Wir haben Oliver Polak und seiner Mutter beim Streiten zugehört
Alle Fotos: Rebecca Rütten

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Popkultur

Wir haben Oliver Polak und seiner Mutter beim Streiten zugehört

"Der ist ein kranker Psychopath", sagt Inna Polak. "Wer? Ich oder Hitler?", fragt der Comedian.

Wenn Oliver Polak seine Mutter trifft, dann ist das wie ein jüdischer Witz, und der geht so: Kommt ein jüdischer Comedian mit seinem kleinen Hündchen in ein Café. Der eine, ziemlich haarig, lässt sich von der Mutter in den Arm nehmen, lang und innig. Der andere, nicht ganz so haarig, sitzt daneben und wartet artig. Dann steht er auf und holt sich einen Smoothie.

So, wie sich Oliver Polak, 41, und seine Mutter Inna Polak, 70, hier in einem Café in Berlin-Mitte begrüßen – die Mutter wirft ihm als aller Erstes vor, dass er sich ein Smartphone für 1.300 Euro bestellt hat –, könnte die Szene auch von Woody Allen stammen. Seine Filme drehen sich oft um das Klischee der jüdischen Mutter, die niemals ganz loslässt und ihre Kinder immer kontrolliert. Man kennt das vielleicht auch von Howard Wolowitz aus The Big Bang Theory , der als NASA-Ingenieur immer noch bei seiner Mutter wohnt. Oder eben von Oliver Polak.

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In seinem Comedyprogramm spricht er über den Holocaust – "du musst irgendeinen Gag haben, in dem das Wort vorkommt, die Leute klatschen eh wegen dem schlechtem Gewissen" – und oft über seine Mutter: "Was ist der Unterschied zwischen einem Pitbull und einer jüdischen Mutter? Der Pitbull lässt irgendwann wieder los." Als er sie in seine ProSieben-Talkshow Applaus und Raus einlud, fragte er sie: "Soll ich die Fragen stellen oder willst du gleich übernehmen?" In seinem Bestseller Der jüdische Patient nannte er das Wort "Wichsen" und seine Mutter in einem Satz. Wie findet sie das, wenn ihr Sohn andauernd über sie spricht und warum macht er das überhaupt?

"Wissen Sie was", sagt Inna Polak – und so beginnen viele ihrer Sätze –, "Oliver war immer ein Darsteller". Sie sagt "O-liver", mit Betonung auf dem "O". Das sei Selbstschutz, ihr Sohn trage in der Öffentlichkeit eine Maske – aus Unsicherheit, typisch für die zweite Generation nach dem Holocaust. Sein Vater hat das Konzentrationslager überlebt. Als einziger Jude war er nach Papenburg im Emsland zurückgekehrt. Wenn die anderen Kinder zu Hause im Schlafanzug Märchen von Schneewittchen lauschten, hörte der fünfjährige Oliver die Gute-Nacht-Geschichten seines Vaters über den Massenmord in den KZs.

Oliver Polak schaut misstrauisch zu seiner Mutter rüber, in den Augen die Furcht, die wir alle kennen, wenn wir ahnen, dass unsere Mutter gleich peinliches Zeug aus der Kindheit erzählt. Zwischen den beiden wacht Polaks Hund Artur wie eine demilitarisierte Zone. Dann holt seine Mutter ein laminiertes Foto aus der Handtasche, was bei Eltern selten etwas Gutes bedeutet. Darauf steht ein erwachsener Oliver Polak neben seiner Schwester, die ihr Kind im Arm hält. Er lächelt. "So wie auf diesem Foto ist Oliver wirklich", sagt Inna Polak. "Wenn er so wäre wie hier. Das wäre richtig schön."

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"Jetzt mal ehrlich", sagt Oliver Polak, "was ist das für eine oberflächliche Aussage?! Das ist irgendein Foto von irgendeiner Familienfeier, wo ich einfach so stehe, und du sagst, es wäre schön, wenn du so wärst."

Inna Polak hat sich immer gewünscht, dass aus ihrem Sohn ein "gebildeter Humanist" wird. Sie wurde 1947 in Leningrad geboren. Sowjetunion, Nachkriegszeit, eine anderen Welt. Weil sie sich dort intellektuell nie so frei entfalten konnte, wie sie wollte, wanderte sie 1974 als studierte Germanistin nach Deutschland aus. Ihre Kinder sollten später mal alle Möglichkeiten haben. Große Erwartungen und ihr Sohn Oliver sollte sie erfüllen. Aber aus ihm wurde kein jüdischer Goethe, der Vorlesungen hielt. Stattdessen stellte er sich – auch eine Art Vorlesung – wieder und wieder vor Tausende Menschen, um übers Wichsen zu reden. Oder er taumelte als versiffter Adolf Hitler durch ein K.I.Z.-Video. Wären das Trotzreaktionen, hätte es Oliver Polak ein bisschen übertrieben. Aber ärgert seine Mutter so was überhaupt?

"Er hat Hitler nur gespielt. Die Gesellschaft macht Hitler größer, als er ist. Das ist nur ein kranker Psychopath", sagt sie. "Wer? Ich oder Hitler?", fragt Oliver Polak, der länger nichts gesagt hat – und länger bedeutet bei den beiden, sich zehn Sekunden nicht ins Wort zu fallen. "Na ja, nach dem nächsten Therapeuten wirst du wahrscheinlich auch zu so einem Psychopathen werden", sagt seine Mutter.

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Oliver Polak verbrachte wegen Depressionen 2014 mehrere Monate in einer psychiatrischen Klinik. Inna Polak fand das übertrieben, legte sich mit den Therapeuten an. "Es gibt Depression. Aber die Menschen verwechseln sie oft mit Verstimmung", sagt sie. Wenn sie schlechte Laune habe, räume sie einfach auf. "Aber ich gehe zu niemandem. Helfen kann ich mir nur selbst."

Als Polaks Vater noch lebte, traute er sich nicht, ihm von seiner Depression zu erzählen. Das erschien ihm zu banal. Die Erwartungen der Mutter, das Schicksal des Vaters; Oliver Polak muss sich gefühlt haben wie Artur der Hund: sehr klein.

Den Therapeuten, sagt Inna Polak, habe sie erklärt, dass sie die ganze Schuld auf sich nehme. Hauptsache, ihrem Sohn gehe es gut. Das sei leicht gesagt, sagt er, vor allem, wenn man wirklich einer der Schuldfaktoren für die Depression ist.

Depressiv wegen der klammernden Mutter? "Klammernd? Um Gottes willen", sagt Inna Polak, linker Arm auf dem Tisch gestellt, so dass man ihre Tätowierung am Handgelenk sieht. Es sind die Initialen ihrer Kinder, ihrer Enkel und ihres verstorbenen Mannes. "Ich habe dieses Kind zwar geboren, aber ich habe kein Recht auf sein Leben." Nur wenn ihr Sohn sich selber wehtue, verletze sie das. Was sie damit meint, sieht man auf dem Plakat zu Polaks aktueller Tour "Über Alles". Darauf kniet er nackt über einer Deutschlandfahne, so als ob er gleich auf sie pissen würde.

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Er halte das in Zeiten von AfD für aussagekräftiger, als banal vom Plakat herunterzulächeln, sagt er. Seitenblick zur Mutter, ob sie das auch gehört hat. Die guckt in ihre Tasse. "Ich bin Komiker. Du hast einfach nur ein Problem damit, Entscheidungen von anderen Menschen zu akzeptieren", ruft er dann und so langsam versteht man, was hier abgeht. Oliver Polak will sich einfach nicht von seiner Mutter sagen lassen, wer er ist. Das will ja keiner. Im Gegensatz zu den meisten Menschen kann er das Spiel aber umdrehen. Sich auf eine Bühne stellen und erzählen, wie seine Mutter ist.

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