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Für Phil Moffa ist der Underground nicht mehr Underground

Mainstream ist für Phil Moffa nur der kleinste gemeinsame Nenner—Ein Interview über Optimismus und guten Flow.
Photo: Ben Hider

Je länger wir für unsere Serie „Interviews of The World" durch die Welt ziehen, desto häufiger wird offensichtlich, dass sich das Konzept des Undergrounds nicht nur verändert hat, sondern hier und dort sogar hinterfragt wird. Gerade unsere letzte Station in Spanien mit Eduardo de la Calle zog recht anschaulich die Linie zwischen Mainstream und Underground. Und gerade als wir uns unseren Blick auf die USA richten wollten, erreichte uns ein Video-Interview mit Seth Troxler, der sich selbst auch nicht mehr als Underground bezeichnen würde. Interessanter Zufall, sollte Troxler doch in unserem Interview über die amerikanische Szene ohnehin eine Rolle spielen. Dabei war es keineswegs einfach, eine Person zu finden, die quasi das gesamte Land repräsentiert und stellvertretend für eine Szene steht, die nicht wirklich aus einer Szene besteht. Fündig sind wir trotzdem geworden.

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Phil Moffa lebt aktuell in New York. Er betreibt nicht nur die Butcha Sound Studios, sondern lehrt als Dozent ebenso am dortigen Konservatorium des Purchase College und schreibt hin und wieder Tech-Reviews für Resident Advisor. Vergegenwärtigt man sich die Heerschar an Künstlern, die bereits mit ihm zusammengearbeitet hat, wird schnell deutlich, dass dieser Kerl tatsächlich noch weiß, was es bedeutet, Underground zu sein. Neben seinen Mastering- und Produzententätigkeiten ist Moffa selbst ein Hardware-Nerd, Live-Act, DJ und seit mehreren Jahrzehnten immer ein Mann im Hintergrund geblieben. Für unsere Interview-Serie ist Moffa nicht nur der ideale Gesprächspartner, er ist auch ein erfahrener Experte, der sowohl über den Wandel der elektronischen Musik als auch über die kommenden Generationen sprechen kann. Besonders beeindruckend ist es, wie der Amerikaner selbst unserer Arbeiti THUMP einen Spiegel vorhält, ohne dabei zu kritisch zu sein.

THUMP: Phil, du bist sehr umtriebig und hast in der Vergangenheit mit einer Vielzahl von Menschen zusammengearbeitet. Seit wann betreibst du dein Studio und kannst du uns kurz einen Überblick geben, wer bereits mit dir hier gearbeitet hat?
Phil Moffa: Mein Studio, das sich übrigens im Erdgeschoss eines legendären Musikgebäudes befindet, feierte gerade seinen vierten Geburtstag. Alleine in diesem Jahr arbeiteten DJ Spider, Anthony Parasole, Paul Rafaelle, Brendon Moeller, DVS1, The Martinez Brothers und Seth Troxler in meinem Butcha Sound Studio. Ich mixe außerdem für Ray West von den Red Apples 45, darin involviert waren etwa Projekte mit legendären HipHop-Leuten wie Kool Keith, A.G., O.C., Sadat X, Cormega und Roc Marciano. Ich mache außerdem Mastering für das Label Hybridity aus Vancouver, BC. In diesem Jahr brachten die Martinez Brothers unter anderem Nile Rodgers für eine Kollaboration mit ins Studio – das war unvergesslich.

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Das ist wirklich beeindruckend. Weil du ihn gerade erwähnt hast: Wie ist es, mit Seth Troxler zu arbeiten? Glaubt man den Gerüchten, so habt ihr zusammen sein neues Album fertiggestellt?!
Ich hatte mehrere Sessions mit Seth. Er kam das erste Mal mit den Martinez Brothers und ihm gefiel sowohl das Studio als auch die Zusammenarbeit mit mir. Später buchte er dann mehr Zeit im Studio, um an seinem eigenen Material zu arbeiten. Er wird in Zukunft mehrere Releases herausbringen können, die während unserer Sessions entstanden sind. Wir bringen auch eine gemeinsame EP heraus, die noch in diesem Jahr erscheinen wird. Mein Studio ist etwas kompliziert, weil alles über eine Art Steckfeld (patch bay) angeschlossen und synchronisiert ist. Manchmal habe ich ihm die Sounds eingerichtet und er hat die Dinge von seiner Performance editiert und eine Kollage mit Pro Tools angefertigt. Für unsere gemeinsame Zusammenarbeit habe ich die Live-Aufnahme bevorzugt, wir haben einen guten Flow zusammen und wirkliche eine Menge Spaß. In unseren Pausen haben wir übrigens The Twilight Zone geguckt.

Ich habe Seth Troxler unter anderem auch deswegen ins Spiel gebracht, weil er sich in diesem Jahr mit einem Kommentar äußerst stark über EDM-DJs und ihre Festivals zu Wort meldete. Stimmst du ihm zu, dass diese Entwicklung die wirkliche elektronische Musikkultur zerstört?
Der Optimist in mir möchte daran glauben, dass böse Dinge immer auch etwas Gutes bedeuten, dass sich die Kids etwa mehr mit elektronischer Musik beschäftigen und offen für neue Klangfarben sind, könnte ein Plus sein. Um ehrlich zu sein, wir alle benötigten Zeit, unseren Geschmack zu entwickeln. Niemand von uns kam aus der Gebärmutter mit einem gebildeten Wissen über jede Klassiker-Platte seit den 70ern. Dennoch glaube ich, dass Seth natürlich einen Punkt trifft, wenn er darüber spricht, dass die Leute nicht wirklich die Wurzeln des DJs erfahren, sich etwa die Zeit nehmen, ihn in einer Nacht (oder einer Residency) in einem intimen Setting etwas entwickeln zu lassen. Und damit meine ich nicht diesen In-Your-Face-Ansatz von einigen Leuten, die lediglich die zehn krassesten Hits in einer Stunde spielen. Die meisten von denen arbeiten ja nicht mal richtig an den Decks, sie reißen nur ihre Hände in die Luft. Aber um ehrlich zu sein, Musikgeschmack ist immer etwas Subjektives und viele Menschen mögen dieses Zeug, es hat seine Funktion. Die Dinge, die wirklich populär sind, sind es doch nur deswegen, weil sie den kleinsten gemeinsamen Nenner ansprechen und für gewöhnlich sehr viel Geld dahintersteckt – nicht weil es Ausdruck der am interessantesten und subtilsten Kunst ist.

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Glaubst du, dass dieser EDM-Boom die größte Gefahr für die credibile US-Szene ist?
Auch hier versuche ich es positiv zu sehen: wenn viel cheesy Zeug im Mainstream gefeiert wird, dann gibt das dem Underground mehr Glaubwürdigkeit und Reiz. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als die Laptops immer häufiger genutzt wurden und all die Leute, die ihr Leben damit zugebracht haben Platten zu sammeln, um zu lernen wie man sie ansprechend spielen kann, die waren alle angepisst, dass diese DJ-Tools quasi jedem gereicht wurden, ohne eine Art Einführung. Trotzdem konnten wir beobachten, dass die Anerkennung für Leute, die tatsächlich mit Platten spielen konnten, gestiegen ist. Es braucht immer nur ein paar Jahre, aber es gibt definitiv ein Bewusstsein darüber, wer nur Fake ist oder wer wirklich etwas anzubieten hat.

In Europa sind Techno und House anerkannter Teil der gesamten Musikkultur. Hier in Berlin haben wir viele Clubs, die auch gerne mal über das gesamte Wochenende geöffnet sind. In Amerika sieht die Situation anders aus, nicht wahr?  Wie würdest du den Status Quo in Amerika oder New York beschreiben?
New York lebt wieder auf. Das haben nur wenige kommen sehen. Gefühlt eröffnen hier jede Woche neue Locations, dazukommt eine starke Warehouse und DIY-Szene und ich glaube, wir haben den Höhepunkt noch gar nicht erlebt. Es gibt viele Nächte, in denen viele internationale Künstler an unterschiedlichen Orten der Stadt spielen. Von Freunden habe ich gehört, dass die Szene auch in LA ziemlich stark sein soll und andere Städte an der Westküste bauen auch gerade etwas auf.

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Ich weiß, darüber kann man endlos diskutieren, aber aufgrund der Interview-Serie habe ich mich natürlich vermehrt damit auseinandergesetzt, was es wirklich noch bedeutet, Underground zu sein. Welchen Standpunkt nimmst du ein? Oder anders gefragt: Wie hat sich der US-Underground in den letzten Jahren verändert und welche Formen nimmt er heutzutage noch an?
Ich denke, der bedeutendste Unterschied ist, dass der Underground nicht mehr Underground ist. Das kannst du ohne Probleme sehen, lesen und hören auf so vielen Webseiten. Der Erfolg von Blogs oder Youtube-Plays hat die Plattenverkäufe ersetzt. Es gibt Hypes und Geld hinter einigen „Underground"-Künstlern, die die großen Major-Labels herausfordern. Underground kann bedeuten, dass jemand in seinem Keller Musik macht, die nie jemand zu hören bekommt, und nicht jemand, der einen großen Tour-Kalender hat und die Aufmerksamkeit der Massen genießt. Aber es kann so vieles bedeuten und ist immer Kontext-abhängig. Die meisten bekannten Techno-Künstler sind Underground im Vergleich zum One-Hit-Popstar und in der Szene werden die dann trotzdem als Mainstream oder kommerziell bezeichnet werden – alles ist relativ.

An der Universität kannst du Erfahrungen aus erster Hand sammeln: Gibt es eine vitale, junge Generation von Produzenten und DJs, die gerade nachwächst? Und haben sie in deinen Augen die richtigen Ideale, oder wurden sie durch EDM oder Social Media bereits desillusioniert?
Ich freue mich sehr darüber, dass sich mehr DJs und elektronische Musikproduzenten bei mir anmelden. Als ich angefangen habe, waren es nur Gitarristen. Ja, natürlich sind die heute alle mehr vertraut mit dem ganzen Mainstream-Zeug und das ist nur allzu verständlich: Sie sind jung und haben nicht ein Jahrzehnt im Club abgehangen. Wir müssen ihnen den richtigen Weg zeigen und hoffen, dass sie diesen auch nehmen. Ich habe Klassen über die Geschichte von Techno unterrichtet und ihnen Forschungsmaterial über die Ursprünge wie Kraftwerk oder die bedeutenden Chicago-House-Produzenten gegeben. Ich habe ihnen Hardware mitgebracht und ihnen die Chance geboten, das wahre Zeug zu nutzen und nicht nur die Sample-Bibliotheken ihrer DAWs. In ihrem Alter war ich viel besser über Clubs und Plattenläden informiert, diese Dinge waren einfach viel zugänglicher damals. Außerdem lebte ich in einer Stadt. Heute bekommen sie Informationen durch das Internet. Aber guter Geschmack braucht einfach Zeit.

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Auch wenn 2014 noch nicht vorbei ist, sind dir in diesem Jahr Entwicklungen oder Beobachtungen aufgefallen, die exemplarisch für dieses elektronische Musikjahr stehen?
Dieses Jahr haben mehr Künstler und Clubs auf eine Politik wertgelegt, die gegen das Fotografieren steht – das finde ich richtig. Alles ist so konzentriert auf Social Media, sodass jeder den Moment einfangen will, um ihn zu teilen anstatt ihn auch wirklich zu leben. Anstrengend ist das vor allem auf Konzerten. Es ist kein Problem von 2014, wir leben in einer Ära, wo die Mehrheit des „Szenelebens" online abläuft – ob nun die Social-Media-Seite des Künstlers, Soundcloud, Foren, Blogs etc. Es ist wirklich beeindruckend wie viel Content um Leute, die elektronische Musik machen und spielen, generiert wird. Früher waren es lediglich die Platten und die Partys. Heute gibt es eine tägliche Online-Kultur, die neben der Kultur koexistiert, die am Wochenende stattfindet.

Und als Serie in der Serie, teile uns doch bitte zum Schluss noch diesen einen Track mit, den du seit Jahren in deinem Plattenkoffer dabei hast und häufig spielst?

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