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Ein Tag ohne Mord und Totschlag auf dem rauen Pflaster von Los Santos

Wir wissen alle, dass „Grand Theft Auto V" derbe gewalttätig ist – aber kannst du als Spieler auch Spaß haben, wenn du einen ganzen Tag lang—in Echtzeit—zockst, ohne auch nur einmal eine Knarre zu ziehen?

Wofür ist die Grand Theft Auto Serie noch mal bekannt? Für ihren besonderen satirischen Sinn für Humor? Das ist wohl umstritten – der eine Spieler mag sich schlapp lachen, während anderen angesichts eines Firmennamens wie Lifeinvader – die Parodie auf Facebook in GTA V – nicht mal ein mattes Lächeln über die Lippen geht. Sind es dann vielleicht die spannenden Mehrspieler-Modi? Nun ja, GTA Online ist unglaublich populär, und versammelt Millionen von Spielern, die sich explosive Verfolgungsjagden liefern oder die spektakulären Stunts ihrer Mitspieler bestaunen. Gewalt? Aber sicher. Es ist die Gewalt. Die hier wirklich nicht zu knapp vorkommt. Ihr habt wahrscheinlich darüber gelesen, oder zumindest die reißerischen Schlagzeilen gesehen.

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Aber ist Gewalt nicht schon seit den Zeiten von Space Invader ein fester Bestandteil der Welt der Computerspiele? Ich habe in den 1980ern wie ein Besessener Renegade gespielt, habe aber noch niemanden wirklich mit einem Brecheisen erschlagen. Jedenfalls noch nicht. Für mich sind die Waffen und das Blut in GTA auf jeden Fall ein ziemlich normaler Bestandteil dieses Mediums. Aber ich bin schon lange von den Welten fasziniert, die Rockstar für seine Open-World-Abenteuer geschaffen hat – und das gilt nicht nur für die 2D und 3D-Versionen von GTA, sondern auch für ihr Western-Epos Red Dead Redemption , die Internatsstreiche in Bully und sogar den Slow-Motion-Shooter Max Payne 3. Letzterer war zwar linear, aber das Setting in São Paulo war eine äußert willkommene Abwechslung nach diesen ganzen in den USA verorteten Sandbox-Spielen.

Hol schon mal das Popcorn.

Die aufregendste aller von Rockstar geschaffenen Welten ist aber zweifelsohne die von Grand Theft Auto V – die Los-Angeles-Parodie Los Santos und die daran grenzende nördliche Region Blaine County. Überall in der Stadt finden sich Verweise auf ihr reales Vorbild: eine Vinewood-Werbung anstelle des berühmten Hollywood-Schriftzugs, Del Perro Pier statt Santa Monica. Und es gibt auch viel, was man in dieser Stadt unternehmen kann; eine Vielzahl an Sehenswürdigkeiten, die man sich näher anschauen kann, wenn man nicht gerade eine handlungstragende Mission spielt. Es gibt Kinos, die den ganzen Tag offen haben, und einen Stripclub, in dem man sich beim Sonnenuntergang betrinken kann. Es gibt Berge, die man entweder besteigen oder mit QUAD-Rädern hoch- und runterrasen kann, Tattoo-Studios, Frisöre und jedem Menge Klamottenläden, in denen man die auf krumme Wegen erworbenen Kröten auf den Kopf hauen kann.

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Ich wollte herausfinden, ob ich einen kompletten Tag, in Echtzeit, in Los Santos und Blaine County verbringen könnte, ohne auch nur einmal die Knarre zu ziehen, der Versuchung zu erliegen einen Passanten abzuknallen oder eine Tankstelle in die Luft zu jagen. Würde es genug Ablenkung geben, um mich, auch nur für einen einzigen Tag, auf dem Pfad der Tugend zu halten? Es gab nur einen Weg es herauszubekommen. Beachtet dabei zunächst, dass die Uhr im Spiel um einiges schneller läuft als die an eurem Handgelenk (oder, besser gesagt, auf eurem Handy, in eurer Tasche), was bedeutet, dass das ganze nicht in Echtzeit abläuft.

10:30 Uhr
Ich stehe spät auf—es soll immerhin ein echter Tag Urlaub von dem üblichen Trott des Scheißebauens und Leutekillens sein. Und „ich", heißt in diesem Fall Franklin Clinton, einer der drei spielbaren Protagonisten von GTAV. Er beginnt das Spiel ohne Kohle und wohnt bei seiner Tante im kriminalitätsgebeutelten Viertel Strawberry in South Los Santos. Ich habe die PS4-Portierung des Spiels – die Version, die ich für diesen Artikel spiele – noch nicht abgeschlossen (auf der 360 allerdings schon), aber ich bin weit genug, um schon Zugang zu Franklins etwas schickerer Bude im 3671 Whispymound Drive in den Vinewood Hills zu haben. Hier hole ich mir also erst mal was zum Anziehen, bevor ich mich auf den Weg zum Los Santos Golf Club mache. Weil, na ja, einfach so. Im Radio dudelt die ganze Fahrt über natürlich ausschließlich Pop-Musik.

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Ich spiele eine Runde mit zwei über Par und lasse meinen Frust an einem Schild aus, das neben dem Tee des neunten Lochs steht. Franklin scheint aber dennoch ganz zufrieden zu sein, also feiern wir das, indem wir auf dem Parkplatz ein paar Donuts fahren und uns so bei den anderen Besuchern beliebt machen.

11:30 Uhr
Ich fühle mich sportlich und, da ich es schon einmal gemacht habe, weiß ich, dass man in GTA V auch Tennis spielen kann. Die Plätze gegenüber dem Golfplatz sind bis auf ein paar Typen, die auf Mitspieler warten, leer. Ich mache mich auf den Weg zur Wohnung meines Co-Protagonisten Michael De Santa, da dort noch ein weiterer Tennisplatz ist, aber Franklin scheint kein Fan dieser Sportart zu sein – denn als ich auf die Spieloberfläche trete, poppen keine Spieloptionen auf. Entweder kann nur Michael dieses (schon fast) Minispiel spielen, oder ich bin im Durschspielen dieser Kampagne noch nicht weit genug gekommen um die Anytime-Option freizuschalten. Aber keine Angst, wir können uns stattdessen ein Wettrennen auf dem Wasser liefern.

Auf dem Weg zu dem erwähnten Wasserrennen werde ich an einer Kreuzung von einem Kriminellen gerammt, der gerade vor den Cops abhaut. Er crasht und steigt aus seinem völlig kaputten Auto; die Bullen rasen auf ihn zu und eröffnen das Feuer. Normalerweise würde ich mich hier nicht zweimal bitten lassen – ich bin bis an die Zähne bewaffnet und Scheiß auf die Bullen, oder? Aber heute bleibe ich auf Abstand und beobachte die Szene aus der relativen Sicherheit meines Autos. Die Polizei erlegt ihre Beute und lässt sie am Straßenrand liegen. Ich mache mir eine mentale Notiz, die Freunde des LSPD heute nicht unnötig zu reizen, so gnadenlos wie die drauf zu sein scheinen.

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Ich gewinne mein erstes Wettrennen des Tages – das auf der Straße aus Los Santos heraus, unten bei den Trockendocks. Geht's noch leichter? Im Spiel beginnt die Sonne langsam unterzugehen. Ich habe Durst. Zuhause setze ich Wasser für eine längst überfällige Tasse Tee auf; im Spiel begibt sich Franklin zu dem einzigen Laden wo man, wie ich weiß, problemlos harten Alkohol bekommt: das Vanilla Unicorn. Während ich in einem geliehenen Zementmischer da rüber fahre dudelt im Radio ausgerechnet Lordes „Tennis Court" – also würden sie sich extra darüber lustig machen, dass ich vorhin nicht spielen konnte.

12:30 Uhr
Als ich schließlich—mehrere Drinks, zwei Songs des etwas überanimierten DJs und ein paar wacklige Aufstehversuche später—die Bar verlasse, beginnt die Sonne gerade über Los Santos aufzugehen und ich habe den Einfall, dass es nett sein könnte, sich das vom Strand aus anzusehen. Ich mache mich auf den Weg zum Del Perro Pier, schramme auf dem Weg dorthin aber aus Versehen ein Polizeiauto, wodurch ich sofort einen Wanted-Stern aufgebrummt bekomme, aus dem binnen kürzester Zeit zwei Sterne werden, weil ich es logischerweise vorziehe, den Cops davonzufahren als von ihnen verhaftet zu werden. Das geht nicht wirklich gut, und ich werde in einem klassischen Fall von Polizeibrutalität kurz und klein geschossen—aber nachdem ich in einem nahegelegenen Krankenhaus wiedergeboren worden bin, mache ich mich sofort wieder an die Umsetzung meines Plans unten am Meer eine Runde Achterbahn und „Ferris Whale" zu fahren. Jesse sagt mir, dass das Leben cool ist, und ich habe keinen Grund ihm zu widersprechen.

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13:30 Uhr
Ich fahre zum Lunch nach Hause, weil das Essen im Cluckin' Bell widerlich ist. Vermute ich zumindest. Ich trinke bei der Gelegenheit gleich noch ein Glas Wein und hänge eine Weile vorm Fernseher ab, auf dem man bei GTAV zwischen zwei Programmen wählen kann—CNT und Weasel (eine klare Parodie auf FOX), auf denen beiden Reality Shows und Trickfilme laufen. Jetzt läuft gerade Impotent Rage , das ist so eine Art Superman, nur dass Clark Kent hier ein extremer Liberaler mit einem leichten Glaubwürdigkeitsproblem ist. Mich einfach mal eine Weile von ein bisschen Kino-Entertainment berieseln zu lassen, ist eine ganz gute Art eine halbe Stunde rumzubringen, besonders, weil es draußen gerade wie aus Kannen schüttet, also raffe ich mich auf und fahre zum nächstgelegenen Kino, dem auf dem Vinewood Walk of Fame gelegenen Oriental—einer Referenz auf das TCL Chinese Theater im realen Hollywood.

Hier läuft gerade The Loneliest Robot in Great Britain. Kommt, den schauen wir uns jetzt zusammen an. Ein wirklich spaßiges Filmchen.

13:45 Uhr
Zeit für einen kleinen Haarschnitt—womit ich einen komplett neuen Look meine – und ein wenig Shopping-Therapie im exklusivsten Laden des Spiels: Ponconbys. Seh' ich jetzt geil aus, oder was! Das ist also der perfekte Zeitpunkt für ein Straßenrennen. Es ist wirklich zu schade, dass ich so schlecht in Straßenrennen bin, und das trotz Franklins einzigartiger Fähigkeit, die Zeit während beim Fahren zu verlangsamen (ein Trick der mir passenderweise immer erst einfällt, wenn es zu spät ist).

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14:15 Uhr
Eine Runde Darts ist da sicher ein sehr viel ungefährlicherer Zeitvertreib. Wer kann schon der Verlockung der Pfeile widerstehen. Die kleinen Metallkörper, wenn sie im Flug das Licht reflektieren. Der Geruch schalen Biers, der die verbleibenden Teppichreste der fraglichen Kaschemme durchtränkt. Aber um in GTAV Darts zu spielen, muss man die Stadtgrenzen von Los Santos hinter sich lassen und nach Norden fahren, in Richtung Sandy Shores. Dort kann ich in diesem Aufzug nicht antanzen, also fahre ich zu einem Discounter und decke mich neu ein.

Die Leute hier scheinen nicht so auf Schwarze zu stehen. Da ich heute keine Gewalt anwende, wehre ich mich nicht. Das Ergebnis war absehbar. Aber nach einem Abstecher ins Sandy Shores Medical Centre fahre ich ins Yellow Jack Inn zurück und fange mit dem Gewinnen an.

14:45 Uhr
Nach einem weiteren (triumphalen) Jetski-Rennen von der Alamo Sea zum Lago Zancudo finde ich mich im Schatten des Mount Josiah wieder. Logischerweise besteige ich ihn; noch dazu genau in dem Moment, wo die Sonne im Spiel untergeht – was den Ausblick noch schöner macht. Ich mache mich auf den Weg zu einem Quad-Rennen auf der anderen Seite in North Chumash. Das wäre dann wohl ein weiterer Sieg für Clinton, F.

15:30 Uhr
Gar nicht so weit von der Ziellinie entfernt beginnt die Grand Senora Wüste, wo sich auch das kleine Flugfeld befindet, von dem aus man die Stuntflüge dieses Spiels fliegen kann. Aus irgendeinem Grund halte ich das trotz des ganzen Alkohols und Adrenalins in meinem Blut für einen guten nächsten Schritt. Beim ersten Challenge bin ich dann auch eine absolute Niete, obwohl der lediglich darin besteht, ein paar in der Luft schwebende Checkpoints zu treffen und unter ein paar Brücken hindurch bzw. über sie hinweg zu fliegen. Ein paar gescheiterte Versuche später, beschließe ich, dass Rache nicht nur süß, sondern auch brennend heiß sein kann, und haue ein paar Sprengkörper auf das Flugzeug, das mir seit einer halben Stunde das Spiel verleidet. Das einzige Problem ist, dass, kurz nachdem ich das Teil in ein rauchendes Wrack verwandelt habe, die Cops auftauchen – und ich es gerade noch so schaffe auf einen vorbeifahrenden Zug aufzuspringen, um ihren Sirenen und Schusswaffen zu entkommen.

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16:10 Uhr
Paleto Bay, wo ich wieder vom Zug abspringe, stellt sich als ein ziemlicher Albtraum heraus. Ich ramme erneut, ganz leicht, einen Streifenwagen, was eine Verfolgungsjagd auslöst, die ihren Höhepunkt erreicht, als ein Polizeiboot vom Meer aus auf meine Position zu feuern beginnt. Ich entkomme knapp einem weiteren Tod, indem ich mich in der Chiliad Mountain State Wilderness verstecke. Bei dem Leuchtturm von El Gordo gibt es noch ein weiteres Seerennen, und ich lege einen Zwischenstopp im „Dignity Village" ein, einem Ort, der mir während der vielen Dutzend Stunden, die ich GTAV schon spiele, noch nie aufgefallen ist. Die Bastarde, die dort wohnen, hetzten mir, aus welchem Grund auch immer, die Bullen auf den Hals, also bleibe ich nicht lange dort. Ich gewinne das Rennen und beschließe, es noch mal mit dem Fliegen zu versuchen – diesmal aber eher auf einem für Anfänger geeigneten Level. Beim Los Santos International gibt es eine Flugschule, also mache ich mich auf den Weg gen Süden.

16:45 Uhr
Ich absolviere alle Challenges der Flight School bis und einschließlich des sogenannten Flat Hatting—wo man in niedriger Höhe einmal im Kreis über die ganze Stadt fliegt—bevor ich mich wieder auf den Weg mache. Das Fliegen kann in GTA am Anfang ein bisschen tricky sein, aber wenn man es einmal drauf hat, gibt es in dem Spiel kaum ein größeres Freiheitsgefühl. Ich beschließe, meine neuen Medaillen mit einem Besuch in einem Tattoostudio zu feiern, während ich „The Next Episode" auf West Coast Classics lauter drehe. Ein „F" mit einer Krone, denn ich bin Franklin, König der Lüfte. Oder so was in der Art. Ich spüre, wie mich eine weiteres Rennen ruft – diesmal eins mit ein paar 4x4s. Also begebe ich mich direkt an die Startlinie in den Vinewood Hills, um einen weiteren Rundumsieg einzuheimsen.

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17:30 Uhr
Es würde keinen Sinn machen, an meinem Urlaubstag nicht auf den höchsten Gipfel des Spiels zu fahren, also begebe ich mich als nächstes zur Seilbahn des Mount Chiliad. (Ich gehe bei meiner Planung davon aus, dass Franklin um 18.00 Uhr pünktlich zum Beginn der Simpsons und für ein weiteres Glas des roten Gesöffs, das er da stehen hat, wieder zuhause sein wollen würde. Ich spiele das Spiel jetzt außerdem schon seit einer absoluten Ewigkeit und meine Augäpfel fallen mir langsam aus dem Kopf.) Nachdem ich den Ausblick genossen und dieses mysteriöse Wandbild in Augenschein genommen habe, ist es überhaupt kein Problem mit dem Fallschirm vom Gipfel zu springen, irgendwo südlich der Alamo Sea ein Auto zu knacken und zum Feierabend nach Hause zu fahren. (Es hätte noch unendlich viel mehr Dinge gegeben, mit denen ich mich hätte beschäftigen können, wie etwa auf Rehjagd zu gehen, Aktien und Wertpapiere zu ticken, auf den Schießplatz zu fahren und an einem Triathlon teilzunehmen. Aber morgen ist schließlich auch noch ein Tag, oder nicht?)

Begangene Morde: Null. Womit bewiesen wäre, dass man einen ganzen Tag (zumindest so gut wie) mit GTA V verbringen kann, ohne gewalttätig zu werden. Ich wäre gerne ganz ohne kriminelle Handlungen ausgekommen, aber versucht selbst mal, mitten im Nirgendwo ein Taxi zu kriegen. Anzahl der Tode zu Händen des Los Santos Police Department: einer, aber es hätten leicht mehr sein können. Tode zu Händen von Rassisten: wieder, einer. Ich weiß nicht, was uns das über das echte Amerika sagt. Wahrscheinlich gar nichts.

@MikeDiver

Diese Review wurde durch die Unterstützung von NVIDIA SHIELD möglich. Die NVIDIA SHIELD Library findest du hier.