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Popkultur

Revolutionen und Tsunamis sind total modisch

Ryohei Kawanishis Entropy-Kollektion beruht auf dem Erdbeben und dem Tsunami in Japan.
Jamie Clifton
London, GB

Erinnerst du dich noch daran, als dich dein Kumpel gefragt hat, was du zum Arabischen Frühling sagst und du ihm entgegnet hast, dass du die Frühlings- und Sommerkollektion '12 von Hussein Chalayan nicht so besonders fandest, aber die Sachen von Nasir Mazhar ziemlich gut waren? Das war peinlich, oder? Und außerdem kommst du dabei rassistisch rüber, weil sie (zypriotisch-)türkische Wurzeln haben und keine Araber sind.

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Das Beste, um sich nach solch einer Situation ein wenig Respekt zurückzuerobern und gleichzeitig zu zeigen, dass man sich für geopolitische Themen und hübsche Kleider interessiert, ist, dem japanischen Designer Ryohei Kawanishi zu huldigen. Er entwirft soziopolitisch inspirierte Szenarien, verwendet mehrere Schichten Stoff, um mehrere Schichten von Bedeutungen zu signalisieren. Er bringt Strukturen durcheinander, was offenbart, wie unentwirrbar Themen ineinander greifen, um tragbare Berichte darüber zu liefern, was ihn in der Welt stört. Natürlich klingt das ein bisschen prätentiös, aber es ist auch auf einer Art Genie-Ebene irre. Dir wird seine Abschlusskollektion wohl als „die absurd-verrückte Show mit einem enttäuscht aussehenden chassidischen Juden, Schrottplatzstoffen, der riesigen UN-Flagge und den ganzen Facebook- und Twitter-Logos“ in Erinnerung bleiben.

Ein Stück aus Kawanishis tsunamizerstörter Entropy-Kollektion.

VICE: Also, erzähl mir von deiner Entropy-Kollektion. Sie beruht doch auf dem Erdbeben und dem Tsunami in Japan, oder?
Ryohei Kawanishi: Ja, ich habe versucht, alles zu beschreiben, was in Japan seit dem 11. März vorgefallen ist. Die japanische Mode ist in den 80ern mit Comme des Garçons und den Yohji-Yamamoto-Shows in Paris 1981 explodiert. Ich erinnere mich noch, wie all die Journalisten die Kollektionen damals als post-Hiroshima oder post-Atombombe analysiert haben und ich habe es einfach geliebt, wie japanische Designer es geschafft haben, sich wirklich zu etwas zu äußern.

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Versuchst du also dieses Element der Stellungnahmen wieder in das japanische Design zu bringen?
Ja, mehr zeitgenössische, soziale und politische Themen, eher noch als das, was in der Pop-Kultur so los ist. Die meisten Leute holen sich ihre Inspiration aus Magazinen oder von Musikern oder so, was auch eine interessante Herangehensweise sein kann, aber ich wollte etwas Anderes machen. Wirtschaft und Politik sind Dinge, die mich wirklich interessieren, also hat es Sinn gemacht, Elemente aus diesen Bereichen zu nehmen und sie in meinen Designs zusammenzubringen.

Ist es kathartisch für dich und eine gute Möglichkeit, deine Weltanschauung rüberzubringen?
Eigentlich bringe ich nicht so viel von meiner persönlichen Meinung ein, ich nehme eher Informationen, die ich als Beobachter sehe und verschmelze sie mit meinen Entwürfen, um so etwas Neues zu kreieren. Zum Beispiel habe ich bei meiner Abschlusskollektion Schuhe außerhalb der Stücke befestigt und die Sohlen mit den Farben der palästinischen Flagge bemalt, um zu zeigen, wie meiner Meinung nach auf Palästina rumgetrampelt wird.

Sehr clever. Welche anderen vergleichbaren Techniken hast du bei Entropy verwendet?
Nun, die Katastrophe von Japan brachte so viele Probleme mit sich und alle wurden unwiederbringlich ineinander und  durcheinander verflochten, also versuchte ich, die Kleider so zu gestalten, dass sie genau das wiedergeben, indem ich ihnen einen völlig verwirrten Look gab, mit vielen unterschiedlichen Stoffen, die ineinander verzwickt sind.

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Von der untitled Central Saint Martins Show.

Die Klamotten waren ja auch ziemlich durch. Sie sahen aus, als hätten sie den Tsunami selbst durchgestanden.
Ja, genau. Ich mochte sehr, wie Comme Löcher in ihre Strickstücke geschnitten hat, um die Zerstörung wiederzugeben, also versuchte ich, Einiges davon in dieser Kollektion anzuwenden. Außerdem habe ich die Klamotten mit Salz bemalt, um das Meerwasser des Tsunami darzustellen und versucht, eine Betontextur aus mit Kleber gemischtem Salz zu machen und damit über die Kleider zu malen.

Was ist mit deiner Abschlusskollektion?
Das war eine Reaktion auf die globale demokratische Revolution, die in der Zeit vorging, und berührte auch einige der Probleme, die in der arabischen Welt gerade aktuell waren. In Ägypten und Tunesien waren die Revolutionen im Gange und ich war daran interessiert zu sehen, wie Social Media eingesetzt wurde, um Regierungen und diese riesigen bestehenden Institutionen zu stürzen. Deshalb all die Social-Media-Logos.

Wo passten da der Gaza-Konflikt und die UN-Bezüge zu?
Oh, das war ein anderer Teil der Geschichte, die ich mit dieser Kollektion erzählt habe. Es gab die Entscheidung der UN, den Staat Israel als unabhängiges Land zu etablieren, also war das UN-Logo da, um die Anfänge des Konflikts mit der palästinischen Bevölkerung aufzuzeigen und wie ich schon sagte, fügte ich auch andere Elemente, wie das Schuh-Stampfen, hinzu, um diese Geschichte zu erzählen.

So weit so gut. Und was ist mit den Massen an Stoff, die du für diese Kollektion verwendet hast?
Das war eine Art, die Ungeheuerlichkeit von all dem, was passierte, auszudrücken. Ich nehme an, das ist dasselbe wie beim Tsunami—es gab so viele unterschiedliche Schichten bei den Entwicklungen des Arabischen Frühlings, also habe ich viele unterschiedliche Typen von Stoffen übereinander gelegt, um das wiederzugeben.

Cool, mir gefällt dieses bezeichnende Stoff-Ding, was du da machst. Wie kommt deine Arbeit in Japan an? Ist der europäische Markt für deine ausgefallenen Stücke nicht viel weniger empfänglich als der japanische?
Eigentlich nicht. Es sieht aus, als wären die Japaner an den Themen, die ich versuche, in meiner Arbeit zu berühren, weniger interessiert. Die Leute stehen viel mehr auf solche Sachen wie Animation—sie denken, das wäre das Coolste überhaupt—aber ich denke, dass echte Themen einen viel größeren Teil unserer Aufmerksamkeit verdienen als solche Sachen.

Also, wo liegt dein Markt?
Ich weiß gar nicht so genau, ob meine Arbeit besser in der Kunst oder in der Mode ankommt, aber ich würde gerne eine Kollektion in einer Galerie und auf einem Catwalk gleichzeitig zeigen, um die verschiedenen Reaktionen zu sehen. Meine nächste Kollektion wird gemeinschaftlich finanziert, also so, dass Leute spenden, damit ich weiter entwerfen kann. Es wird sehr interessant, wer eigentlich da draußen meine Arbeit unterstützt.