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Europawahl 2019

Für Martin Sonneborn wird es eng: Europäischer Rat beschließt Prozenthürde

Eine Entscheidung der EU-Staaten sorgt dafür, dass sehr wahrscheinlich eine Sperrklausel zur Europawahl 2019 eingeführt wird. Der PARTEI-Politiker will mit seinen "vielen Freunden unter den Verrückten" dagegen kämpfen.
Foto: imago | CommonLens

Er wisse, dass die Große Koalition ihn loswerden wolle. Das hat Martin Sonneborn, Europaabgeordneter der Partei Die PARTEI, im Mai gesagt. Nun ist die Bundesregierung dem ein ganzes Stück näher gekommen: Der Rat der Europäischen Union hat an diesem Donnerstag eine Wahlrechtsreform erlassen, die die Regeln verändern wird, wer die Deutschen ab 2019 im EU-Parlament vertritt. Die PARTEI aber auch Piraten, NPD und zahlreiche andere Kleinstparteien müssen sich schon jetzt auf eine Sperrklausel von mindestens zwei, maximal fünf Prozent einstellen.

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"Einerseits bin ich stolz", sagt Martin Sonneborn, als VICE ihn bei einer Europadebatte im Auswärtigen Amt erreicht. Die deutsche Regierung habe eine Wahlrechtsreform durchbekommen, die keinen anderen Staat sonst interessiert habe. "Das zeigt, dass wir den Ton angeben", sagt Sonneborn. "Andererseits bin ich irritiert, weil sich das Bundesverfassungsgericht bereits zweimal gegen eine solche Sperrklausel ausgesprochen hat."


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Die Richter in Karlsruhe hatten schon vor der Europawahl 2014 zuerst die Fünf-Prozent-, später auch die Drei-Prozent-Hürde gekippt. Die Begründung: Die Sperrklausel widerspreche der vom Grundgesetz vorgeschriebenen Gleichheit der Wahl und Chancengleichheit der Parteien. Neun Parteien konnten so erstmals einen Abgeordneten nach Brüssel und Straßburg schicken. Der damalige Außenminister, Frank-Walter Steinmeier (SPD), forderte umgehend die Wiedereinführung der Hürde über die europäische Ebene.

Die Reform sei "zielgenau", sagt die Außenministerin eines EU-Staats

Eine Reihe von CDU-, CSU- und SPD-Vertretern im Europäischen Parlament erarbeitete anschließend eine große Wahlrechtsreform. Die Reform sollte unter anderem die europäischen Parteien bei Wahlen sichtbarer machen, verhindern, dass EU-Bürger ihre Stimme doppelt abgeben, und eine "ordnungsgemäße Arbeitsweise" des Parlaments sicherstellen, wofür es laut der Initiatoren die Sperrklausel bedürfe.

Danach lag das Vorhaben zweieinhalb Jahre lang beim Rat und wurde wie eine Knetfigur fortwährend verändert und beschnitten, die Hürde aber blieb. An diesem Donnerstag hat der Ratsausschuss der Ständigen Vertreter in Brüssel nun die Reform einstimmig erlassen. Auch die zuletzt noch zögernde italienische Regierung stimmte dafür.

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"Die Mitgliedstaaten hielten es für angemessen, bestimmte Aspekte der EU zu modernisieren und eine Mindesthürde einzuführen", sagt Ekaterina Sachariewa, die Außenministerin Bulgariens, in einer Pressemitteilung. Mit der Reform werde sichergestellt, dass das "zielgenau" geschehe.

"Zielgenau" heißt im Fall der beschlossenen Prozenthürde, dass diese erstens "zwei bis fünf Prozent" betragen kann und zweitens in ihrer jetzigen Form nur Spanien und Deutschland betrifft. Doch anders als in Spanien, wo Parteien sich zu Wahllisten zusammenschließen können, um eine Prozenthürde zu überspringen, bleibt den deutschen Parteien nur übrig, die Zahl ihrer Wähler erheblich zu vergrößern. Gleichzeitig wird das schwerer werden, da solche Hürden Wähler davon abschrecken, für kleinere Parteien zustimmen.

Die Entscheidung sei "ein wichtiges Signal an das Europäische Parlament in schwierigen europapolitischen Zeiten", sagte Michael Roth (SPD) zu VICE. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt hatte vor Wochen noch vehement auf die Verabschiedung der Reform gedrängt. Die Mindestschwelle solle "der Zersplitterung des Europäischen Parlaments entgegenwirken" und seine Funktionsfähigkeit erhalten, sagt Roth. De facto hat das Parlament heute allerdings weniger fraktionslose Abgeordnete als noch in der letzten Legislaturperiode – trotz Martin Sonneborn.

Die Kleinstparteien müssen jetzt im Europaparlament mobilisieren – oder auf das Verfassungsgericht warten

Die zusammengestrichene Reform samt Prozenthürde geht nun wieder zurück an das Europäische Parlament. Dort muss sie die Mehrheit der Mitglieder annehmen. Das haben die beiden Fraktionen, denen CDU, CSU und SPD angehören, mit 403 von 751 Abgeordneten.

Martin Sonneborn sagt, er glaube, bei den Sozialdemokraten könnte es Abweichler geben. Auch dass es sich bei der Reform klar erkennbar um "ein rein deutsches Interesse" handele, könne nicht-deutsche Abgeordnete zu einem Nein bewegen. Daneben hofft Sonneborn auf einige "aufrechte Grüne und Linke und meine vielen Freunde unter den Verrückten".

Sollte diese ungewöhnliche Allianz nicht erfolgreich sein, liegt es am Deutschen Bundestag, eine Prozenthürde einzuführen. In dem ist weder Die PARTEI noch eine der anderen betroffenen acht Kleinstparteien vertreten. Es ist möglich, dass die Abgeordneten der großen Parteien die Hürde dann noch vor der Europawahl im kommenden Mai 2019 verabschieden.

Martin Sonneborn und andere haben für diesen Fall bereits angekündigt, den politischen Hürdenlauf beim Bundesverfassungsgericht enden zu lassen. Das müsste dann ein drittes Mal in dieser Sache entscheiden.

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