Frauensurfen ist besser und sexistischer als je zuvor
Brandon Rooney

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Australien

Frauensurfen ist besser und sexistischer als je zuvor

Im weiblichen Surfsport machen immer mehr untalentierte Talente ihre Modellambitionen zum Beruf. Dabei ist Frauensurfen eigentlich besser als je zuvor. Viele Marken interessiert das allerdings recht wenig.

Der Text ist in der zweiten Ausgabe des deutschsprachigen Surfmagazins WACHS erschienen und dennoch aktueller denn je. Im Mai dieses Jahres wird die bereits vierte Ausgabe des unabhängigen Printmagazins erscheinen: www.wachsmagazine.de

Irgendwo an der Ostküste Australiens. Zwischen Sunshine Coast und Gold Coast gibt es mehr bestickerte Boards als in den Fotoalben von Kelly Slater. Eines davon ist individuell und semiprofessionell angesprüht. Komplett violett; lediglich für das „JS Industries"–Logo hat sie Platz gelassen. Keine große Surfcompany schickt ihr monatlich DHL-Päckchen voller Etiketten und doch spricht im Moment der ganze Kontinent über die Powersurferin von der Sunshine Coast: Dimity Stoyle. Zu dem Zeitpunkt, als sie 2013 ihr erstes 6-Star-Event gewann, war sie zehn Jahre jünger als Joel Parkinson, der in Newcastle, New South Wales, neben ihr das Podium schmückte. Sie ist auf einmal da! Ein Jahr zuvor hatte Billabong noch ihren Vertrag gekündigt, weil offiziell finanzielle Engpässe lediglich ein äußerst selektives Sponsoring zulassen würden. An dieser Stelle hatten sich die seismographischen Konsumfühler der Surfindustrie getäuscht. Denn Dimity beweist, dass rohes Talent und Ehrgeiz mit Erfolg korrelieren können. Trotz der Unterstützung ihrer Eltern, die sie seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr fördern, muss sie vor und nach den Trainingseinheiten am HPC (Australian High Perfromance Center) im Surfshop ihres Vertrauens auf der anderen Seite der Kasse stehen und Produkte jener Firmen verkaufen, die kein Geld für ihr Talent aufbringen konnten.

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Fast in der Mittagspause gewinnt Stoyle darauffolgend die Trials für den Roxy Pro an der Gold Coast und qualifiziert sich somit für die ASP World Tour 2014. Ein ungefähr 30.000 australische Dollar teures Vergnügen, denn in dieser Sphäre pendeln sich schon allein die Reisekosten ein, die sie braucht, um sich während der Tour um die Welt auf das Sportliche konzentrieren zu können. Hierzu bitte noch einen vollen Kühlschrank, den kosmopolitischsten Handyvertrag und eine Hand voll WQS Events (World Qualifying Series), um somit ihr Ranking und die Chance auf Preisgelder zu verbessern. Verunsichern lässt sich Stoyle dadurch nicht und macht klar, dass sie mit Leistungsdruck umgehen kann: „Profisurferin zu sein, ist der mit Abstand beste Lebensstil, wobei ich im Falle des Scheiterns auch nichts gegen ein ausgeglichenes Uni-Leben hätte! Ich habe einen Rookie–Status auf der Tour und muss keine Titel verteidigen, sondern kann mich ausprobieren."

Nur leider besteht der Facebook-Newsfeed eines Mittezwanziger-Surfers, neben 1.800 Freunden, AI Forever und STAB, meistens noch aus Virctoria's Secret und Alana Blanchard. Meistens interessiert sich unser männlicher Prototyp verhältnismäßig wenig für feminines, professionelles Surfen. Natürlich kennt er die besten Drei, um beim Surfkauderwelsch hinter französischen Dünen nicht als Follower dazustehen. Apropos Follower, Alana Blanchard besitzt weitaus mehr davon als der elfmalige Weltmeister der Men's Division, Kelly Slater. Dennoch erkennt man Kelly an der Glatze und Alana am Allerwertesten. Fotografen interessieren sich für ihre Semi–Bottom–Bottom-Turns, weil es Fotos sind, die sich verkaufen. Weil es die Bilder sind, welche interessieren, zumindest die Rocky-Balboa–Fans unter dem Surfgefolge.

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Zwei Millionen Klicks für ein Video, in dem man die viermalige Weltmeisterin Stephanie Gilmore höchstens an den Leberflecken erkennt. Der Trailer des Roxy Pro Biarritz 2013 zeigt eine wunderschöne Blondine, die durch Product Placement dazu gezwungen wird, permanent auf ihr Telefon zu schauen. Es hätte auch der Trailer für ein Kanye-West-Video sein können. Chad Wells, zu diesem Zeitpunkt Surfing–Manager für Quiksilver, durfte nach einigen unvorteilhaften Äußerungen auf Kritik ein letztes Mal die Quiksilver–Kantine von innen bestaunen, denn: „Some butchy lesbos were representing surfing in the past!". Das Epizentrum der Kritik: die Longboard–Weltmeisterin Cori Schumacher, die ihre politische Stimme seit Beginn ihrer Karriere kundtut und sich gegen die Fetischisierung des Surfsports einsetzt. Sie unterstützt Organisationen wie die „Amerikanische Organisation für politische Studien", welche zuletzt einen Report über mediale Sexualisierung von Frauen im Profisport veröffentlichte.

Ein weiteres Beispiel, das es an dieser Stelle verdient, aufgeführt zu werden, ist die unfassbar schöne Erica Hosseini. Eine amerikanische Profisurferin, deren Turns leider so kraftvoll sind wie baltischer Windswell. Sie schaffte es 2011 in das wohl beste Surfmagazin unseres Planeten: STAB. Sie schaffte es nackt! Kein vertikaler Re–Entry, kein Cutback, nur eine auf allen Vieren kniende Erica mit der Bildüberschrift „Little Hoss", was im übertragenen Sinne für die Besteigung des Pferdchens steht. Es zieht Aufmerksamkeit auf sich. Es rückt feminines Surfen in den lapidaren Fokus der Öffentlichkeit und gibt untalentierten Talenten die Chance, ihre Modellambitionen zum Beruf zu machen. Für Cori Schumacher ist das ein Eklat. Die Kalifornierin bewertet die verstärkte Tendenz, dass Surferinnen nackt bis halbnackt und sich dabei auf die Lippen beißend abgebildet werden, äußerst negativ. „Das ist eine Position, die Verwundbarkeit und Unterlegenheit signalisiert", schreibt Schumacher in einem Flux–Statement. Irgendwie kann man ihr zustimmen, wenn selbst nach langen Wintern die Uhren beim französischen Girls Swatch Pro im Frühsommer nach Beinfreiheit und Bootie–Suites ticken.

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Herzlich Willkommen in der Welt des professionellen Frauen–Surfens. Hier treten die besten siebzehn weiblichen Athleten gegeneinander an und dürfen sich, fernab der Emanzipation, noch um knackige Hintern und trockene Bikini–Bilder kümmern. Dimity Stoyle ist eine der talentiertesten Surferinnen, die in den letzten Jahren den Sprung in das elitäre Surfen geschafft hat. Fernab der Gold Coast und außerhalb des medialen Sonars konnte sie sich ungestört auf ihre Karriere als professionelle Surferin vorbereiten, um letztendlich Scores anstatt Followers zu ernten. Sponsoren nutzen Charaktere wie Alana, Laura und Erica als surfende Werbebanner für sukzessive Lifestyle-Vermarktung. Das sportliche Talent ist zwar vorhanden, aber nicht der Grund für überdimensional gut bezahlte Arbeitsverträge. Doch sprechen wir hier von Rip Curl, Billabong und Nike und nicht Hunkemöller. „Frauensurfen ist in einer völlig verrückten Phase im Moment. Alle Athletinnen surfen besser als je zuvor; dennoch werden sie noch marktfähiger gemacht, indem sie immer wieder als sexy portraitiert werden", so Stoyle auf ihr persönliches Empfinden nach über sechs Jahren auf der Qualification Series. Des Weiteren bestätigt sie die These, dass große Konzerne Attraktivität und Popularität vor rohem Talent einstufen. Letztendlich eine Strategie, die aus marktwirtschaftlicher Perspektive absolut sinnvoll erscheint und nachzuvollziehen ist, denn auch Unternehmen müssen Rechnungen begleichen.

„Sex Sells" oder „Common Sense" sind Floskeln, die an dieser Stelle nur zur Umrahmung dienen sollen. Mediale Aufmerksamkeit hingegen ist das Schlüsselwort. Auf die selbstkritische Frage, warum sie nicht von Sponsoren umworben wird, reagiert Dimity gelassen und selbstbewusst. Einfach nur surfen, man selbst sein und positive Energie mit allen Handlungen versprühen, sind die Prioritäten der 22-Jährigen. Und sie hat vollkommen Recht. Frauensportarten stehen in fast allen Sparten, die von Männern besser oder gleichwertig betrieben werden, im Schatten des Egos. Surferinnen wie Lakey Peterson oder Carissa Moore zeigen einen Mittelweg auf, der sich den weiblichen Vorteilen bedient und der Damen–Worldtour somit die Aufmerksamkeit zusichert, die sie verdient, ohne aber auf sportliches Talent zu verzichten. Problematisch wird es hingegen, wenn auf den Instagram-Seiten von 16-jährigen australischen Nachwuchssurferinnen, welche auf Pro Junior Events den Robbie Bubble abbekommen, mehr trockene Bikinis zu finden sind als bei Models im Otto–Katalog. Alles andere ist eigentlich FSK 16 oder, um es mit den Worten von Chad Wells zu sagen: „One well ridden wave at the end of the roxy pro clip would have made the critics happy."

Dennoch herrscht im Moment ein öffentlicher Diskurs, dem Gehör geschenkt werden muss. Entfacht von Surferinnen, die in Talkshows auf fast neidische Art und Weise versuchen, die Welt zu verbessern. Stellt man sich Dane Reynolds in hautengem Moskova–Short vor, wird dieser Standpunkt urplötzlich nachvollziehbar. Es ist vor allem die Aufgabe der ASP (Association of Surfing Professionals) dafür zu sorgen, dass sportliches Talent und nicht das Händchen für mediale Selbstvermarktung erkannt und gefördert werden. Für Dimity Stoyle wird es Zeit, den obersten Bereich ihres Surfbretts mit einer Etikette zu versehen. Doch ihre Arena ist die Contest-Zone und nicht das Internet. Man kann davon ausgehen, dass sie bereits nach ihren ersten Contests für offene Münder anstelle von Luftküsschen sorgen wird. Alles in allem ist die World-Tour ohne großen Sponsor so, wie Formel 1 ohne Rennwagen oder Frauensurfen ohne Bikinis.

Jemandem den Vortritt lassen ist eine Tugend, die hier zur Torheit wird. Normalerweise sind es pionierhafte Autoren, die den Gedanken Ausdruck verleihen, die ihr als Leser seit der Überschrift in salonfähigem Zaun haltet. Also hinein ins Fettnäpfchen und kräftig umrühren. Männer sind sekundär Sportliebhaber, aber primär lieben sie Frauen. Vor allem die wespentaillierten unter ihnen, mit den langen Beinen und Haaren, jedoch an verschiedenen Stellen. Hier steht unser evolutionäres Betriebssystem in Zwietracht mit hochkultiviertem Normenkodex, und das in illuminiertem Bewusstsein des Maskulinums. Meine Damen, liebe Cori, darf man vorstellen: die Bürde des Mannes! Ihr dürft ruhig „du" sagen und mit dem Finger darauf zeigen, aber seid gewiss, man(n) arbeitet daran. Vielleicht indem ein Diskurs geschaffen wird und sich ein junger Autor den Amazonen zum Fraß vorwirft.

Irgendwie ist Emanzipation doch wirklich heftig. Nun muss man als Frau nicht nur als erfolgreiche Athletin glänzen, sondern dabei noch aussehen, wie Alessandra Ambrosio. Wie viel Platz sollte das Sportliche einnehmen, wenn man sich vorstelle, Kelly Slater vor den Billabong Pipe Masters bei der Maniküre anzutreffen? Wir sind das Viagra, das den Phallus der Surfindustrie zum Pulsieren bringt und Dimity Stoyle letztendlich ihren Sticker verweigert. Was bleibt, ist das asexuelle Bestreben, welches nach Marslandung und Krebsheilung sicherlich auf die Agenda einiger Wissenschaftler rücken wird. Bis dahin gibt es immer noch Knigge oder Johann Goethe, der einmal sagte: „Du bist dir nur des einen Triebs bewusst, O lerne nie den andern kennen! Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, Die eine will sich von der andern trennen; Die eine hält in derber Liebeslust, Sich an die Welt mit klammernden Organen; Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust Zu den Gefilden hoher Ahnen."