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Handiemail verschickt deine Email als handschriftlichen Brief

Wer auf Handschrift nicht verzichten will, aber weder Zeit noch Lust hat selber einen Stift in die Hand zu nehmen, für den gibt es jetzt eine Lösung.
Ein Foto dieses Essays in prädigitaler Form. Bild: Claire Evans.

Ein handgeschriebener Brief ist ein Anachronismus. Viele Schulkinder lernen heute keine Schreibschrift mehr. Und kaum einer unterhält einen handschriftlichen Briefwechsel. Wer doch noch lange handgeschriebene Briefe verschickt ist entweder alt genug, das als Normalität zu empfinden oder er pflegt das alte Handwerk mit besonderer Hingabe.

Wer keine Zeit und/oder Lust hat, eine Feder aufs Papier zu setzen, aber dennoch den Effekt einer hanschriftlichen Nachricht nutzen will, für den gibt es jetzt Handiemail. Der Service aus Chicago bietet seinen Kunden "handgeschriebene Emails" an: tippe maximal 250 Worte in eine Email, schicke sie an Handiemail und — für rund 7 Euro — transkribiert ein hauseigener Schreiberling deine Email per Hand in Schönschrift, steckt den Brief in ein Kuvert, frankiert und schickt Ihn an den Adressaten. Im Video auf der Webseite von Handymail erweicht ein aufgeregter Verehrer mit diesem Szenario das Herz seiner Angebeteten—während das gleiche Ansinnen mittels Email-Kontakt scheitert.

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Nur wenige Leute nutzen Handiemail tatsächlich für Liebesbriefe. Der Großteil der Schreibarbeit fließt in Massenbriefe von Firmen, welche hoffen, so Ihrer Korrespondenz eine persönliche Note zu verleihen. Kyle Eertmoed, Gründer des Unternehmens, beschreibt, welche Kunden seinen Service nutzen: „Wir haben Non-Profit-Organisationen, die Spenden sammeln, Kleinunternehmen die sich von traditioneller Werbung abheben wollen, aber wir haben auch Briefe an die Oma. Einmal hatten wir sogar einen Soldaten der aus einer gefährlichen Region Afghanistans eine Liebesnachricht an seine Verlobte geschickt hat, weil es dort keine Postfiliale gab.”

Schreiben war immer ein Kind der Technologie; ohne Griffel, Feder oder Tastatur fehlen uns die Mittel dazu. Aber die Werkzeuge wirken auch auf den Menschen zurück. So zeigen Studien, dass das Handschreiben einen wesentlichen Anteil an der kognitiven Entwicklung von Kindern hat. Um mit einem Stift zu schreiben erfordert, dass visuelle, motorische und kognitive Funktionen reibungslos miteinander arbeiten. Im Gegensatz zum Tippen aktiviert das Girn beim Handschreiben folgerichtig verschiedene Regionen und übt deren Zusammenspiel. Selbst das ledigliche Schreiben von Buchstaben scheint gleichzeitig die Erinnerung an die so entstehenden Worte zu steigern.

Doch per Hand zu schreiben ist anstrengend in dem Wissen, dass Zeit und Aufwand sich (hoffentlich) für den Empfänger in Bedeutung übersetzen—das zumindest ist die Annahme hinter Handiemails Geschäftsidee. Dennoch ist mir das Schreiben mit Stift und Papier oft nützlich, sogar notwendig. Jeder meiner Essays entsteht erst in einem unlinierten Moleskine-Notizbuch bevor ich den Text im Rechner editiere.

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Zwar ist das nur meine persönliche, subjektive Vorliebe, aber lass mich kurz erklären weshalb: die Verzögerungen die dem Handschriftlichen innewohnen erlauben mir anders zu denken als wenn ich auf einen blinkenden Curser starre. So dauert es manchmal gerade lange genug etwas niederzuschreiben damit ich es mir auf dem Weg zum Satzende anders überlegen kann. Für mich ist das ein eingebauter Motor für Sponanität.

Auch die Aufmerksamkeit wird beim Handschreiben anders geleitet, mit dem Fokus auf die Stiftspitze gerichtet, ist es ein sehr umgrenzter Ort in Raum und Zeit. Beim Tippen dagegen gibt es mindestens zwei Orte zwischen denen die Aufmerksamkeit hin und her springt, der Tastatur mit ihren vorgefertigten Buchstaben und dem Bildschirm. Wenn ich einmal in einen Schreibfluss gerate, wird während ich ohne Pause in mein Notizbuch krizzele, die Spitze des Stiftes zu einer Art meditativem Anker.

„Irgendwas ist schon komisch daran, so zu tun, als wäre man jemand anders, oder?”

In einem Notizbuch ist es auch leiser als im multifunktionalen, sozialen, vernetzten Laptop. Die einzige Ablenkung, die es bietet sind alte Einkaufslisten oder in Proust-artiger Selbstverschlungenheit verfasste Tagebucheinträge. Die aber halten ab und an auch eine hilfreiche Idee oder Wendung bereit, eine Fundgrube alter Gedanken.

Im Film Her von Spike Jonze erarbeitet sich Theodore Twombly, gespielt von Joaquin Phoenix, seine Brötchen als Briefeschreiber bei einer Firma, die nur wenige Klicks von Handiemail entfernt zu sein scheint. Den dystopischen Klick allerdings, den Her weiter geht ist, dass dort auch die emotionale Arbeit des Schreibens ausgelagert wird. Zu solchen Szenarien sagt Eertmoed, dass „es schon eine gewisse Doppelmoral gibt, die ein solches Business mit sich bringt. Ja, wir nutzen noch immer Technologie und ja, wir schreiben an jemandes Stelle. Irgendwas ist schon komisch daran, so zu tun, als wäre man jemand anders, oder?”

Aber natürlich ist nicht jegliches Handgeschriebene rein emotional. Professionelle Dankesschreiben oder Einladungen verlangen einfach nur nach Schönschrift. „Für die meisten Leute, die unseren Service nutzen, überwiegt der Vorteil einer echten handgeschriebenen Nachricht den Nachteil, dass die Nachricht nicht selbst geschrieben ist… wir verbinden Leute auf einem realen menschlichen Level, und das ist das Entscheidende.“

Ob ein online geschriebener Liebesbrief bewegender oder emotionsgeladener ist als einer der in den Briefkasten flattert, ist die Frage. In vielen Fällen ist die Unmittelbarkeit sogar kraftvoll: zu wissen, dass der Absender da am anderen Ende der Leitung sitzt, fast greifbar. Das erzeugt eine andere, aber vielleicht genauso tiefe Verbindung. Einen handgeschrieben Brief, trotz aller Sentimentalität, könnte man einfach als totes Objekt sehen— entkernte, perfekte Worte in perfekter Verpackung. Und Eertmoed mag recht haben—am (anderen) Ende kommt es auf die Worte an, in welchem Kleid auch immer sie vor dir stehen.