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Vice Blog

Ein Text über Message to love

Obwohl sie im Nachhinein die Titelmelodie von Woodstock schuf, hat Joni Mitchell nicht selbst dort gespielt. Es ist nicht so, dass sie nicht gefragt wurde, ganz im Gegenteil. Nur war sie viel zu beschäftigt damit, einen TV-Auftritt bei der Dick Carvett Show vorzubereiten, die sie laut ihrem Agenten nicht verpassen durfte. Später konnte sie nur den Geschichten von Stephen Still von Crosby, Stills, Nash & Young lauschen, wie alles so war und aus diesen Erzählungen schuf sie "Woodstock," über die Bomber, die sich in Schmetterlinge verwandeln, Sternenstaub, Golden und die Rückkehr ins verlorene Paradies.

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Ein Jahr später erhielt Joni Mitchell doch noch eine Chance ihren totemischen Song vor einem Peace-n-Love Publikum zu singen. Diesmal war es eine Veranstaltung, die noch größer war, als das Woodstock Festival. Mit 60.000 Menschen war das Isle of Wight Festival das größte Hippie-Fest, das jemals gefeiert wurde. Aber für sie war es eine einzige Enttäuschung.

In Murray Lerners Dokumentation über das Festival, Message to Love, kann man genau sehen, wie ein alternder Hippie namens Yogi Joe auf die Bühne klettert, das Mikrofon ergreift und eine Botschaft an die Kids in den Desolation Rows loswerden will. Daraufhin wird er von den Sicherheitskräften gepackt und hinter der Bühne vermöbelt. Das Publikum buht. Einen Tag vorher, hat Yogi Joe dieselbe Bühne schon mal erklommen, um darüber zu sprechen, dass das Festival nichts anderes, als ein „psychedelisches Konzentrationslager“ ist. Er selbst wurde von Lerners Kamera auf seinem LSD-Trip gefilmt: „Rikki Farr kam zu mir am Mittwoch. Er hat mir hundert Tickets geschenkt und mich zum Komitee von Menschen ernannt, die ihren Zaun unsichtbar streichen sollen. Es war ihm so peinlich, dass er den Zaun unsichtbar anstreichen wollte“.

Die Absperrungen, Desolation Rows genannt, erstreckten sich über die weiten Hügel der Afton Down Site des Festivals. Diese massiven Doppelzaunreihen, bewacht von Hunden, trennten die campenden französischen und italienischen Anarchistenkids vom zahlenden Publikum des Festivals. So wurde am 29. August 1970 der Hippie-Traum ausgeträumt und die Message of Love war vorbei.

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Wenn Soziologen und andere Laberköpfe das Ende der Sechziger analysieren, nehmen sie meist eins der folgenden Ereignisse: wie Sharon Tate von der Manson Family wie eine Wassermelone aufgeschlitzt wurde, oder wie der verrückte Meredith Hunter seine Pistole auf die Rolling Stones richtet und von einem besoffenen Hell's Angels Sicherheitsmann ein Messer in die Brust bekam. Das warean aber alles nur miese Ereignisse, die zufällig aud das gleiche Datum fielen.

Aber wenn man über den wirklichen Tod der Sechziger sprechen will, dann müsste man zuerst über die Ideale dieser Zeit nachdenken: Freiheit und Freude vereint in kosmischer Liebe und bekräftigt durch kommerzielle Erfindungen wie Hippie-Perücken. Und natürlich die bittere Wahrheit, dass die Evolution eine selbstsüchtige und egoistische Rasse hervorgebracht hat.

Genau deshalb, gingen die Sechziger genau an diesem Wochenende, vor vierzig Jahren zu Ende. Denn die Isle Of Wight Veranstalter haben einfach nicht gecheckt, dass sie im Grunde eine Veranstaltung nicht für, sondern gegen die Hippiebewegung veranstalteten, was übrigens im Lerners Film deutlich zu sehen ist. Anstatt „gimmie, gimmie, gimmie“, ist „pay, pay, pay“ entstanden, wie Rikki Farr, der Veranstaltungs-MC hinter der Bühne in die Kamera beklagte.

Der Woodstock-Dokumentarfilm von Michael Wadleigh zählt zu den besten seiner Art, aber gleichzeitig ist es auch einer der unbekanntesten. Das liegt daran, dass Lerner 25 Jahre auf den Bändern sass, bevor er genug Geld zusammenkratzen konnte, um sie rauszubringen. 1995, in einer BBC.Sendung rutschte ihm sogar aus, dass die Leuten im Hintergrund nicht so scharf drauf waren, dass all das gezeigt wird, was hinter den Kulissen einer solchen Show vor sich geht, inklusive der ganzen Finanzen.

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Während der besagten Woche hat Farr mehrmals mit dem Mikro angekündigt und dem aufgeregten Publikum versprochen die die Preise zu senken. „Wenn 170.000 bezahlt haben, wird das Festival umsonst sein". Farrs Spekulationen bestätigen, dass er keinen blassen Schimmer über die Spiel-Teorie hatte. Derjenige, der ihm versicherte, dass sein optimistisches Versprechen aufgehen könnte, war der renommierte Spiel-Theoretiker Sr. Robin Farquharson. Aber der südafrikanische Wissenschaftler und White Panther wird dabei gefilmt wie er betrunken rumstolpert und die Organisatoren anprangert. „Es ist ein neues feudales System. Die Rockstars sind neue Aristokraten… Veranstalter und Fans sind ihre Höflinge…“

Farr selbst wirkt wie eine seltsame Kombination aus der falschen Jovialität eines MCs dem man die Verdrossenheit eines alten Mannes am Rande des Ruins ansieht und eines echten Idealisten, der an die sozialen Möglichkeiten dieser ganzen  Versammlung glaubt. Er ist ständig bemüht, sich auf sein Team zu verlassen. Lerner sagte ihm, dass es ein Kompromiss wäre, wenn die Kids, die kein Geld für Eintrittskarten haben, die Zäune auf dem Gelände streichen, wodurch sie sich ihr Ticket verdienen würden. Ganz einfach. Logischerweise malten die dann Hakenkreuze auf den Zaun. Sie schrieben „Fuck the Guards“ und kippten die Eimer mit der Farbe in den Gulli.

Inzwischen kursierten Gerüchte, dass erst 40.000 Fans tatsächlich bezahlt haben. Mindestens 170.000 werden benötigt, um die Künstler zu bezahlen. Es gibt Aufnahmen, wie Promoter Ron Funk sich am Telefon mit einem Bandmanager über einen Vertragsbruch streitet. „Ich sag es dir Larry. Wir haben das Geld nicht zusammen!“

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Währenddessen schmunzelt der Festivalagent in die Kamera und sagt, dass er nicht weiß, was vor sich geht. „Wir müssen ihm das Geld zuerst geben. Ohne das Geld kann er auf seiner Ukulele nicht spielen. Murray, hast du mich verstanden? Richtig in bar. In Pfunden. Sie sind da jetzt am Zählen“. Nun können wir sehen, wie ein Stapel an Geld vorbereitet wird.

Zurück auf die Bühne verkündet, wechselt Farr wieder vom bösen zum gute Cop und behauptet verzweifelt, dass das Festival nicht stattfinden kann, wenn nicht mehr Leute Karten kaufen, weil die Künstler sich weigern, umsonst zu spielen. Aber die Künstler, die unter keinen Umständen geldgierig wirken wollten, weisen von sich, das gesagt zu haben. Und sie haben natürlich recht, denn ein Künstler würde sowas nie selbst sagen,  dafür haben sie Agenten.

Offensichtlich gibt es hier gerade ien weiteres Tod-und-Wiedergburstmotiv hier.  Prog wird geboren, währen Hippie grade verreckt. Emerson, Lake und Palmer haben ihren allerersten Auftritt und feuern eine antike Kanone ab, Jim Morrison und Jimi Hendrix treten zum letzen mal in UK auf, bevor sie beschäftigt damit sind zu sterben.Irgendwo im Hinergrund wird die Fackel weitergereicht. Es ist aber vermutlich nicht die, die sie Hauptbühne direkt nach Emmerson, Lake and Palmer inFlammen setzt.

Draußen wird das Geschrei lauter. Eine Gruppe Jugendlicher klettert über den Zaun. Mit bloßen Händen werden die Absperrungen hin und her geschaukelt, bis die wütende Menge endlich durchbricht. Ein Wachhund wird getötet. Sicherheitsmenschen, machtlos und außer sich müssen passiv dem Geschehen zusehen.

Schließlich hatten Farr und seine Hintermänner genug. Als Farr am letzten Tag auf die Bühne kam, bat er darum die Tore zu öffnen. „Wer möchte, soll reinkommen. Wir haben alles verloren. Wenn ich alles sage, meine ich das Geld. Gläubiger, es gibt nichts zu holen. Aber die Tatsache, dass ihr alle da draußen seid und wir das alles auf die Beine gestellt haben, ist mehr Wert als das ganze Geld. Alles im Leben hat seinen Lauf, bis eben das Ende kommt.“ Die Leute applaudierten. Farr hob seine Arme und zeigte die Peace Zeichen. Die Doppeldeutigkeit dieser Geste war nicht zu übersehen. Viele Jahre später nahm Rikki Farrs komplizierte Beziehung zu seinem Geld eine böse Wendung. Im Jahr 2008 kam er für mehrere Monate wegen Steuerhinterziehung hinter Gitter.

An diesem Montag regnete es in Strömen. Die Kamera zeig verbrannte Stellen, Bierflaschen und den übrigen Dreck, der rumliegt, wenn ein Festival zu Ende geht. "Es wird nie wieder stattfinden", sagte Farr mit betrübter Stimme. "Das war das letzte große Event".

Und das war es auch. Im Jahre 1971 wurden alle Großveranstaltungen wie The Isle Of Wight  von der Regierung verboten. Das beste Jahrzent in der Menschheitsgeschichte war vorbei.