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Auf Piratenjagd in Kenia

Die Touristen kamen wegen der weißen Sandstrände nach Lamu, doch momentan sieht man nicht viele Besucher, denn hier verläuft die Front eines neuen Krieges.

Lamu ist ein Inselparadies an der Küste Kenias, das regelmäßig von den Superreichen und von dreckigen Backpackern auf der Suche nach einem Stückchen Himmel heimgesucht wird. Lamu gehört zum UNESCO Weltkulturerbe und ist wirklich locker—die Leute benutzen zum Beispiel Esel statt Wägen, leben in traditionellen Steingebäuden ohne Türen und haben noch immer den gleichen, gelassenen Lebensstil wie im 14. Jahrhundert. Die Touristen kommen wegen der spektakulären, weißen Sandstrände und dem „Vergangene-Zeiten-Charme“ hierher. Momentan sieht man allerdings nicht viele Besucher, denn Lamu ist die Front eines neu entstandenen Krieges. Lamu liegt ungefähr 100 km von Somalia entfernt. Die Piraten aus Somalia überquerten diesen Herbst die Grenzen von Kenia und verschleppten Ausländer aus dem Land—niemand hatte so etwas erwartet. Lamu war ihr erstes Ziel. Die Angreifer attackierten zwei der reichsten Ressorts vor Ort, Kiwayu Safari Village und das Majlis. Am 11. September kidnappten sie Judith Tebbutt (nachdem sie ihren Mann David erschossen hatten), am 2. Oktober entführten sie eine Französin namens Marie Dedieu (die an der Rollstuhl gefesselt war und in der Gefangenschaft starb). Kaum zwei Wochen später wurden zwei spanische Entwicklungshelfer aus dem Flüchtlingslager in Dadaab an der somalischen Grenze mitgenommen. Ihr Fahrer wurde erschossen.

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Reisewarnungen, Panik und Massenabwanderung folgten. Obwohl gerade die Hauptsaison begonnen hat, stehen auf Lamu sowohl die besten Urlaubsorte als auch die bescheidensten Häuser fast leer. „Das trifft uns stark. Die Touristen sind verschwunden und wir leiden darunter“, erzählt Omar Harun, ein örtlicher Touristenführer. Harun führt seit 15 Jahren Touristen durch die engen Gassen von Lamu-Stadt. Noch nie lief das Geschäft so schlecht, sagt er. Zuvor hatte er mindestens alle zwei bis drei Tage bezahlte Arbeit—nun liegen Monate dazwischen. „Wir hatten früher nie mit Piraterie zu tun. Das kam erst langsam in den letzten zwei bis drei Jahren“, sagt er.

Lamus Bezirksvorsteher Stephen Ikua gab das feierliche Versprechen, dass es kein weiteres Kidnapping auf Lamu mehr geben würde. Aber die jüngste Gründung des International Recommended Transit Corridor zum Schutz vor Piraterie im Golf von Aden hat zumindest einige der geschätzt 70 Piratenbanden in Somalia weiter Richtung Süden getrieben. „Wir haben unsere Beamten nie an den Stränden eingesetzt, aber jetzt müssen wir die größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen treffen. Die Dinge haben sich geändert und wir sind verletzlich geworden“, sagte Ikua.
Aus diesem Grund bin ich mit den Jungs in Grün auf Nachtpatrouille gegangen.

Korporal Abdi Golompo leitet eine Einheit zur Sicherung Lamus. Er ging mit mir die besten Taktiken zur Bekämpfung der Piraterie durch, als wir durch den Meereskanal von Majlis an den Strand von Ras Kitau rasten, an dem Dedieu gekidnappt wurde. Fassen wir es kurz zusammen: es gibt kaum gute Taktiken zur Bekämpfung der Piraterie—denn die Piraten haben viele Tricks. Die Polizisten haben Gewehre und AK 47, die Navy benutzt Bazookas und Minenwerfer und die Regierung in Kenia steht mit ihren Militärausgaben an vierter Stelle in ganz Afrika. Die Piraten scheißen trotzdem darauf—sie haben diese ganzen Waffen, zusätzlich Erfahrung mit Bandenkriegen und eine Attitüde, wegen der sie nicht pünktlich zur Essenszeit nach Hause kommen. Es ist fast unmöglich, die Piraten zu stoppen, ohne sie zu töten. Alle Piraten, die an der Küste von Südafrika geschnappt werden, kommen mehrere Monate in ein Gefängnis in Mombasa, dann werden sie wegen dieser ganzen „Somalia hat keine funktionierende Regierung“-Sache wieder frei gelassen. Wenig später sind sie zurück auf dem Wasser.

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„Piratenangriffe kannst du nicht voraussagen und sie zu verhindern ist sehr schwierig“, sagt Golompo. „Wir können nur wachsam und präsent sein. Wenn die Leute uns hier draußen sehen, wissen sie, dass wir zum Kampf bereit sind und die Piraten wissen es auch.“ Die Insel Manu vermittelt eine unheimliche, post-apokalyptische Stimmung. Die schönsten Fünf-Sterne-Ressorts stehen fast vollständig leer, mehrere haben bereits geschlossen. Niemand weiß, ob und wann ein neuer Angriff kommt oder wann die ausländischen Regierungen ihre Reisewarnungen zurückziehen werden. Die Stimmung ist ziemlich düster.

Nach einer ereignislosen Bootswache ließen wir uns die Nacht über im Majlis nieder, wo die Offiziere in noch geöffnete Ressorts eincheckten, Kette rauchten und den Strand nach Zeichen für Ärger absuchten. Es war kalt und windig, Sandfliegen quälten mich genauso wie das Wissen, dass ich mir als Piratenköder in einem Strandkorb den Arsch abfror, während keine zehn Meter entfernt 25 Fünf-Sterne-Zimmer leer standen. Ich bin mir nicht sicher, warum ein Pirat an den gleichen Strand zurückkehren sollte, an dem er schon ein Mal jemanden gekidnappt und damit alle anderen Touristen abgeschreckt hat, aber ich bin kein Experte in der Bekämpfung von Piraterie. „Wir können nicht sagen, wann sie kommen. Wir wissen es nicht. Deswegen sind wir jede Nacht hier“, sagte Golompo. In der Mitarbeiterkantine von Majlis aßen wir ein ziemlich fettiges Nachtmahl, als die Nachricht die Fernsehstationen erreichte. Der Minister für Innere Sicherheit, George Saitoti, gab bekannt, dass Kenia die Sicherheitskräfte an allen Grenzen aufstocken würde. Dann ging er noch einen Schritt weiter und erklärte al Shabaab den Krieg. Diese somalische Kampftruppe soll für viele der Entführungen verantwortlich sein. Golompo schüttelte nur den Kopf. Er stammt eigentlich aus Äthiopien und erinnert sich an den Versuch seines Landes, die Unruhen niederzuschlagen, in dem sie 2006 erneut in Somalia einfielen. Es ist für sie nicht gut ausgegangen. „Viele sind gestorben und die Dinge haben sich nur zum Schlechteren entwickelt“, sagte er. „Diese Somalier …“ Nun gibt es also einen funkelnagelneuen „Krieg gegen den Terror“ hier in Afrika, mit einem Haufen Unschuldiger, die im Kreuzfeuer gefangen sind. Die jüngsten Überfälle von Al Shabaab auf Einrichtungen von UNICEF und der Weltgesundheitsorganisation sollten Beweis genug sein. Nach Saiotis Ankündigung stürmten die Truppen der kenianischen und afrikanischen Union die somalischen Grenzübergänge nach Liboi und Mandera mit dem Ziel, eine 100 km lange Pufferzone zwischen den beiden Ländern zu schaffen. Der daraus resultierende Konflikt hat 1000 neue Flüchtlinge und dutzende Verluste auf beiden Seiten hervor gebracht.

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Der Sprecher von Al Shabaab, Ali Mohamed Rage (ja, das ist sein richtiger Name) hat allen Bewohnern Nairobis ebenfalls den Schmerz von Kugeln und zerbröckelnden Wolkenkratzern versprochen. Bei Granatenanschlägen auf die Innenstadt im Oktober wurde ein Person getötet und Dutzende verletzt. Genau wie auf Lamu gilt auch in Kenias Hauptstadt Alarmstufe Rot, Soldaten mit Sturmgewehren tauchen vor allen Hotels auf, vor den Shoppingcentern und Bürogebäuden.

Die Anti-Somalia-Haltung ist dementsprechend stark und die Belästigung der Polizei bei Grenzüberquerungen und in Nairobis Viertel Eastleigh (aka Klein-Mogadischu—angesichts des hohen Einwohneranteils aus Somalia) war nun zu erwarten. Ein Beispiel: Obwohl die Regierung eine Reihe illegaler Slums in der Nähe der heiklen Gegenden—wie den Flughäfen—dem Erdboden gleich gemacht hat, gingen sie Ende November noch einen Schritt weiter. Einige unglückliche Eastleigh-Bewohner erwachten eines Morgens durch die Forderung der Polizei, ihre Wohnhäuser unverzüglich zu räumen. Ihnen blieben zehn Minuten Zeit, ihre Besitztümer zusammen zu packen, bevor die Bulldozer anrückten. Es handelte sich hierbei nicht um klapprige Hütten, die bei starkem Regen sowieso zusammen gefallen wären. Diese Häuser hatten Baugenehmigungen und Langzeitmieter.

Ich habe mich mit einem der Bewohner, George Mwangi, unterhalten, der eine Fernbedienung und eine Tube Zahnpasta aus seiner Tasche holte, als wir uns trafen. „Mehr konnte ich nicht retten“, sagte er. „Ich stamme nicht mal aus Somalia.“