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Auch in Venezuela sterben Demonstranten

Die venezolanischen Behörden versuchen verzweifelt, die Bevölkerung über die Demonstrationen und die Gewaltausbrüche im Unklaren zu lassen.

Fotos von El Nacional

Er stand an einer Straßenecke, als sie ihm ihn in den Kopf schossen. Vier, vielleicht fünf Leute hoben ihn auf und versuchten, einen Krankenwagen, ein Auto, ein Motorrad ausfindig zu machen. Immer wieder rutschte ihnen der Körper weg, sie mussten sich beim Tragen abwechseln. In der wirren Solidarität unter Aufständischen fassten sie ihn an Armen und Beinen. Einer drückte ihm ein Stück Stoff auf die Wunden und versuchte, die Blutungen zu stillen. So schleppten sie ihn mehrere Blocks lang, ohne jemanden zu finden, der ihnen hätte helfen können. Schließlich begegneten sie einem Polizisten, der sich nach dem verzweifelten Appell von einem der jungen Männer bereit erklärte, sie in das nächste Krankenhaus im Zentrum von Caracas zu fahren. Bassil Da Costa, der verwundete Mann, und Roberto Redman, der ihn tragen half, hatten sich am gleichen Abend kennengelernt—am 12. Februar, bei einer Demonstration am Tag der Jugend, die von Studenten und der venezolanischen Opposition organisiert worden war. Jetzt sind Da Costa und Redman tot. Sie sind zwei der ersten Opfer der Gewalt, die im Zuge des scharfen Vorgehens gegen die Demonstranten ausbrach. Es herrscht noch immer Chaos auf den Straßen.

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Roberto Redman (mit schwarzer Mütze) hilft beim Tragen von Bassil Da Costa.

Für Da Costa, einen 23-jähriger Tischler, war es die erste Demonstration, an der er jemals teilgenommen hatte. Er kam aus Guatire, einem Vorort von Caracas, und machte nur wegen seiner Cousins mit. Redman hingegen, ein 31-jähriger Pilot, ging zu so vielen Demonstrationen, wie er konnte. Er wohnte in Chacao, einem mittelständischen Stadtteil von Caracas, in dem die meisten der Anti-Regierungsproteste der letzten Zeit stattfanden. Redman beschrieb sich in seinem Twitter-Profil als guarimbero—eine staatliche Bezeichnung für Demonstranten. Um 18:25 twitterte Redman: „Ich wurde heute von einem Stein am Rücken und von einem Helm an der Nase getroffen, ich habe Tränengas eingeatmet und den Jungen getragen, der gestorben ist. Was hab ihr gemacht?“ Ein paar Stunden später war er ebenfalls tot. Wie Da Costa starb er an einem Kopfschuss. Die Einzelheiten der zwei Todesfälle, die in der internationalen Presse nachhallten, wurden anhand von Videos rekonstruiert, die zum Teil von Laien, zum Teil von Sachkundigen aufgenommen worden waren. Die Venezueler, die sich auf herkömmliche Medien verließen, haben—dank der staatlichen Zensur von Fernsehsendern und Zeitungen—von Redman und Da Costa jedoch nichts mitbekommen. Die venezolanischen Behörden versuchen verzweifelt, die Bevölkerung über die Demonstration und die Gewaltausbrüche im Unklaren zu lassen. Um zu verhindern, dass Fotos von den Protesten in Umlauf gerieten, blockierten sie sogar das Internet.

Robertos Vater Erick Redman bei einem Protest einige Tage nach der Ermordung seines Sohnes (via Twitter)

Da Costa war zwei Jahre alt, als Hugo Chávez 1992 einen gescheiterten Putschversuch anführte. Redman war neun. Sechzehn Jahre ist es her, dass der 2013 gestorbene Präsident seinen ersten Wahlsieg verzeichnete—mehr als die Hälfte ihres Lebens. Ein Venezuela ohne Chávez kannten sie nicht. Nicolas Maduro—der gegenwärtige Präsident des Landes—ist ein Erbe von Chávez, noch beschränkter und brutaler als sein Vorgänger. Die Menschen erleben Inflation, Güterknappheit und eine unglaublich hohe Mordrate und fragen sich, was zur Hölle die Leute machen, die das Land anführen. In Venezuela demonstrieren zu gehen, ist gefährlich. Ebenso gefährlich ist es, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Auf vielen Bannern liest man: „Mama, ich bin für Venezuela demonstrieren gegangen. Falls ich nicht wiederkomme, bin ich mit zu ihr gegangen.“