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Mode

Gabber im Namen der Liebe

Wenn du einen Faible dafür hast, kiloweise Drogen in dich zu schaufeln, und auf zwölf Stunden Party am Stück stehst, dann ist Gabber dein Ding.
Jamie Clifton
London, GB

Wenn du einen Faible dafür hast, kiloweise Drogen in dich zu schaufeln, und auf zwölf Stunden Party am Stück stehst, dann sind die Chancen gut, dass du schon mal was von Gabber gehört hast. Ein Nasenbluten verursachendes, holländisches Sub-Genre von Hardcore-Techno, dessen Fans so aussehen, als würden sie dich in die Bordsteinkante beißen lassen, wenn du etwas Beleidigendes über ihren Ohrschmuck sagst. Wenn sich das ein wenig übertrieben für dich anhört, wirf dir eine Air Max Uniform aus den 90ern und eine widerlich gemusterte Sportjacke um. Dann rasier dir den Kopf, schmeiß dir ein paar Pillen ein und auf geht’s zum Gabber-Rave, denn es könnte das modischste sein, dass du in deinem Leben je getan hast. Dieses Genre hat die Mode auf Arten beeinflusst, die ziemlich abwegig, aber bedeutend sind. Am aufsehenerregendsten ist Tom Nijhuis unglaubliche Kollektion 1995 und Raf Simons bahnbrechendes Lookbook Isolated Heroes. Also wenn du bei der Musik das Verlangen hast, dich selbst umzubringen, wirst du im Folgenden wenigstens noch ein paar Styling-Tipps bekommen. Ich sprach mit Alberto Guerrini, einem italienischen Ex-Gabber-Fan, Initiator des Blogs Gabber Eleganza und Co-Gründer vom Gabber Fan-Magazin In The Name Of Love. Ich weiß, er ist kein Holländer, aber was soll‘s, du Rassist. Er weiß auf jeden Fall, was für eine Scheiße passiert, wenn es darum geht Gabber-Kluft zu tragen und zu den Klängen einer Musik abzugehen, die dir das Gehirn rausfickt.

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Gabber Mädels [die meisten] zeigen das klassische Merkmal: Undercut und Pferdeschwanz. Foto vom Exactitudes-Projekt. VICE: Wie bist du das erste Mal mit der wunderbaren Welt von Gabber in Berührung gekommen?
Alberto Guerrini: Oh, das ist schon einige Jahre her. Ich habe schon als Teenager angefangen „harte“ Mixtapes von Techno-Raves überall in Italien und von Diskos an der Adriaküste zu hören. Aber ich glaube, dass erste Mal, als ich mich mit der Gabber-Kultur auseinandergesetzt habe, war 1998, als ich einen Gabber-Typen auf der Straße, in der Nähe von meinem Dorf sah und fasziniert von ihm war. Was hat dich Fasziniert? Seine Kleidung?
Ja. Ich hörte ja bereits Hardcore- und Rave-Musik, aber die einzigen Leute, die ich sah, wenn ich Nachts raus ging, waren welche die wirklich farbige Kleidung trugen – du kennst doch diesen Rave-Look hier, eine Mischung aus Ravern, Cyperpunks und Chavs–wir nenne sie Zarri. Also ich sah diesen Typen und war einfach von seinem Aussehen fasziniert. Er war diskret, aber uniformiert, wie als wenn er zu einer Gang gehören würde. Keine kriminelle Bande, nur eine Gruppe von Leuten die rumhängen, kiffen und auf Raves gehen. Haha, cool. Was für Teenager interessieren sich für Gabber in Italien? Ist das was soziales, oder reine Geschmackssache?
Ich glaube es ist im Rest von Europa genauso, aber besonders hier in Italien, es ist ein superjunges Phänomen. Es sind hauptsächlich Schüler, die Arbeiterklasse oder Leute vom Land. Es sind nicht unbedingt die Klügsten, wenn du weißt was ich meine, aber sie sind authentisch.

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Eine Gruppe italienischer Gabber-Fans, um 2009. Was ist mit den Faschisten? Ich weiß das es große Probleme mit Gruppen gab, die bei Gabber-Partys aufgetaucht sind.
Ja, aber die sind kein so großes Problem mehr. Anfang 2000 war Gabber in Italien ein Synonym für den Faschismus, aber das lag wahrscheinlich vor allem daran, dass sie sich ähnlich kleideten, nicht weil es die Mitgliedspolitik von Gabber-Fans ist nur Faschisten aufzunehmen. Hattest du das Gefühl dich so anziehen zu müssen, als du anfingst auf Gabber-Nächte zu gehen?
Na ja, als Teenager tust du alles, um Teil von etwas zu sein, um zu einer Szene zu gehören, also mit Trainingsanzug und alles was so dazu gehört. Ich hab Tage damit verbracht, mir Videotapes von holländischen Raves anzuschauen, um die Tanzbewegungen zu kopieren und herauszufinden, was für Klamotten die Leute so tragen. Aber ich hab es noch nie erlebt, dass jemand Ärger bekommen hat, weil er keine Gabber-Kluft getragen hat. Erklär mir mal das mit der Gabber-Kluft. Was sieht man so typischerweise auf einer Gabber-Party?
Es sieht ziemlich sportlich aus, wie eine Mischung aus einem entspannten Fußball-Look und dem europäischen Raver-Look. Dazu gehören immer Trainingsanzüge oder Baggy-Jeans, weil man entspannt Tanzen will. Die Laute tragen kaum Schmuck, weil der beim Tanzen stört, aber wenn sie es tun, dann tragen die Mädchen Schnuller und die Jungs holländische Mini-Flaggen.

Gabber Jungs vom Exactitudes Foto-Projekt. Wow, ich hab noch nie davon gehört dass Leute Flaggen als Schmuck tragen. Welche Marken sind beliebt?
Es gibt da so eine italienische Tennismarke, die heißt Australian by L’Alina, die ist definitiv am beliebtesten für fluoreszierenden Jacken und Jogginghosen. Nike ist total in bei Schuhen – jeder hat ein Paar Nike Air Max90. Sie sind das must have, du weißt schon was ich meine? Die T-Shirts haben immer diese grauenhaften Aufdrucke, entweder steht da ein Motto, wie etwa der Klassiker „Hardcore Will Never Die“ oder es ist so eine Mischung aus abgedrehten Fantasy-Cartoons und Black-Metal Symbolen. Black-Metal? Das hört sich seltsam an. Gibt es da eine Art Überschneidung der Genres?
Ja, ich hab keine Ahnung warum das so ist, ehrlich. Da musst du die echten holländischen Gabber-Leute fragen. Ich glaube es hat etwas damit zu tun, dass beides Hardcore-Musik ist, also kann man auch von beidem Ähnlichkeiten in der Ästhetik erwarten. Ja, das kann man sich vorstellen. Und die Haare? Diese Undercuts sehen super aus.
Ja, die Haare sind das Einzige, wie man Gabber-Jungs und Mädels unterscheiden kann, sonst wäre es ein totaler Unisex-Look. Die typische Frisur für Gabber-Jungs ist überhaupt keine, komplett rasiert und Mädels tragen meist Undercut und Pferdeschwanz. Obwohl, die richtig mutigen Mädels rasieren sich manchmal auch die kompletten Haare ab. Das ist etwas, dass sich verändert hat seit den 90ern, damals hat sich keiner die Haare gefärbt. Aber diese neue Generation ist ein Mix aus Gabber, Cyber-Goths und Ravern, also sieht man viele verschiedene Dinge bei den Haaren zur Zeit Dreadlocks, verschiedene Farben und so weiter.

Andere Sachen müssen sich doch auch verändert haben?
Ja, haben sie. Seit 2000 gab es mehr Einfluss durch Skinheads, also sind Militärhosen, große Stiefel und britische Marken, wie etwa Fred Perry und Lonsdale, beliebt geworden. Dann gibt es hier in Italien einen neuen Trend, der sich Freestyle nennt, dabei mischen junge Männer Baggy-Pants und Skater-Schuhe, mit australischen Neon-Jacken. Mädchen mischen den Gabber-Style mit Cyber- und Crustie-Raver-Style. Es ist schrecklich! Was ist mit individuell gestalteten Bomberjacken? Sie waren eine ziemlich konstanter Teil der Gabber-Fashion, oder?
Ja, total. Individuelle Jacken waren hier immer groß. Ich hatte eine alte Bomberjacke und schrieb auf den Rücken „HAKKEH!“–ein Gabber Tanzstil–in großen gotischen Buchstaben. Dann hab ich Flicken von Plattenlabels auf die Arme geklebt. Es war schrecklich. Du konntest diese Flicken in Italien nicht bekommen, also hab ich sie alle selber gemacht, das war ziemlich cool. Ich hab leider keine Fotos davon. Ohne Scheiß! Obwohl du diese ganzen Fotos in den Clubs gemacht hast, hast du nie daran gedacht deine eigen Jacke zu fotografieren?
Haha, Nein. Ich bin eigentlich gar kein Club-Fotograf. Das Fanzine das ich gemacht habe, ist eine Kollaboration mit einem Grafikstudio, das sich Studio Temp nennt. Wir entschieden uns einfach ein Fanzine über das Gabber-Phänomen zu machen, für Leute die noch nie davon gehört hatten oder einfach den falschen Eindruck hatten. Eine kleine, aber feine Sammlung von Gabber-Jacken.
Es ist lustig, das du es eine Kultur nennst, denn die wenigsten Leute halten es für eine eigene Kultur. Erst jetzt, nachdem es schon jahrelang existiert, fangen die Leute an, es als mehr, als einfach nur ein Tanzphänomen wahrzunehmen und bezeichnen es als eine Kultur. Um deine Frage zu beantworten, verweise ich dich einfach auf den Namen des Gabber-Fanzines: Gabber, In The Name Of Love. Die Pillen haben sicher dabei geholfen, die Liebe zu verbreiten, oder?
Klar, sicherlich. Pillen waren groß in Mode. Die Leute schluckten zehn bis 15 Stück pro Nacht. Speed und Amphetamine schmecken zwar wie Scheiße, aber sie sind ideal, wenn du sechs Stunden lang wie ein Soldat tanzen willst. Noch mehr Leute nehmen heutzutage auch MDMA, Ketamin und Kokain. Ernsthaft, ich erinnere mich da an diese Typen, die auf einem Rave den ganzen Gabbern ihre Schuhe geklaut haben. Dann sind sie zur Bahnstation gelaufen und haben dort den selben Gabbern ihre eigenen Schuhe verkauft, damit sie genug Geld hatten um sich Koks für die Afterparty zu kaufen.