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Ich habe mich von einem Facebook-Profiling-Programm analysieren lassen

Nach einer Sitzung auf der virtuellen Profiling-Couch weiß ich, dass meine Facebook-Identität jünger, sanfter und vielfältiger ist als mein Offline-Ich.

Titelbild: Robert Huffstutter | flickr | cc by 2.0

Die Frage, wer wir sind und was unser Ich ausmacht, ist heute schwieriger zu beantworten als jemals zuvor. Das liegt vor allem daran, dass wir heute Tausende unterschiedliche Identitäten haben, die wir je nach Kommunikationskanal wechseln wie unsere Outfits.

Das war auf gewisse Art schon immer so: Jeder von uns ist für seine Eltern ein anderer Mensch als für seine Freunde—und wie diese beiden Personenversionen zu dem Typen passen sollen, der abends YouTube-Videos von Babys schaut, die auf Hundewelpen schlafen, kann wahrscheinlich nicht mal der beste Kognitionspsychologie erklären.

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Aber eine Sache hat sich seit der digitalen Revolution dennoch geändert: nämlich die Anzahl der Identitäten, die in unserem Kopf miteinander konkurrieren. Heute sind wir nicht nur jemand anderes für unsere Eltern als für unsere Freunde—wir sind sogar für unsere Eltern auf WhatsApp jemand anderes als am Telefon oder zu Weihnachten. Ich zum Beispiel habe meiner Mutter gegenüber schon hunderte Mal ein Küsschen-Emoji verwendet, würde aber nie laut „Bussi" sagen.

Die unterschiedlichen Plattformen haben auch unterschiedliche Plattform-Identitäten hervorgebracht.

Wir antworten Leuten auf Instagram (mangels Like-Funktion und dank der breiten Akzeptanz von Miley Cyrus) überschwänglicher und mit mehr Herzchen als auf Facebook, während wir uns auf Twitter alle zu zynischen Experten stilisieren.

Die unterschiedlichen Plattformen haben auch unterschiedliche Plattform-Identitäten hervorgebracht und eine zusätzliche Ebene an Konventionen in unsere Kommunikation eingeführt. Das macht es natürlich nicht unbedingt einfacher. Vor allem, weil wir diese Plattformen immer noch nicht so gut kennen wie sie uns.

Nehmen wir zum Beispiel Facebook. Das, was wir „soziales Netzwerk" nennen, ist in Wahrheit ein diffuser Sammelbegriff für die unterschiedlichsten Anwendungen und Begrifflichkeiten. Für manche ist Facebook eine News-Plattform, für andere ein Messaging-Client. Die einen behandeln Facebook wie das digitale Äquivalent zum mittelalterlichen Dorfplatz (inklusive Pranger und Hexenverbrennungen), die anderen sehen darin ihr virtuelles Wohnzimmer (wobei ich persönlich finde, dass sich nichts als Wohnzimmer qualifiziert, wo ich nicht nackt sein darf, aber egal).

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Seit dem NSA-Abhörskandal und der Aufdeckung des PRISM-Überwachungsprogramms haben auch Verschwörungstheorien rund um die Rolle sozialer Medien im Spionage-Komplex eine Renaissance erlebt.

Dass Mark Zuckerberg damals die Vorwürfe, Facebook habe Daten an die Geheimdienste weitergegeben, vehement abstritt, half nur bedingt gegen das unbestimmte Gefühl, dass wir weniger Mitspieler im großen digitalen Netzwerk sind, sondern viel eher Spielbälle der Konzerne. Anfang 2014 verklagten zwei User Facebook, weil das Unternehmen angeblich systematisch Privatnachrichten gescannt und die daraus gewonnenen Daten an Werber und Marketer verkauft hat. Dasselbe soll auch bei Google, Yahoo und LinkedIn passiert sein.

Egal, ob begründet oder nicht—anscheinend haben wir eine tiefsitzende Angst davor, von unseren Plattformen wie schlechte Pokerspieler durchschaut zu werden. Aber ob die sozialen Medien das Blatt in unserer Hand kennen, ist dabei nicht das Entscheidendste. Im Idealfall lernen wir auch einiges über sie (und vielleicht sogar über uns), indem wir uns von ihnen sagen lassen, wie wir ihrer Meinung nach, unser Blatt spielen.

So wichtig ein sorgfältiger Umgang mit persönlichen Daten auch ist, so umfangreich sind auch die Möglichkeiten, die soziale Medien für unser Selbstverständnis bieten.

Wenn wir heute also eine Antwort auf die Frage suchen, wer wir sind, reicht es deshalb nicht mehr, auf die Stimme in unserem Kopf und die sozialen Rückmeldungen in unserem Freundeskreis zu hören. Es ist an der Zeit, unsere Plattformen als Spiegel zu benutzen und sie um eine Therapiesitzung zu bitten.

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Dafür habe ich dem Prognose-Tool „Apply Magic Sauce" Zugang zu meinem Facebook-Profil erlaubt und mein Plattform-Ich analysieren lassen. Die Programmschnittstelle wurde vom Psychometrie-Zentrum der Universität Cambridge entwickelt, funktioniert aber erst ab einem gewissen (nicht näher definierten) Mindestmaß an Aktivität und ist damit nichts für reine Lurker und Stalker.

Hier sind meine Ergebnisse.

Der „Magic Sauce"-Analyse nach zu urteilen, ist mein einziges hervorstechendes Persönlichkeitsmerkmal Offenheit (auch bekannt als Euphemismus für „nette Menschen, die keine Meinung haben"). An zweiter Stelle kommt zwar schon neurotisch (damit mein Profil doch noch ein bisschen Profil bekommt), aber da der Durchschnittswert von Charaktereigenschaften in diesem Chart bei 50 % liegt, bin ich mit 35 % auch nur unterdurchschnittlich stark gestört—genauso, wie ich nur unterdurchschnittlich extrovertiert, verträglich und gewissenhaft bin. Vielleicht heißt das aber auch nur, dass ich im sozialen Netz bescheidener auftrete, als ich bin (das ist gut, oder?). Im Wesentlichen erkenne ich mich jedenfalls ganz gut darin wieder, aber das gilt auch für so ziemlich jedes Horoskop der Welt.

Was den bunten Ausbildungs-Kuchen angeht, spiele ich ernsthaft mit dem Gedanken, mich bei zukünftigen Jobs vielleicht besser mit meinem Facebook-Profil zu bewerben. Anscheinend zeige ich sozialmedial gleich viel Kompetenz in Ingenieurswissenschaft wie in Kunst, während ich Journalismus gleich gut wie IT und Psychologie beherrsche (keine blöden Witze, bitte). Außerdem zeigen meine Profil-Likes Kenntnisse in Biologie und Business. Das „Magic Sauce"-Tool hat eindeutig meinen Traum durchschaut: irgendwann als bloggender Tierpsychiater und Wall Street-Aussteiger auf einem selbstgebauten Dampfer zur Art Basel in Miami reisen.

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Keine Ahnung, was ich von dem Prädikat „uninvolviert" halten soll und ob die Magic Sauce hier ein bisschen mehr Engagement aus mir herauskitzeln will. Auf jeden Fall finde ich es schön, dass man im Englischen einen Unterschied zwischen „liberal" und „libertarian" macht. Mit circa zwei Dritteln liberal-konservativ kann ich jedenfalls gut leben.

Mit ein bisschen jüdisch und einem großen Teil nichtreligiös hat die Prognose den Nagel ziemlich auf den Kopf getroffen (oy vey!); ersteres bin ich nach jüdischem Gesetz automatisch, zweiteres aufgrund meiner Einstellung notgedrungen.

Das Ergebnis eines Intelligenztests (selbst, wenn er nur auf Likes beruht) kann man natürlich nicht beanstanden, ohne fürchterlich arrogant zu wirken, deshalb lasse ich diesen Wert gerne unkommentiert genauso stehen, wie Magic Sauce ihn mir ausgespuckt hat. Dass ich mit meinem Leben allerdings nur zu 43 % zufrieden sein soll, finde ich dann doch komisch.

Was mich auch an die philosophischen Grenzen einer solchen Analyse und zu der -mäßigen Frage bringt: Hat das Tool am Ende immer recht—und man selbst weiß es womöglich einfach nur noch nicht? Und wie viel hat die Person, die analysiert wird, in der Analyse mitzureden?

Es wird auch nicht weniger verwirrend, wenn das Facebook-Profiling zwischen zwei Tortengrafiken ganz nonchalant das Konzept des „psychologischen Geschlechts" einstreut—und damit auch die Frage, ob wir wirklich eher mehr oder nicht doch vielleicht weniger Labels bräuchten.

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Auch diese Daten werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Zum Beispiel: Was macht mich in den Augen von Facebook zu 3 % schwul? Heißt das, ich bin zu 97 % asexuell (oder unentschlossen)? Was muss ich anders machen, damit mir mein digitaler Analysator glaubt, dass ich in einer Beziehung bin (zusätzlich zu der Angabe in meinem Profil, dass ich „in einer Beziehung" mit meiner Freundin bin)?

Aber gerade, als sich ernsthafte Bedenken über die Glaubwürdigkeit der Auswertung in mir breitmachen, wischt das prognostizierte Alter sie alle wieder weg. Biologisch gesehen bin ich zwar 32, aber was wissen meine Zellen schon über mein Alter. Außerdem ist „3 % Gay" definitiv eine Aussage, die sich gut als Tattoo oder Twitter-Profil-Beschreibung machen würde. Danke, Magic Sauce!

Nach der gesamten Analyse wirkt „Magic Sauce" jedenfalls nicht ganz so magisch wie sein Name. Während das Analyse-Tool bei politischer Einstellung und religiöser Ausrichtung ins Schwarze getroffen hat, fühle ich mich mit 5 Jahren Verjüngung zwar gut therapiert, aber nicht unbedingt gut erkannt.

Manche Werte—wie zum Beispiel jene bei Lebenszufriedenheit und Beziehungsstatus—würde ich als ziemlich eindeutig falsch bezeichnen, andere—wie eine Prozentskala für Intelligenz und sexuelle Ausrichtung—verstehe ich nicht ganz.

Im nächsten Schritt wäre natürlich auch spannend, dasselbe mit anderen Plattformen auszuprobieren, aber im Moment orientieren sich derartige Tools noch an den Regeln des Marktes und arbeiten sich vom breitesten zum spitzesten sozialen Medium vor. Für Twitter existiert aktuell noch kein vergleichbares Tool, obwohl Persönlichkeitsprognose auch hier längst das Thema einiger akademischer Papers ist.

Am Ende bleibt die Frage, was all diese Werte eigentlich über uns selbst aussagen. Solange weder die Parameter, noch die Kriterien völlig transparent sind, ist das Ganze natürlich keine exakte Wissenschaft—aber auf der anderen Seite sind unsere Facebook-Profile auch keine exakten Versuchsobjekte.

In meinem Fall ist meine Facebook-Identität jünger, sanfter und wahrscheinlich auch diversifizierter als mein Offline-Ich—zumindest hat mir im echten Leben noch nie jemand Kompetenzen in Ingenieurswesen, Biologie oder Wirtschaft unterstellt.

Aber irgendwie ist genau das auch das Beruhigende an dem ganzen Test. Und: Jetzt, wo ich weiß, was Facebook (vermutlich) über mich denkt, ist mir umso klarer, dass Facebook viel weniger Ahnung hat als ich zuerst vermutet habe.

Bild bei Facebook und VICE.compixabay, bykst | CC0