche Textzeile aus dem Onkelz-Schmetterer „Mexiko" oder feiern den „Sieg! Sieg! Sieg", während das Bier vom Schnurrbart auf die Plauze tropft und der Stock noch immer keinen Zentimeter aus dem deutschen Anus weicht. Eine schaudrige Kombination.

Die Deutschen also. Da stehen sie und spiegeln sich. Ein Gruppe Mittzwanziger aus Oberfranken, Vielfachfahrer vom 1. FC Nürnberg, einige inzwischen in Deutschland verstreut. Fußball, schon immer sozialer Kitt und Schmierstoff zugleich, hält die Clique beisammen. Vaterschlandig wirkt hier schon einmal niemand.

Was machen die Jungs hier? Ich werde der „Sektion Råtskrøně" vorgestellt. Die Herren tragen ein hübsches Banner bei sich, später am Abend werde ich noch Polohemden und selbst gebastelte Fake-Akkreditierungen sehen. Was aber viel wichtiger ist: warum die Jungs hier sind, was sie hier machen—und wie sie über den Fußball denken.

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Wir rollen los pic.twitter.com/Jb3HhFljmU
— Sektion Råtskrøně (@SektionRats) 16. Juni 2016

Denn natürlich gibt es auch sie: deutsche Fußball-Fans, die den EM-Sommer nutzen, um sich eine großartige Zeit zu machen. Die alte Freundschaften auffrischen, statt Onkelz guten HipHop hören, wenn sie mit Mietautos durch Frankreich fahren, um sich dann in den Städten des Gastgebers auf die Suche nach der Fußball-Kultur zu machen. Die witzig sein können wie Engländer, die singen wie die Iren und sympathisch rüber kommen wie all die -sons mit ihren hübschen Frauen. So wie die Gang von der „Sektion Ratskrone".

Die Runde fuhr früher gemeinsam dem Club hinterher, dann kamen Unis, Frauen und das Leben, Fußball blieb. Jeder hier hat noch einen Zweit- und Drittklub, dem man einen Teil seiner Leidenschaft anvertraut hat, weil „nur mit dem FCN unterwegs zu sein, macht ja auf Dauer depressiv". Und weil einer vor einigen Jahren sein Herz an die Fußballstadt Marseille und OM verloren hat, hat die Sektion ihr Basislager während der Vorrunde dieser Europameisterschaft hier aufgeschlagen.

pic.twitter.com/NyTlb3IjKZ
— Sektion Råtskrøně (@SektionRats) 19. Juni 2016

Zusammen mit einem gemeinsamen Bekannten und Einheimischen streifen wir durch die Altstadt von Marseille, freuen uns über kleine Viertel, frei von Touristen, trinken Dosenbier mit Blick auf das Meer, fragen uns, wo Marek Mintal eigentlich geblieben ist (an sich eine unnötige Frage bei einem, den sie früher „das Phantom" nannten)—und entdecken irgendwann einen Bolzplatz in Steinwurfweite vom Wasser. Drinnen spielen sich drei kantige Typen mit Sonnenbrille und Arsenal-Trikots einen dieser Minibälle zu. Kaum erkennen sie unser Vorhaben, werden wir schon auf den Platz gewunken.

„Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiß", hat der Albert Camus gesagt, „verdanke ich dem Fußball." Recht hat er, der Herr Philosoph. Dieser kleine Ball in der Mitte lässt aus Kanadiern (die drei Schränke), Oberfranken, einem Franzosen und einem Berliner in kürzester Zeit eine laut johlende Gruppe werden, die sich mit dem gleichen Feuereifer auf den Ball stürzt wie früher im Kindergarten. Wir gewinnen, trinken mit den Kanadiern das letzte Dosenbier, machen Fotos, schwören uns ewige Freundschaft und als alle auseinander gehen, grinsen die Beteiligten wie frisch Verknallte, die eben einen Liebesbrief zu Ende gelesen haben.

Abendprogramm pic.twitter.com/5hx7f3vLIu
— Sektion Råtskrøně (@SektionRats) 22. Juni 2016

Später schauen wir Fußball. Trinken Bier, essen Pizza, tauschen kleine Geschenke aus und sind froh, uns gefunden zu haben. So viel gelebte Fußball-Kultur ist ja nicht unbedingt erwartbar bei einem Turnier, dass damit begann, dass Russen und Engländer die Innenstadt von Marseille in ein Bürgerkriegsgebiet verwandelten und deutsche Reisende die Bevölkerung von Lille mit Hitlergrüßen an die Kotzgrenze brachten.

In was für einem Schland leben wir eigentlich? Nach der Begegnung mit dem Jungs von der „Sektion Råtskrøně", die ja nicht alleine sind, sondern viele Brüder im Geiste haben, die ebenfalls durch Frankreich touren, hat sich das Bild von deutschen Nationalmannschaftsfans merklich gebessert. Sieg! Sieg! Sieg! Wenn man so will.