Unter Frankfurter Innenstadt-Verbotlern in Darmstadt
Alles Fotos: Blanca Richter

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Fußball

Unter Frankfurter Innenstadt-Verbotlern in Darmstadt

Eintracht-Fans durften zum Hessen-Derby zunächst nicht in die Darmstädter Innenstadt, dann schon. Unsere Autorin, Eintracht-Fan in Zivil, langweilte sich, bis plötzlich 100 Frankfurter mit Stühlen bewaffnet auf Personen losgingen.

Ich bin eine Frau und ich mag Fußball. Ich mag es auch, wenn es beim Fußball etwas härter zugeht. Auf und neben dem Platz. Ich bin Fan von Eintracht Frankfurt und war schon im Stadion, als es noch Waldstadion hieß. Bei Heimspielen stehe ich regelmäßig im Block 40, fahre ab und zu auswärts und bei der Aufstiegsfeier in Aachen vor vier Jahren stand ich auch mit auf dem Rasen. Mir ist dabei noch nie etwas passiert. Gestern war ich in Darmstadt beim Rhein-Main-Derby: Lilien gegen SGE. Schon im Vorfeld war klar, dass das Spiel eigentlich nur zur Nebensache wird. Über zweifelhafte Entscheidungen, betreute Sit-Ins und Provokation:

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13.30: Darmstadt Hauptbahnhof

Die S-Bahn hält. Last exit: Darmstadt Hauptbahnhof. Die Türen öffnen sich. Na dann, wollen wir mal. Heute bin ich nicht wie sonst in Eintracht-Kluft unterwegs, sondern in Zivil. Gab ja auch genügend Hin-und-her vergangene Woche. Dürfen die Eintracht-Fans in die Stadt oder nicht? Stand Samstagmorgen: Sie dürfen. Nur eben, wie vom DFB-Gericht nach dem Spiel in der Hinrunde entschieden, nicht ins Stadion. Vor mir bewegen sich einige Eintracht-Fans in Richtung der Polizisten, die sich an jedem Aufgang zu Dutzenden positioniert haben. Auch wenn die Stadt Darmstadt noch am Morgen des Spieltags die Sperrzone für Frankfurter Anhänger aufgehoben hat, steht hier erst mal jeder unter Generalverdacht. An der Treppe bilden vier Polizisten eine Kette und filtern Fußballfans von Normalos. „Zum Fußball?", fragt mich ein Polizist mit skeptischem Blick. „Sehe ich so aus?", entgegne ich ihm und drücke mich an ihm vorbei nach oben. Die beiden Typen hinter mir schaffen es nicht. Sie tragen Eintracht-Kapuzenpullover und werden von ihm unmissverständlich gebeten, den hinteren Aufgang zu benutzen. Am Gleis ertönt der Fangesang „Wir sind keine Hooligans, wir sind normale Fußballfans". In der Bahnhofshalle angekommen, steuere ich an Fans aus beiden Lagern vorbei und an Polizisten, die das Geschehen mit einer Kamera filmen. Bis auf ein paar Sprechchöre geht es noch ganz friedlich zu. Ist das nur die Ruhe vor dem Sturm? Ich trete auf den Bahnhofsvorplatz, sehe mich schon wieder einer Horde Einsatzkräften gegenüber und denke mir: ein besseres Betreuungsverhältnis als in jeder Kita. Immerhin. Mit der nächsten Tram fahre ich in Richtung Luisenplatz.

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13.45: Luisenplatz

Im Gegensatz zum Hauptbahnhof herrscht hier schon reges Treiben. Durch Polizei und Straßenbahn getrennt, liefern sich die beiden Fangruppen einen kleinen akustischen Schlagabtausch. Entgegen der vorab gesponnenen Horrorszenarien, dass mehrere tausend gewaltbereite Frankfurter nach Darmstadt reisen und in der Innenstadt randalieren würden, ist nach wie vor alles verhältnismäßig entspannt. Ungefähr 300 Eintracht-Fans und hundert Lilien-Fans stimmen ein paar Wechselgesänge und Sprechchöre an. Bier und Sonne tun ihr übriges: Die Stimmung ist ausgelassen. Ich schließe mich den Anhängern an, die ab 14:30 Uhr gegen den Ausschluss vom Spiel demonstrieren. „Handy weg", werde ich angefahren. Ist ja gut.

Fans der Frankfurter Eintracht im Wechselgesang mit Darmstadt-Fans

15.00: Luisenplatz, jetzt von der anderen Seite

Während die Darmstädter Richtung Stadion weiterziehen, werden die verbliebenen Frankfurter Anhänger auf die andere Seite des Luisenplatzes bugsiert und für eine halbe Stunde eingekesselt. Bei schönem Frühlingswetter bewundere ich in aller Ruhe die Säule am Luisenplatz. Mehr passiert nämlich noch nicht. Gesänge wie „Fußballfans sind keine Verbrecher" und „Wir haben alle Stadionverbot" begleiten die Darmstädter bei ihrem samstäglichen Einkaufsbummel. Irgendwie hatte ich gedacht, dass mehr passiert. Und vom Spiel, das in einer halben Stunde anfängt, bekommt man auch nichts mit. Schade.

Betreutes Sit-In am Luisenplatz: Frankfurter werden von Polizei eingekesselt

15.30: Immer noch Luisenplatz

Das Spiel beginnt. Anscheinend. Wir hören es im Radio. Kurz darauf wird das betreute Sit-In am Brunnen aufgelöst, nicht ohne vorher mit einem Banner auf das von der Stadt Darmstadt geplante, aber für rechtswidrig befundene Stadtverbot für die Eintracht-Fans hinzuweisen. 1:0 Darmstadt…

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Banner gegen das geplante, rechtswidrige Stadtverbot für die Frankfurt-Fans

16.00: Altstadt

Die Frankfurter, die bis eben mit mir zusammen eingekesselt waren, verteilen sich und strömen in alle Himmelsrichtungen in die Stadt. „Sinnvolle Maßnahme, uns einzukesseln", denke ich und folge den Gesängen einer Gruppe von Eintracht-Anhängern. An einer Sportsbar trennen sich unsere Wege. Ich sehe Blaulicht und höre Sirenen. Fünf Einsatzwagen fahren an mir vorbei, es folgen nochmal genauso viele. Ich wittere Ärger und laufe dem Gespür nach in dieselbe Richtung. Kurz darauf stehe ich vor einer Kneipe, in der sich offenbar Verbotenes abspielt. Oder auch nicht: Die Fans der Eintracht stehen bis draußen auf dem Bürgersteig, um irgendwie einen Blick auf den Bildschirm zu erhaschen. Alarmstufe Schwarz-Weiß-Rot für die Darmstädter Einsatzkräfte.

17.00: Wieder mal Luisenplatz

Ich schlendere wieder Richtung Luisenplatz und warte ab, bis das Spiel vorbei ist. Per Zufall bekomme ich mit, dass die Eintracht noch gewonnen hat. Gott sei dank! Nach dem Spiel füllt sich der Luisenplatz langsam wieder mit Fans. Darmstädter und Frankfurter verhalten sich friedlich. Vor mir bietet sich eine Szene wie in einer Komödie: Ein Junggesellenabschied macht inmitten beider Fanlager Halt. Einer der jungen Männer beginnt auf einer Gitarre „Alles aus Liebe" von den Toten Hosen zu spielen, während sich in einem Halbkreis Eintracht-Fans und Darmstadt-Fans in den Armen liegen und schunkeln. Vermutlich eher dem Alkohol als wirklicher Freundschaft geschuldet. Das Polizeiaufkommen verdichtet sich.

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Nach dem Spiel: erhöhte Polizeipräsenz am Luisenplatz

18.30: Luisenplatz

Ich höre meinen Nebenmann beiläufig sagen: „Ich glaube, da kommen Frankfurter". Und dann geht alles ganz schnell. Aus einer Nebenstraße kommen ungefähr hundert Frankfurter Anhänger in Richtung Luisenplatz gestürmt. Sie sind zum Teil vermummt und haben aus umliegenden Cafés Stühle mitgehen lassen, die sie vor sich hertragen und gehen damit auf Personen los. Ich stehe da wie angewurzelt, raffe erst mal gar nicht, was los ist. In dem Moment kommen drei Typen auf mich zu gerannt. Ich hebe abwehrend die Arme, sehe in ihren Augen aber, dass es ihnen ernst ist. Dann ein lauter Knall, alle Leute rennen durcheinander. Großes Chaos. Einige retten sich in das naheliegende Einkaufszentrum, ich wanke erst mal in die falsche Richtung und taumle dann mit wackeligen Knien Richtung Polizeiauto. Ich glaube, ich war noch nie so froh über Polizeipräsenz bei einem Fußballspiel. Die nächste Tram ist meine. Ich fahre zurück zum Hauptbahnhof.

19.30: Hauptbahnhof

Erst mal Revue passieren lassen: Was ist da gerade passiert? Ein Frankfurter Mob ist auf jeden losgegangen, der gerade zur falschen Zeit am falschen Ort war. Egal ob Eltern mit Kindern, Frauen, Senioren. Zum ersten Mal in meinem Fan-Dasein—und ich würde von mir behaupten, dass ich auch für eine Frau nicht unbedingt zartbesaitet bin—habe ich mich für meine eigene Fanszene geschämt und hatte zum ersten Mal Angst, dass mir als Frau etwas zustoßen könnte. Nochmal gut gegangen zum Glück, aber ich war froh, als ich dann nach Hause gefahren bin.