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The Profiles Issue

Reviews

Highlightbefreit bis tief im Arsch Gottes. Die Reviews sind da!

ATMOSPHERE
Southsiders
Rhymesayers Entertainment

Neulich stellte der New Yorker Designer und Datenanalyst Matt Daniels seine Untersuchung zum größten Vokabular im HipHop vor. Auf Platz eins rangiert mit großem Abstand Aesop Rock, gefolgt von GZA und Kool Keith. Seine Referenzgröße in Sachen individueller Worterwähnungen—Shakespeare—kam im vorderen Mittelfeld an. Das Duo Atmosphere aus Minneapolis kam nun gar nicht erst vor, wobei nicht überliefert ist, ob Rapper Slugs Lyrics denn wirklich so dünn sind, oder ob sie überhaupt ausgewertet wurden. Das gefühlte Vokabular des Conscious-Rap-Duos ist jedenfalls auch auf dem achten Album Southsiders gut und groß genug, um weit vorne mitzuspielen. Jetzt müsste man Ant nur noch einen jungen, wilden Praktikanten an die Produktionsseite stellen, damit seine Beats nicht mehr so bemüht nostalgisch und damit vorgestrig klingen. Sogar das wohl weniger provokant gemeinte als betitelte „Kanye West“ klingt mit seiner verzerrten E-Gitarre und den Vocal-Hooks aus dem Damenchor so originell und frischrchCHrChRrrrchch … Entschuldigung, kurz weggenickt.
SCHAKKELINE SPEARES

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RATKING
So It Goes
Hot Charity/XL Recordings

Das ist es, das Manifest der Gewissensambivalenz vieler Großstadtgeschädigter. Bist du dir auch permanent unsicher, ob du jetzt eigentlich im Buddelkasten der coolen Kids mitspielen oder doch lieber eine Handgranate gegen die höchste Hipsterburg pfeffern willst? Das hier ist dein Album. Bei Ratking muss man sich jedoch auch permanent die Frage stellen, ob der Generalverzicht auf knackige Hooks als subversives Statement zu verstehen ist oder als Unfähigkeit, knackige Hooks zu schreiben. So It Goes bleibt unentschlossen zwischen Eastcoast-Rap-Purismus und radikaler Soundumwälzung, nistet sich im Consciousness-Spektrum irgendwo in der Mitte zwischen Nas und Dälek ein und schüttelt nur in seltenen Momenten den Eindruck ab, generell im Mittelfeld zu Hause zu sein.
AVA RICH

ALLE FARBEN
Synesthesia
Kallias

Kommt jetzt jedes Jahr ein sinneszentriertes Album raus? Hatte DJ Koze im letzten Jahr noch die Amygdala und somit das Angstgefühl zum Thema, ist es bei Alle Farben nun die Synästhesie—und mir ist auch klar, worauf Frans Zimmer mit dieser Sinnesstörung im Titel hinaus will: In Musik lassen sich prima (Klang-) Farben hineininterpretieren, diese Art der Lautmalerei evoziert der Berliner ja schon im Namen. Nun weiß ich nicht, ob es sich bei Synesthesia einfach nur um ein hübsches Bild für Alle Farbens stets elendig gutgelaunt-romantischen House- bis Minimal-Tech-Pop handelt, oder ob der Kreuzberger Produzent und DJ hier einen Einblick in sein ärztlich begleitetes Innenleben gibt—auf dem Cover steht jedenfalls als Untertitel I Think In Colours in Kapitälchen.

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Die Bildwelten beim Hören des Debütalbums sind aber schon nach der Farbpalette im Intro („Azur“, „Khaki“, „Korall“, „Magenta“) abgesteckt und komplementär: Wo ich durchgehend an Holi-Pulver, Mega-Open-Airs, Konfettiregen, Capri-Eis beim Tanz im See und andere Feelgood-Posen aus der Deep-House-Hölle denken musste, wirst du wohl an fallendes Laub („Leaves“), zerbrechende Herzchen („Blue“) oder tanzende Roboter („D. Punk“) denken. Wo ich einen zutiefst klischeebeladen und kurzweiligen Soundtrack eines beliebigen Festival-Aftermovies höre, wirst du genau die richtige Mukke für genau DEN Moment des kommenden Sommers hören.

Synesthesia—dafür braucht es kein absolutes Gehör und das muss man Alle Farben auch mal zugutehalten—hört sich bei allen geschmäcklerischen Flachheiten und den vielen mit Frauenstimmen besetzten Vocalfeatures einfach zu gut weg, als dass man sich groß an etwas stoßen könnte.
ROT FRONT

DOWNLINERS SEKT
Silent Ascent
InFiné Music

Eigentlich dürfte bei diesem Album gar nicht mehr so vielen Musiklovers warm im Schritt werden, die Leidenschaft an UK-Post-Something-Musik ist den meisten ja längst abhanden gekommen—das Interesse an elek­tronischer Dubmusik ohne körperliche Härte, dafür mit verhuscht-hingehauchten Vocals schien irgendwie durch zu sein. Schön, wenn’s dann eben doch anders kommt. Das Produzententeam Downliners Sekt hat hier nämlich eine betörende Platte hingelegt, deren Titel schon den Klang vorwegnimmt: ein sanfter Anstieg. Mühsam aufgebaute Progressionen aus Dub-Patterns, Electronica, effektbeladenen Hall-Stimmen, die—wie im Titelstück—nur von sporadischem Aufbäumen unterbrochen werden. Silent Ascent ist eigentlich am schönsten mit der fortwährenden Herauszögerung eines Orgasmus zu beschreiben, was natürlich noch besser zum Bild taugt, wenn man weiß, dass die beiden Downliners aus Barcelona früher auch mal Pornos nachvertont haben. Und jetzt eben Schmusesound für Freunde elektronischer Instrumentalmusik à la Mount Kimbie, Airhead oder Klaus zum klar- oder mit deinem Liebhaber zusammenkommen.
KAI INTERRUPTUS

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DOUGLAS GREED
Driven
BPitch Control

Wenn du bisher dachtest, nur Moderat können diese Symbiose aus Clubmusik und stimmungsvoll getragenem Gesang, aus Subkultur- und Pop-Appeal, dann bist du schief gewickelt. Das Jenaer Eigengewächs Douglas Greed schmiegt sich mit seinem zweiten Album Driven ziemlich stilsicher in jene Nische, die Modeselektor und Apparat noch mühsam für wachsende Massen zugänglich machen mussten. Sicherlich: Die musikalischen Mittel sind etwas andere, aber die Seil- bzw. Bekanntschaften sind mit Ellen Alien und ihrem BPitch-Control-Label dieselben. Und eigentlich lässt sich bei Douglas Greed dann doch alles heraushören, was die deutsche Club- und Labellandschaft zwischen Techno und Breaktronica zu bieten hat. Wer dann aber den polnischen Produzenten und Sänger Mooryc schon so lange auf dem Zettel, im Freundeskreis und jetzt eben auf der Feature-Liste hat, ist so ein schlechter Kerl sicherlich nicht.
OLD GREEDY BASTARD

DAVID K
Out Of Range
Souvenir

Vielleicht verhält es sich bei Künstlernamen wie mit URLs: Der Platz wird knapp. Aktuell treibt David K nämlich doppelte Blüten: der eine aus Leipzig, der andere aus Paris. Der eine mit Happy-Sonnenschein-Tech-House, der andere mit Düster-Dub-Tech-House. Im Folgenden soll es um den anderen gehen: den Franzosen David K(emoun), mittlerweile in Berlin lebend, der jetzt auch schon eine Dekade lang Platten veröffentlicht—jetzt folgt sein Debüt auf Tiefschwarzens Souvenir-Label. Dass die Platte weiterhin recht französisch klingt, ist wohl kein großer Zufall: Zehn Jahre lang war das Album schon in der Mache—mag sein—also noch vor seinem Umzug in die deutsche Hauptstadt. Viel deutlicher hört man die klangliche Nähe zu Circus-Company-Releases heraus, was sich am deutlichsten in der Kollaboration „How Beautiful You Are“ zeigt, in der Jaw von dOP über einen recht verführerischen House-Groove säuselt. Lovin’ it! Auch schön: das breaklastige „Abcb“, die rollende Bassline in „Say It I Miss You“, die Handclaps in „Show Me The Deal“, das Klaviermotiv in „Escale To New York“, die Dubs und Synths in „Roots & Memories“. Nicht nur gute Ideen, sondern auch immer wieder gut ausformulierte Klangmotive. Nicht so schön: die Zerrissenheit des Albums an sich. Stück für Stück betrachtet ist das alles fein, aber warum die vielen für sich stehenden Stile, Rhythmen und Tempi, warum das Albumformat, wenn das alles doch mehr nach Single-Format, als nach Longplay klingt?
DIVA DK

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TERRA TENEBROSA
V.I.T.R.I.O.L. – Purging The Tunnels
Apocaplexy

Auch wenn Label und Waschzettel wiederholt das Gegenteil behaupten, mit zwei Stücken in 25 Minuten ist das Teil keine LP, sondern bestenfalls eine EP. Das nur mal als kleine, solidarische Verbraucherdurchsage an alle sammelwütigen Psycho-Metalheads. Andererseits liegt uns die „LP“ bzw. EP auch nur als CD vor, vielleicht handelt es sich also auch um eine besonders ausgebuffte Verwirrungsstrategie, die den maskierten Schweden durch­aus zuzutrauen wäre. In welchem Format auch immer, die Veröffentlichung schlägt einen feinen Kreis: auf der A-Seite gibt es einen unveröffentlichten 17-Minüter aus der Session zum letzten Album The Purging—die B-Seite ­glänzt mit dem Track, mit dem alles anfing („Apokatastasis“).
MERKINS SPINNER-TEAM

ARCHIE BRONSON OUTFIT
Wild Crush
Domino Record Co

Ist das nur schwer herauszuhörende Mehrstimmigkeit oder singt in „Glory, Sweat And Flow“ tatsächlich ein Vocoder im Duett mit Sam Windett? Nein, doch nicht verhört: Auch in „Lori From The Outer Reaches“ und „Country Miles“ singt der Roboter wieder mit, dazu trötet auch noch Duke Garwood am Baritonsaxofon. Grausig. Man muss sich schon fragen, warum Archie Bronson Outfit bei einer ansonsten recht geilen zwischen Schweine- und Blues-Garage-Rock mäandernden Platte auf dieses eigentlich genrefremde Gedudel zurückgreifen mussten. Das voll egale und unnötig musikalisch überfrachtete „Country Miles“ wird jedenfalls mal schnellstens aus der iTunes-Library gelöscht, wohingegen das albumeröffnende „Two Doves On A Lake“ mit seinen minimalen Synth-Arpeggios, dem strammen Drumming, seinen fetten Gitarrenriffs und -Licks fünf Sterne bekommt. Du merkst: Hell und Dunkel liegen bei diesem Album näher beisammen, als es einem recht sein kann. Der freche Nippel auf dem Cover sorgt dann aber doch für eine positive Schlusswertung.
GIORGIO VOCODER

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SCHLIMMSTES COVER DES MONATS

PERFECT PUSSY
Say Yes To Love
Captured Tracks

Das Debütalbum einer Band, die auf der Suche nach einem edgy Bandnamen irgendwo in der Mitte stecken bleibt, weil ein Baristaknecht gerade wieder eine neue Runde Latte angerührt hat oder so was, und es folglich nicht mal bis in die Liga von Anal Cunt schafft, stelle ich mir tatsächlich genau so vor: 23 Minuten lang. Davon knapp fünf Minuten Stolpern durch Noise und nochmal knapp vier Minuten Analograuschen. Der Rest: highlightbefreiter, mumpfiger Rumpelpunk, den du wahrscheinlich geistreicher in jedem Dischord-Outtake-Mülleimer findest. Irgendeiner von diesen Hype-Trompetern da draußen muss sich wohl erdreistet haben, Perfect Pussy als die wichtigste Punkband aus Syracuse seit Earth Crisis hochzujazzen. Da möchte man fast hoffen, dass sich bei den VeganEdge-Machos blitzschnell die Feindbilder drehen und der nächste Feuersturm an überbewerteten LoFi-Scum wie diesen hier adressiert wird.
HARRY HARDLINE

SCHLIMMSTES ALBUM DES MONATS

NIGHTSATAN
Nightsatan And The Loops Of Doom
Svart/Solina/Twisted Films/Cargo

Mad Max für arme Finnen—erinnert an eine dieser verkackten, nur auf dem Papier lustigen Troma-Produktionen in der Folge des Toxic Avengers; kaum konnten wir uns von der letztjährigen Abschluss-Dublette Mutantz, Nazis and Zombies und Teenape vs. The Monster Nazi Apocalypse erholen, kübelt das muntere Müllunternehmen aus dem Herzen der Finsternis auch schon Bikini Swamp Girl Massacre, Pro Wrestlers vs. Zombies und Mutant Blast auf das (vergleichsweise) unschuldige Exploitation-Publikum. Aber selbst skrupellose Ausbeuter wie Troma hätten den erschütternd öden Kurzfilm mit dem erstaunlich langen Soundtrack nicht mit der Kneifzange angefasst. Der Name ist noch das Beste.
MELVIN JUNKO

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DAMON ALBARN
Everyday Robots
Parlophone

Du und dein Smartphone, ihr seid Teil des Problems. Jedenfalls in den Augen Damon Albarns, der auf Everyday Robots etwas desillusioniert in sein erstes Soloalbum einsteigt. Quietschende Streicher, schleppend vorgetragenes Klavierspiel und dazu der Blur-Frontmann, der in seinem markanten Timbre erklärt, dass unser aller Verlorenheit in Smartphonedisplays längst zu einer Entkopplung vom Alltag geführt hat. Im Unrecht ist er damit ja nicht: Du erinnerst dich an das viral kursierende Foto neulich auf Facebook, das zwischen 20 wartenden Smartphonelesern einen Richtung Sonne blickenden Pendler zeigte. Toll, so funktioniert das Leben also. Dass es solche konstruierten Fotos schon vor 70 Jahren gab—nur damals eben mit Zeitungen statt Handys—sagt Albarn allerdings nicht. Apropos Fotos: Deine Instagrams geben auch—„Photographs (You’re Taking Now)“—Anlass zum Verdruss: Das Leben, es wird in Albarns Wahrnehmung beliebiger, je mehr man jeden Moment zu dokumentieren versucht. Wo aber bleibt da der liedgewordene Kommentar zum Thema Life-Tracking? Aber man muss ja nicht dauernd in die Textebene absteigen, musikalisch ist Everyday Robots schließlich herrlich versöhnlich: Das funky gespielte „Mr. Tembo“, das auch als gutgelaunter Jingle von C&A-Werbespots funktionieren könnte; das an beste Gorillaz- oder Múm-Momente erinnernde, leicht infantil glockenspielende „Parakeet“; das gemeinsam mit einem schwer näselnden Brian Eno aber ebenso großartig schwülstig und stoisch vorgetragene „Heavy Seas of Love“; das sind die Momente, in denen man nicht umhinkommt, Damon Albarn als einen der größten Zampanos im Musikbetrieb wahrzunehmen—im positivst möglichen Sinne.
THE GOOD, THE BAD AND THE REVIEW

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DOUGLAS DARE
Whelm
Erased Tapes

Gerade als ich das Debütalbum von Douglas Dare in den CD-Player legte, stieß ich das erste Mal auf das angelsächsische Wort „Sappiness“. Vielleicht liegt es daran, dass ich mein Lehramtsstudium auf Englisch und Musik geschmissen habe, als sich die Gelegenheit auftat, für immer als Musikjournalist zu verenden, wahrscheinlich lag es aber doch an den Pianoklängen des jungen Engländers, um sofort an eine Verquickung der Wörter „Happiness“ und „Sadness“ zu denken. Die elektrisierenden, perlenden Klänge zusammen mit den tiefschürfenden Songwriterkünsten des Londoners lösen eben dieses Gefühl in mir aus, das—ganz anders, als du vielleicht erwar­test—nicht ambivalent, sondern durchweg angenehm ist. Etwa so wie damals, als ich meine Laufbahn als Lehrer aufgab. Später musste ich erfahren, dass „Sappiness“ eine echtes Wort ist und „Saftigkeit“ bedeutet. Aber das tut dem vor Weltschmerz triefendem Album auch keinen Abbruch.
RON KEATING

AMEN DUNES
Love
Sacred Bones/Cargo

Einfallsreichtum plus Gestaltungswille mal Haltungsnote geteilt durch drei ergibt hier den Mittelwert sechs. Das wäre auch ein schöner Titel für die Biografie von Damon McMahon, der bisher zart bis träge verspielt improvisierend, mit wechselndem Erfolg im Trüben der drogeninduzierten Fidelity-Verweigerung fischte. Auf seinem neuem, in Montreal u. a. mit Godspeed-Mitgliedern realisierten Album lässt er seiner Liebe zum „traditionellen Song und Sound“ freieren Lauf. Gott, dem Himmel oder dem Dealer sei Dank, verlustiert er sich auch unter neuen Vorzeichen immer wieder in einem tagtraumartigen Dickicht voller Wiederholungen, Ausschweifungen und verwobenen Fragmenten—undiszipliniert schön.
PETER UNLUSTIG

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SYLVAN ESSO
s/t
City Slang/RTD

Ab wann bist du eigentlich eine „Band“? Kann man auch alleine eine Band sein? Oder geht man erst ab zwei Personen als „Band“ durch? Amelia Randall Meath und Nicholas Sanborn jedenfalls schreiben „A Band“ hinter ihren Projektnamen Sylvan Esso, mit dem sie wahnsinnig druckvolle und filigrane Synthesizerpoptronica machen. Die Männlein/Weiblein-Kombination—er am Synth, sie am Mikro—ist ja eh erfolgsversprechend, siehe musikalisch ähnlich gelagerte „Bands“ wie The Golden Filter, The Hundred In The Hands oder Parasite Single. Und dann ist ihr selbst betiteltes Album auch noch inhaltlich toll austariert, von der sich mehrstimmig aufschaukelnden Handclap- und Synthblops-Nummer „Hey Mami“ am Anfang zur besinnlichen Folktronica-Nummer „Come Down“ am Ende. Dazwischen: Ihr Mini-Hit „Coffee“ und das groovende Akronym „H.S.K.T.“ sowie sechs weitere nicht minder gute Popminiaturen. Wenn jede „Band“ so stilsicher wie Sylvan Esso wäre, lebten wir in einer besseren Welt.
SYLVANA LOREDANA SARAFINA JANE

SHANDY MANDIES
s/t
Amen Records

Man muss sich schon fragen, was für ein magisches Power-Kraut man rauchen muss, um seinen eigenen Garage-Rock, nein: Northern Soul, nein: harmoniebeladenen Indie- bis Blues-Rock als „afrikanisch beeinflusst“ zu beschreiben. Nur weil es derzeit eine aufmerksamkeitsgarantierende Referenz ist oder Vampire Weekend mit ihrer Auslegung von Polyrhythmik-Appropriation zuletzt Mainstream-Lorbeeren ergatterten, macht ein sich an alten Gluecifer- und Hives-Platten entlanghangelndes Album noch keinen Afrikaner. Aber wer will schon spitzfindig sein, wenn die 47 Minuten auf dem selbst betitelten Shandy-Mandies-Album doch wie im Rausch verfliegen, die Orgel wohlig verspult und auch ansonsten vieles wie in den besten Soundtrack Of-Our-Lives-Momenten klingt. Power-Psycedelic-Rock aus Leipzig und Berlin, zu dessen viertem Durchlauf ich mir jetzt die Luft aus dem Bierglas lasse und zu legalisierende Heilkräuter anzünde.
ROCK MARLEY

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VARIOUS ARTISTS
Late Night Tales Mixed By Django Django
Late Night Tales

Wann immer „Nautilus“ von Bob James gespielt wird, läuft der Film. Und zwar nicht—wie in diesem Fall—der, den Django Django mit ihrem Late Night Tales-Mix gerne evozieren möchten. Sondern Mouse, Spike Jonzes Film für Girl Skateboards von 1996, genauer: die Chocolate-Sektion. Richard Mulder fuhr darin vor dem Fischauge Nose Wheelies wie kein Zweiter, und auch ansonsten blieb Mouse musikalisch so weit vorne, wie kaum ein anderes Skatevideo. Was im vorliegenden Fall ein Problem darstellt: Django Django haben hier einen geschmackvollen Mix abgeliefert, der mit Songs von Primal Screm, TNGHT, Canned Heat, Ramadanman, James Last und einem Wortbeitrag von Benedict Cumberbatch wie gemacht für laue Sommerabende auf dem Balkon ist und die Lager zu vereinen weiß. Aber „Nautilus“ hätten die Briten mir zu liebe dann doch gerne ans Ende setzen können.
THE DEE IS SILENT

BESTES ALBUM DES MONATS

WOVENHAND
Refractory Obdurate
Glitterhouse/Indigo

Noch mehr fiebriger Eifer, noch mehr gerechter Zorn, noch tiefer im Arsch Gottes und das Ergebnis ist kaum zu glauben—gigantisch. Es entbehrt nicht der Ironie, dass die tief religiöse, von Schuld & Sühne und Pech & Schwefel und all dem Scheiß durchdrungene Musik von David Eugene Edwards ausgerechnet in den gottlosen Ecken Europas wie dieser Schreibstube die tiefste Begeisterung entfacht, während der Mann in seiner amerikanischen Heimat, dem Land der meisten Kirchgänger, auf keinen grünen Zweig kommt. Egal, wir wissen, was wir an unseren wahnsinnigen Wanderpredigern haben, insbesondere wenn sie uns das Lied vom Armageddon mit so viel Lust vortragen.
APO/STAAT

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FATIMA AL QADIRI
Asiatisch
Hyperdub

Multi hat einen schlechten Namen, selbst das im Kern wertvolle Attribut „multidisziplinär“ trägt außerhalb von Medizin und Wissenschaft den Geruch eines Pesthauchs, insbesondere im Zusammenhang mit Kunst und—Schockschwerenot!—Kultur. Aber was will man machen: Die Künstlerin stammt aus Kuwait, das Label sitzt in London, der Titel schreibt sich deutsch, das Thema ist (ein imaginäres) China, und Fatima arbeitet nun einmal als, äh, Konzept-, ähh, Künstlerin in unterschiedlichen, ähhh, Disziplinen. Die Basis ihres Albums bildet das, was das Label als Sino Grime ausgibt (nicht, dass mir das jemand als Dubstep bezeichnet!)—und trotz Klingklang-Samples aus dem China-Restaurant sowie dem einen oder anderen interessanten Bass-Rumpeln bleibt das Ganze auf weiter Strecke erschreckend überraschungsarm, ja, nahezu seicht.
DIE CLAUDI DIE

BESTES COVER DES MONATS

CHAD VANGAALEN
Shrink Dust
Sub Pop Records

Eigentlich lebt Chad VanGaalen ja immer noch von dem eher zufälligen Hype um seine mittlerweile auch wieder sechs Jahre alte Nummer „Molten Light“. Wann immer man über den kanadischen Musiker zu sprechen versucht, wird man erst einmal mit der Großartigkeit des dazugehörigen Cartoon-Musikvideos zugetextet. „Ja, schönes Ding, morbide, schräg, jaja, wunderbar, auch ein toller Song, klar … Aber können wir über den Rest seiner Musik sprechen?“ Hier stockt dann die Debatte, denn durch den Rest seiner Lo-Fi-Folk-Songwriter-Pop-Diskografie scheint sich niemand ernsthaft durchgearbeitet zu haben. Klar, für Chads oft im oft im Falsett klingende Stimme fehlt’s dann an Ausdauer, und für seine verschrobenen Alt-Pop-Songs können sich auch nur die Wenigsten auf Dauer erwärmen. Umso besser für mich, dass VanGaalen auf Shrink Dust musikalisch seiner bewährten Formel und Timbre treu bleibt, dabei aber auch den Melodien sowie der Slide- („Weighed Sin“) und Rock-Gitarre („Leaning On Bells“) noch viel mehr Raum gibt. Für alle 2008-Nostalgiker hat er wohl ein Cover gewählt, das nicht nur zufällig an die Videoästhetik seines Hits erinnert. „Shrink Dust“ ist jedenfalls ein mehr als gelungener Einstieg für alle Zuspätgekommenen, um sich endlich mal durch VanGaalens ganzen Katalog zu hören.
P.H. ZINKER

BEN FROST
A U R O R A
Mute Records

Das hier ist die Sorte Musik, vor der dich deine Freundin gewarnt hat: Anlage aus, oder Sexverbot! Jene Sorte noisiger Rauschhaftigkeit, metallischer Grooves, eiskalter Melodieandeutungen und instrumentalen Industrials, die wie gemacht ist für Auskennerjungs und zu der nur gestandene Audiophile Liebe machen wollen: Nicht schön im Sinne von massenkompatibel, aber super (sperrig). Eingespielt hat der in Island leben­de Australier mit dem sehr genialen Namen Ben Frost konsequenterweise mit Leuten, die im Alltag auch mit Outsidermusik hantieren: Shahzad Ali Ismaily, Greg Fox (Ex-Liturgy) und Thor Harris (Swans) trugen ihren Teil zu diesem wahnsinnigen Synthesizerexzess von einem Album bei, das man gar nicht anders als besinnungslos laut spielen bzw. hören möchte —obwohl man bei Stücken wie „The Teeth Behind The Kisses“ auch mal in ein Loudness-Loch fallen kann. Und wenn dann doch das Gespräch auf die vermeintliche Unerträglichkeit solcher Musik seitens des Partners kommen sollte, kannst du ja immer noch als Kompromiss das ambiente Stück „No Sorrowing“ auf Repeat spielen und dazu Löffelchen anbieten.
JON LARAMY