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Interviews

„Whitest Boy Alive war nicht wirklich eine Band, die leise Musik spielen konnte“—Interview mit Erlend Øye

Auf seiner Suche nach einem neuen Sound hat die Stimme von Whitest Boy Alive sich mit einer isländischen Reggae-Band im Studio eingeschlossen.

Foto: Gergana Petrova

Als ich noch nicht in Berlin lebte, dort aber relativ regelmäßig mit dem Zug hinfuhr, fanden meine Finger früher oder später den Play-Button für das Whitest Boy Alive-Album Dreams. Der perfekte Soundtrack, um die Landschaft an dir vorbeirauschen zu lassen, innere Ruhe im überfüllten Hauptbahnhof zu finden und schließlich entspannt in der U-Bahn zu sitzen. Da die Band jahrelang keine neuen Songs mehr veröffentlicht hatte, war die offizielle Aulösung der Band Anfang Juni zwar abzusehen, aber dennoch traurig. Umso mehr war ich gespannt, die Stimme der Band, Erlend Øye, in Berlin zum Gespräch zu treffen, um ihm zu seinem zweiten Soloalbum, aber auch dem Ende von Whitest Boy Alive zu befragen. Dass ich nur begrenzt Zeit hatte, um mit ihm zu reden, störte den geborenen Norweger und Wahl-Sizilianer wenig. Er ließ sich viel Zeit beim Antworten, legte lange Denkpausen ein und sprach mit ruhiger Stimme über den Reiz, mit einer Reggae-Band aufzunehmen, warum er nicht mehr Teil von Whitest Boy Alive sein konnte und ein mögliches neues Album von Kings of Convenience.

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Noisey: Wie gehts dir?
Erlend: Nun, den ganzen Sommer habe ich am Album gearbeitet. Ich wurde von schlechten Internetverbindungen geplagt, was erschwert hat, über das Cover oder den letzten Mix zu diskutieren. Jetzt ist fast alles fertig, es packt sich von selbst ein, der Tunnel öffnet sich. Wenn ich morgen nach Sizilien zurückfliege, habe ich endlich richtigen Urlaub. Wenn du weißt, dass du noch etwas tun musst, ist das kein Urlaub. Das ist wie eine Wolke, die dir folgt und die Sonne verdeckt.

Also bist du eher erleichtert, dass es vorbei ist oder auch ein bisschen aufgeregt?
Es gibt den einen Teil, der wirklich aufregend ist. Dann gibt es den Part, an dem du sichergehen musst, dass nichts falsch läuft, dass der Sound gut ist. Irgendein Genie hat mal gesagt, dass Erfolg zu 10% aus Inspiration und zu 90% aus Transpiration besteht. Du kannst eine gute Idee haben, aber dann musst du viel Arbeit reinstecken, um sie zu verwirklichen. Beim diesem Album waren solche inspirierenden Momente beispielsweise die, in denen ich im Studio auf Island angekommen bin, den anderen Musikern den Song zum ersten Mal vorspielte und wir ihn nach zwei oder drei Stunden zusammen eingespielt hatten. Das ist ein unglaublich schöner Moment, wenn Menschen ihre Parts und ihr Spiel finden. Dann hörst du dir den Song an, siehst dir gegenseitig ins Gesicht und denkst: „Wow, das haben wir gerade aufgenommen?“ Das sind die wirklich tollen Momente. Danach kommt das Mixen und das Zusammenstellen der Songs: „Ist diese Version besser oder die? Was soll der erste Song sein, welcher danach?“ Das braucht wirklich viel Zeit.

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Als ich las, dass du mit einer Reggae-Band aufgenommen hast, war ich echt verwundert. Für mich ist Reggae eine sehr fröhliche Musikrichtung und dein Gesang und Gitarrenspiel eher melancholisch. Hat dich dieser Gegensatz gereizt?
Ja, deswegen war es für mich interessant. Es gab die Chance, etwas „Neues“ zu machen. Indem ich eben meine Art des Songwritings mit dieser Band kombinierte. Genauso wie damals, als ich 2003 dieses Electronic-Soul-Album veröffentlicht hatte. Natürlich war ich als Mitglied der Band Kings of Convenience bekannt und machte dann sehr andersartige Musik mit der offenkundig gleichen Art Songs zu schreiben. Aber ja, es ist ein „Kontrapunkt“, wie wir es in Norwegen sagen.

Ich habe mir das Video zu „Garota“ auf YouTube angesehen und die Kommentare überflogen. Das Kommentar mit dem höchsten Rating war: „Erlend goes soft porn… a little. “
Ich finde, das Interessantere war das andere, das aussagte, dass ich mehr Mainstream geworden bin. Das war am Unglaublichsten. Mainstream. Meint er, dass die Musik jetzt so gut ist, dass sie sich super verkauft? Ich hoffe (lacht).

Wie war das Feedback denn sonst so?
Oh, es war gut, sehr gut. Ich hatte keine Zweifel, denn mein A&R hat es gemocht und er ist nicht bekannt dafür, sehr positiv zu sein. Deswegen dachte ich, wenn er es mag, wird es auch der Rest der Welt mögen.

Viele der Songs auf dem Album behandeln Liebesthemen. Sprichst du da aus Erfahrung?
Naja, ich bin sehr interessiert an Essen, aber das heißt nicht, dass ich oft koche. Ich bin umgeben von guten Köchen und bin ein guter Beobachter. Manchmal werde ich in dieses Monstrum hineingezogen, das Leute erzeugen (lacht). Es geht also nicht immer um meine persönlichen Erfahrungen. Manchmal ja, manchmal nicht.

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„Who do you report to“ ist dagegen ein ziemlich kritischer, politischer Song. Warum war es so wichtig für dich, ihn auf das Album zu packen?

Du bemerkst sofort, dass das der einzige Song ist, der nicht mit der Band aufgenommen wurde. Ein Reggae-Rhythmus hätte den Song wahrscheinlich klischeehaft wirken lassen. Ich hatte mich entschieden, dieses Genre zu spielen. Dann wollte ich einen politischen Text schreiben. Aber das wäre im Reggae-Kontext nicht so interessant. Ich will immer etwas machen, was noch nicht so oft gemacht wurde. Oder etwas, was schon gemacht wurde, aber zurzeit niemand mehr macht. Denn wenn du etwas tust, was nicht in diese Zeit gehört, hat es eine neue Bedeutung. Jemand, der heutzutage eine alte Maltechnik benutzt, will damit etwas ausdrücken.

Heißt das, dass heutzutage kaum noch jemand politische Themen in seiner Musik anspricht?
Es ist sehr schwer etwas zu schreiben, dass im Entferntesten mit Politik zu tun hat. Wie kann ein Song irgendetwas lösen? Ein politischer Song wird von den Leuten gehört, die die Meinung des Songs teilen. Wenn sie die Meinung nicht teilen, werden sie auch nicht zuhören, wenn die Nachricht klar verständlich ist. Wenn du die Nachricht aber in eine andere Ebene verpackst, wird es leichter. Das hat Bob Marley sehr gut gekonnt. Er hat viele Liebeslieder geschrieben, die sich politisch angefühlt haben und er hat viele politische Lieder gesungen, die von Liebe handelten. Dies zu schaffen, ist sehr schwer. Ich habe definitiv nicht vorgehabt, es zu probieren. Ich wollte einfach mein Songwriting mit einem neuen Rhythmus unterlegen.

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Würdest du sagen, Legao ist das beste Album, an dem du je gearbeitest hast?
Es ist besser als Unrest. Aber ich bin nicht so sehr an Genres interessiert. Alle Alben, die ich veröffentlich habe, hatten in etwa den gleichen Erfolg. Es gab immer etwas, was falsch gelaufen ist und etwas, was überraschenderweise sehr gut gelaufen ist. Wenn Leute etwas hören, werden sie große Kunst hören, die gar nicht da ist. Sie hören etwas, worüber wir Musiker nie nachgedacht haben. Das macht es so schwierig zu sagen, ob ein Album gut ist oder nicht. Ich denke Legao ist ein weiteres Album, das dir ein guter Freund ist, dem du in vielen unterschiedlichen Situationen zuhören kannst.

Im Juni haben Whitest Boy Alive offiziell ihre Auflösung bekannt gegeben. Als Begründung habt ihr einen selbstgebauten „goldenen Käfig“ genannt. Was habt ihr damit gemeint?
Wenn du eine Band gründest, reduzierst du von Anfang an deine Optionen. Du kannst zwar jede Art von Musik spielen, die du willst, aber du brauchst eine Richtung. Du musst deinen Sound finden. Also suchst du einen gemeinsamen Nenner zwischen allen Bandmitgliedern. Dann versteifst du dich darauf, weil du ja deine Musik nur auf diese Weise spielen und aufnehmen kannst. Wenn du erstmal deinen Sound etabliert hast, ist es schwierig etwas daran zu ändern. Es ist hart neue Riffs und Melodien mit dem gleichen Rezept und Werkzeugen zu kreieren. Wir haben es versucht, aber es war schlussendlich nicht so ergiebig. Ich wusste, dass es für mich viel leichter sein würde, Musik auf eine gänzlich andere Art zu spielen.

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Aber warum nicht weiter nur eine kreative Pause einlegen? Kings of Convenience spielen ja immerhin auch noch Shows, obwohl das letzte Album fünf Jahre zurückliegt.
In einer Band zu spielen, die keine neuen Songs schreibt, ist kein brauchbares Konzept. Außerdem wird mein Gehör von Jahr zu Jahr schlechter. Ich musste langsam einen Weg aus der Situation finden, in der ich laute Musik spielen musste. Musste einen Weg zu einem Platz finden, in welchem ich viel leisere Musik spielen konnte. Ansonsten hätte ich mit 54 ein echtes Problem. Der Tinnitus wird immer schlimmer. Vor zwei Monaten hatte ich in meinem rechten Ohr eine Art Sprung und jetzt höre ich alles viel lauter. Whitest Boy Alive war nicht wirklich eine Band, die leise Musik spielen konnte. Sie musste laut sein.

Sehr verständlich. Du hast dich in deiner Karriere in vielen Projekten ausprobiert. Gab es da niemals einen Punkt, wo deine Kreativität dich im Stich gelassen hat?
In meiner Karriere gab es Hügel und Täler. Als ich 22 und 23 Jahre alt war, habe ich sehr viel mehr geschrieben. Das ist eben eine Zeit im Leben, in der so viele Sachen passieren. Die erste richtige Beziehung, der Auszug von Zuhause, eben viele große Sachen, über die du schreiben kannst. Wenn du älter wirst, erlebst du nur noch wenige wirklich berichtenswerte Sachen. Deswegen war es so cool, als ich diesen italienischen Song geschrieben habe. Ich konnte bei Null anfangen.

Planst du neue Projekte oder Alben nach dem Release von Legao? Vielleicht ein neues Kings-Album?
Ja vielleicht. Aber ich werde auch an italienischen Songs arbeiten. Das braucht aber viel Zeit, weil ich nicht so gut italienisch sprechen kann.

Legao ist am 03. Oktober erschienen. Du kannst es bei Amazon und iTunes kaufen.

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