Zu Besuch im MakerSpace am Ende der Welt
Der MakerSpace Santiago de Chile. Foto: Johannes Hausen

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Zu Besuch im MakerSpace am Ende der Welt

Über Hacker in Santiago de Chile und die Do-it-yourself-Kultur als Säule des Bildungssystems.

Das MakerMovement ist längst eine globale Bewegung geworden. Auch wenn sich noch immer rund 90 % der weltweiten FabLabs und Hackerspaces in Europa und den USA befinden, so richten Maker längst überall auf der Welt ihre eigenen Kreativwerkstätten ein. Und so haben sich anno 2015 auch exotische Makerdomizile wie Turkmenistan, Alaska oder Hawaii auf der globalen Maker Map niedergelassen.

Als ich nun kürzlich für einige Wochen in Santiago de Chile war, ließ ich es mir natürlich nicht nehmen, den lokalen Stgo MakerSpace anzusteuern. Ein Blick auf die Website hatte mich neugierig gemacht: Laut Eigenbeschreibung arbeiteten hier die Maker vom Ende der Welt.

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Wir wollen die Maker-Kultur auch in die poblaciónes, die Armenviertel von Santiago, bringen.

Wie würde also die Hackerkultur auf der anderen Seite des Atlantiks, gute 12.000 Kilometer Luftlinie entfernt von der Mutter moderner Hackerspaces, der Berliner c-base, aussehen?

Leonardo Navarro, Geschäftsführer des Makerspace Santiago. Alle Fotos: Johannes Hausen

Wie ich gleich nach meiner Ankunft begeistert feststelle, gibt es wohl eine Sache, der Hacker überall auf der Welt gleichermaßen verfallen: dem wunderbar nostalgischen Charme der Unterhaltungselektronik der 80er Jahre. Leonardo Navarro, Geschäftsführer des Stgo MakerSpace, weiß daher auch genau, was er mir zum Eintauchen in seinen Hackerspace als Erstes zeigt.

In den Ecken des sonnendurchfluteten Industrielofts haben sich zahlreiche liebevoll aufgebaute NES-Konsolen, Flipperautomaten und eine selbst gebaute Arcade-Spielstation, der Makercade, versteckt. Noch bevor meine Besuchertour also so richtig angefangen hat, bin ich bereits ausgiebig beschäftigt.

Leonardo macht sich derweil daran, uns erstmal eine neue Club Mate anzurühren—da haben wir schon die zweite deutsch-chilenische Hacker-Gemeinsamkeit.

Denn obwohl das deutsche Hacker-Ambrosia seit rund anderthalb Jahren auch nach Chile importiert wird, setzt der MakerSpace lieber auf Eigenkreation nach Open-Source-Rezept: Wasser, Zucker, Mate-Tee, Zitronensaft und etwas Zitronensäure, fertig ist die Do-it-yourself-Energiebombe.

Der Gedanke, dass die Früchte des Matestrauchs erst einmal um die halbe Welt geschickt werden, bevor man in Santiago einen halben Liter Club Mate dann für umgerechnet drei Euro kaufen kann, schmeckt hier eben nicht jedem.

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Beseelt von der frischen Energiezufuhr holt Leonardo dann aus:

„Der MakerSpace Santiago ist im Prinzip eine Ideen-Werkstatt. Hier werden Prototypen entwickelt. Wir stellen dafür die Werkzeuge und Maschinen, vor allem aber entsprechende Kenntnisse zur Verfügung. Jeder, der hier herkommt, hat die Möglichkeit, vom Wissen der Anderen zu profitieren. Wir promoten die Ideen einzelner Maker und sorgen dafür, dass sie innerhalb der Gemeinschaft bekannt werden."

Das Netzwerk des MakerSpace Santiago ist riesig und geht weit über die aktiven Nutzer der Einrichtung hinaus. Über 12.000 Mitglieder zählt die interne Online-Plattform. Wer eine Frage hat, findet hier fast immer eine Antwort.

„Wir wollen, dass Leute aus allen Fachrichtungen sich austauschen und zusammenarbeiten. Wir fördern in erster Linie multidisziplinäres Arbeiten. Zu unserem Netzwerk gehören Informatiker, Programmierer, Medienkünstler, Industriedesigner, Ingenieure, Pädagogen und andere ehemalige und aktuelle Mitglieder oder Freunde des MakerSpace.

Viele von ihnen stehen beratend zur Verfügung. Wenn du also zum Beispiel eine Bestätigung oder einen Check für dein entwickeltes Produkt brauchst oder technische Anforderungen nicht meistern kannst, steht dir dieses Netzwerk zur Verfügung."

Die Zahl der monatlich zahlenden Mitglieder des MakerSpace schwankt zwischen 30 und 35. Sie finanzieren mit ihren Beiträgen rund ein Drittel des Betriebs. Außerdem generiert der Space Einnahmen über Workshops, die hier jeder halten kann, der relevantes Wissen weiterzugeben hat. Unternehmensberatung in technischen oder gestalterischen Angelegenheiten rundet das Service-Portfolio des MakerSpace ab.

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Zu den bedeutendsten Projekten, die seit der Gründung des MakerSpace Santiago vor drei Jahren aus dessen Dunstkreis hervorgegangen sind, zählt die bionische Babymatratze Babybe. Sie soll die Überlebenschancen von Frühgeborenen steigern, indem sie über Sensoren aufgezeichnete Daten des Herzschlags und Atemrhythmus der Mutter empfängt und so den fehlenden Kontakt zwischen Kind und Mutter simuliert.

Ihr Erfinder Camilo Anabalón bezeichnet sie als „emotionale Prothese". Der chilenische Industrie-Designer brachte nach seinem Master an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart einen Haufen Forschungsergebnisse mit nach Chile und nutzte den MakerSpace Santiago hauptsächlich für die Entwicklung des entsprechenden technischen Equipments.

„Camilo hat vielleicht drei Monate hier gearbeitet. Jetzt kommt er noch ab und zu vorbei, wenn er eine Frage hat. Andere arbeiten bereits seit drei Jahren ununterbrochen hier. Viele Leute kommen ohne konkrete Ideen zu uns und haben auf einmal ein eigenes Projekt oder werden Teil eines Projekts anderer Leute. Wir laden auch Leute ein, auf die wir aufmerksam geworden sind, und lassen sie gratis bei uns arbeiten."

Leonardo denkt dabei vor allem an junge Maker, die von den Leuten aus dem Makerspace in den Armenvierteln von Santiago, den sogenannten poblaciónes, entdeckt werden:

„Wir arbeiten verstärkt mit den Telecentros zusammen. Das sind öffentliche und frei zugängliche Einrichtungen in sozial benachteiligten Nachbarschaften, wo den Leuten grundlegende technologische Kenntnisse vermittelt werden. Junge Talente, die wir hier kennengelernt haben, können das Angebot des MakerSpace gratis benutzen.

Außerdem starten wir dieses Jahr ein neues Bildungsprogramm. Gemeinsam mit CONICYT [Nationaler Forschungsausschuss Wissenschaft und Technologie] und Sofofa [Non-Profit-Bund für industrielle Entwicklung in Chile] werden wir an öffentlichen Schulen 15- bis 18-jährige mit essentiellen Arbeitstechniken des MakerSpace vertraut machen. Dazu gehören zum Beispiel Robotik, 3D-Druck oder der Umgang mit Arduinos."

Und so merke ich während unseres Gesprächs, dass Leonardo „seinen" MakerSpace als nichts weniger als eine zukünftige Säule des maroden chilenischen Bildungssystems betrachtet. Er bringt das praktische Wissen der Do-it-yourself-Kultur an die Schulen und gibt jungen Menschen die Möglichkeit, ihr technologisches Talent zu entfalten–ungeachtet ihres ökonomischen Hintergrundes, der in Chile einem Großteil der Bevölkerung die Teilnahme am Lernen unmöglich macht.