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Deutschlands Cyborgs formieren sich

Wir haben in Berlin eine der Gründungssitzungen des Cyborgs e.V. besucht und uns umgehört, was die Zukunft der Mensch-Maschinen bringen wird.
Enno Park
En
Der Künstler Stelarc hält den menschlichen Körper für obsolet, also verschiebt er dessen Grenzen, z.B. mit der Implantationsarbeit ,Ear on Arm' Bild (Ausschnitt): Andy Miah / FlickR; Lizenz: CC BY-SA 2.0

Ich bin kein Nerd und ein Hacker schon gar nicht. Und wenn ich das Wort Cyborg höre, fällt mir das cyber-feministische Manifest von Donna Haraway, noch vor RoboCop ein. Aber seien wir ehrlich; wen fasziniert die Idee der Mensch-Maschine nicht?

Der Herr Pfarrer, aus dem bayerischen Dorf aus dem du kommst, wird jetzt vermutlich drei Kreuze schlagen – aber der Schöpfung ein bisschen auf die Sprünge zu helfen, finde ich ziemlich hot. Nichts ist unsexier und langweiliger als die ,gottgegebene' Zweischgeschlechtlichkeit. Ein Halleluja für Transhumanismus und genderlose Cyborgs! Vielleicht liegt in den Übermensch-Maschinen tatsächlich der Schlüssel zur endgültigen Verwischung der Geschlechtergrenzen. Das ultimative Transsexuelle!? Wie gesagt, hot! Als ich dann erfuhr, dass in Berlin vor Kurzem ein Call for Cyborgs ausgerufen wurde, wollte ich gleich einen der ,Initiatoren' treffen und landete als absoluter Nicht-Nerd mitten im Mutterschiff; der c-Base.

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Enno Park ist Journalist, Autor und ein Cyborg– genauso wie 30.000 andere Menschen in Deutschland auch.
Für Enno zählen nämlich alle Träger eines Cochleaimplantat dazu, wie er mir erklärte, während er seinen Cyborg-Begriffs definiert: „Beim Cyborg geht es darum die Sinne oder die Fähigkeiten des Menschen durch eine in den Körper integrierte, programmierbare Maschine zu erweitern. Ein besonders gutes Beispiel wäre, wenn es mir endlich gelänge mein Cochleaimplantat zu hacken. Ich würde gerne Ultraschall für mich hörbar machen.“

Ganz schön krass, dass er durch das Implantat statt Schwerhörig bzw. fast Gehörlos zu sein, die „Hörleistung“ einer Fledermaus erlangen könnte. Sein Bat-Man-Dasein ist aber momentan wohl ungefähr noch genauso lange hin, wie mein Cat-Woman-Outing, denn er kann nicht mal Ersatzteile für sein Implantat kaufen, um an diesem zu experimentieren: „Weil’s Medizintechnik ist und diese nicht einfach so verkauft werden darf.“

Womit wir wieder beim Grund wären, warum ich in dem bunt ausgeleuchteten Mutterschiff gelandet bin; die Gründung des deutschen Vereins Cyborgs e.V.

Weil Enno's Hacking und Programmiere-Fähigkeiten gerade auch bei Hardware nicht ganz ausreichen, zielt sein ,Call for Cyborgs' auch darauf ab tatkräftige Unterstützer zu finden:. „Wenn ich zum Beispiel denke, mehr Bass wäre jetzt cool, muss ich jedes Mal in eine Klinik fahren um das ändern zu lassen. Zu Hause merkt man dann aber oft, dass das Ergebnis doch nicht ist was man wollte. Alles unglaublich mühsam und langwierig,“ erklärt er. Das Implantat, das ja Teil seines Körpers ist, wird also von anderen kontrolliert. Das klingt tatsächlich mehr als mühsam.

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„Es gibt natürlich noch viel krassere Cyborg Devices. Künstliche Gliedmaßen, oder bionische Hände, die mittlerweile schon so ausgefeilt sind, dass man sich damit die Schuhe zubinden kann. Die sind aber fast immer in den USA beheimatet, weil die technologisch einfach weiter sind und wir in der Regel einfach nur mit ein paar Jahren Abstand nachmachen, was dort in den Laboren passiert. In den USA gibt es auch eine Cyborg Szene mit Hackern, die allerlei Dinge selber tun, wie sich gegenseitig RFID Chips zu implantieren. Damit können sie dann das Licht ein- und ausschalten, die Heizung regulieren,“ gibt er einen Vorgeschmack auf das, worauf der Cyborgs e.V. Deutschland vorbereiten möchte.

20 Gründungsmitglieder gibt es in Berlin und zwischen 50 und 100 seien es Deutschlandweit, erzählt mir Enno. Die Zahlen schwanken noch etwas, denn gerade treffen sich die deutschen Cyborgs erst zum fünften Mal und alles ist noch ganz frisch. Ich habe mit Enno einmal darüber gesprochen, was passiert ist seit er vor zwei Jahren seine Cochlear-Implantate bekommen hat und seitdem er vor drei Monate die Gründung des Vereins ausgerufen.

Motherboard: Was genau ist deine Mission mit dem Cyborgs e.V.? Was sind eure Vereinsziele für die Zukunft?

Enno Park: „Ich wollte zeigen, dass es in Berlin Leute gibt, die etwas machen wollen in diesem Bereich und denen man sich anschließen kann. Ich möchte Hacker und Leute, die sich in bestimmten Teilbereichen auskennen, zusammen bringen und ein Netzwerk oder Dach schaffen, unter dem Informationen ausgetauscht, zusammen gearbeitet und Material bereitgestellt wird. Und außerdem sollen unsere Anliegen stärker in den öffentlichen Diskurs getragen werden und wir wollen Vertreter haben, die für eine gesellschaftliche Gruppe sprechen können.
Politische und gesellschaftliche Frage sind mir sehr wichtig ist. Welchen Einfluss hat das eigentlich alles, wenn wir uns technisch verändern? Was ist gut, was ist schlecht? Was ist abzulehnen und auf welche Weise werden eigentlich Cyborgtechnologien in unser Leben treten?

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Wieviele Jahre ist die amerikanische Szene, die du vorhin beschrieben hast dabei eigentlich Deutschland voraus?

Enno Park: Das ist schwer zu sagen. Man kann natürlich, wenn man risikofreudig ist, bestimmte Dinge bei sich selber machen. Dafür muss man aber sehr viel Wissen, Können und Ahnung haben und natürlich sehr verantwortlich und vorsichtig damit umgehen. Einiges Wissen steckt ja in der Bodymodification- und Piercer Szene, die das halt überwiegend aus ästhetischen Gründen tut. Ein anderes Problem ist die Gesetzgebung von Seiten der Kliniken und Ärzte, die sich in Europa auch einfach stark von der amerikanischen unterscheidet. Dort ist es viel einfacher zu einem Arzt zu sagen: „Hey, ich hab ein Gerät gebaut. Arzt, implantier’ mir das mal.“ In den USA wird er es eher einfach machen, hier sagt er: „Nee, das darf ich nicht. Da braucht man erst mal die Genehmigung von dem und dem Ethikrat.“ Ethikkommissionen sind sehr schwer zu überzeugen; vor allem wenn man klinische Unterstützung braucht.

Bremst diese „europäische Ethik“, deiner Meinung nach, oder ist sie legitim, wie sie ist?

Enno Park: Es gibt da so eine Grenze. Die Frage ist: Was ist das Normalmaß, um den Ausgleich für eine Behinderung herzustellen und was ist eine Erweiterung des Normalmaßes? Die Ethikräte und -kommissionen definieren ein Normalmaß und sagen bis hier hin, um eine Krankheit zu heilen und zu lindern, aber nicht weiter. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr frage ich mich, warum eigentlich nicht darüber hinaus gehen? Denn es ist ja nichts weiteres, als eine kulturelle Fortsetzung dessen, was der Mensch in seiner Kulturtechnik seit Tausenden von Jahren tut.

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Was denkst du sind die Ängste, die die Entwicklung bremsen?

Enno Park: Auf der einen Seite werden Diskurse angeführt wie: Die Schöpfung ist heilig. Der Mensch darf da nicht eingreifen. Und auf der anderen Seite, gibt es, wie bei jeder neuen Technologie, Angst. Angeblich enstünde ein gesellschaftlicher Druck zur Nachahmung für Alle, wenn Einige für sich neue Fähigkeiten erreichen. Eigentlich sind das aber Probleme, die mit jeder technologischen Umwälzung immer wieder auftreten. Das gab es schon beim Smartphone und beim Computer. Das hat’s sogar schon beim Auto gegeben.

Andererseits gibt es natürlich auch die Haltung aus der Perspektive der Inklusion heraus zu sagen, der Mensch ist so wie er ist und muss so seine Lebensnische bekommen wie er ist. Diese Haltung teile ich auch, aber gleichzeitig man muss doch die Abweichung nach beiden Seiten tolerieren. Also denjenigen der sagt, ich will auf gar keinen Fall meinen Körper verändern, auch wenn er zum Beispiel behindert ist, der hat genauso ein Recht auf seine Meinung wie der, der sagt ich fänd’s jetzt cool, wenn ich mir das und das einbauen könnte.

Offiziell kannst du in Deutschland übrigens nicht als Cyborg anerkannt werden. Egal wie viele Chips und Maschinen du dir ins Fleisch rammst. „Es gibt keine Cyborg-Zertifizierungsstelle“, scherzt Enno. Dennoch wurde Neil Harbisson als einer der ersten von einer Regierung als Cyborg anerkannt, weil er das von ihm erfundene Eyeborg - mit dem er Farben hören kann - auf seinem Passfoto tragen durfte. Du erinnerst dich vielleicht an deine eigene, letzte biometrische Foto-Session. Außer einer Brille, darfst du dabei nichts deinem Gesicht tragen und eine Maschine oder Technik schon gar nicht. Enno weist mich darauf hin, dass man daran erkennt, dass es lediglich eine kulturelle Frage sei, was geht und was nicht. Im Moment stünden wir an einem Punkt wo Science-Fiction mal wieder wahr würde. Ein guter Zeitpunkt also, um mit dem Aufbau einer Cyborg-Lobby zu beginnen.

Um den farbenhörenden Neil Harbison hat sich außerdem das momentane Cyborg-Zentrum Europas, die Cyborg Foundation, gebildet. In Barcelona schrauben und experimentieren eine Hand voll Leute an verschiedenen Devices. So etwas möchte Enno jetzt in Berlin erschaffen. Wenn auch mit einem politischeren Schwerpunkt, im Vergleich zur künstlerischen Herangehensweise der katalanischen Kollegen. Harbisson spielt als Kunststudierter mit Farben und Klängen während seiner Vorträge. Und seine Kollegin Moon Ribas zum Beispiel ist Performance-Künstlerin und verwendet ihren zusätzlichen Cyborg-Sinn – sie kann Bewegungen haptisch wahrnehmen – ebenfalls als Teil ihrer Choreographien.

Was die Cyborg Foundation in Barcelona, aber mit dem deutschen Cyborgs e.V. gemein hat, ist der Versuch einer Umdeutung des Cyborgbegriffs, der für die meisten Mensch doch immer noch zuerst nach RoboCop klingt. Diese narrative Veränderung weg von der „willenlosen Kampfmaschine“ aus der Zukunft, hin zu einem etwas „freundlicheren“ medialen Diskurs, strebt Enno auf jeden Fall auch an. Er möchte die Cyborgs viel lieber als Träger von Implantaten und Nutzer von ,Wearables' wahrgenommen sehen. Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf die Zukunft des deutschen Cyborg Vereins und verbreite ihren Aufruf gerne weiter: Lasst uns alle an einer selbstbestimmten Mensch-Maschinen Zukunft arbeiten!