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Vice Blog

I Want My Berlinale

Ich bin nicht Stiller, ich bin seit fast vier Stunden in der Urania am Berliner Wittenbergplatz. Die Urania ist ein, so muss man das nun wohl leider nennen, „retro-futuristisches“ Gebäude im Westen der Stadt und Schauplatz von Vorträgen, Filmen und eben auch der Berlinale.Was ich hier tue ist mir bald ähnlich unklar wie den Figuren, die vorne auf der Leinwand herumrennen, erschrecken, schreien, flüstern. Aber ich kann nicht weg, nicht raus aus dieser Welt und auch darin ähnlich den Filmfiguren in erschreckendem Maße.

Denn gezeigt wird die neu polierte Fassung von „Welt am Draht“, einem wirklich wahnsinnigen Film von Rainer Werner Fassbinder. Und ein bisschen durchgeknallt sollte man besser schon sein, um sich diesen in jeder Weise wahnsinnigen Film über beide Teile in voller Länge hier anzusehen. Denn „Welt am Draht“ ist wahnsinnig lang, wahnsinnig gut, abwegig, schlau und komplex. Und gerne hätte ich diesen Film schon vor zehn Jahren gekannt, als all die leicht zu beeindruckenden Möchtegernphilosophen der Technischen Universitäten von Neo, Morpheus und Trinity fabulierten, als hätte erst Hollywood das Höhlengleichnis von Platon und Descartes’ Cogito Ergo Sum in die Welt gesetzt. Denn die Matrixfilme, lernt man in der Urania an diesem Nachmittag, sind nichts weiter als eine glatt gebügelte und mit technischem Schnickschnack ausgeschmückte Variante von „Welt am Draht“. Und der Film ist immerhin von 1973.

Überhaupt: „Welt am Draht“ verbindet sehr viel von dem, was Mehrheiten am Kinogang mögen. Fred Stiller, der Protagonist, ist ein Urahn von Jason Bourne, bloß dass Bournes Welt auf Speed ist und die von Stiller auf Valium. Die Geschichte und Moral von „Welt am Draht“ ist, wie gesagt, im Grunde die von Matrix, bloß verstörender. Und wer jemals dachte, David Lynch hätte all diese eigenartigen Verfremdungseffekte, diese irgendwie hohle Figuren und kalten Welten erfunden, der sieht sich ebenso getäuscht. Alles das findet in einer Welt statt, die so kühl und stilvoll inszeniert ist wie einst die Krabbeninsel bei Dr. No – an deren Poolbar kein geringerer als der Kommunarde Rainer Langhans Whiskey mit Wasser serviert. Und in der Hauptrolle, als wäre dies nicht längst genug, präsentiert der junge Klaus Löwitsch seine behaarte Brustmuskulatur und einen ewig unterkühlten Gesichtsausdruck.