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Gib Zürich dein Gesicht

Die Saleh-Brüder sind die natürlichen Feinde der Monobraue

Die Geschichte von Ghamkin und Bahjato Saleh in einer Drake-Zeile: Started from the bottom now we're here!
Alle Fotos von Horatiu Sovaiala

Ghamkin und Bahjato Saleh haben sich in Zürich ein kleines Coiffeur-Imperium aufgebaut. In sechs Filialen frisieren sie mit ihrem Team Haare im Akkord. Dank türkisch-nahöstlicher Fadentechnik überlebt keine Monobraue den Besuch bei Coiffeur Saleh.

Ich treffe die beiden Exil-Syrer und Wahl-Zürcher in ihrem neuen Salon am Limmatquai. Kaum habe ich mich auf eines der braunen Sitzkissen auf dem Kunden-Wartebänkchen gesetzt, bieten sie mir einen Kaffee an. Zehn Minuten später und ein Stockwerk höher verbrenne ich mir meine Zunge schon am nächsten Kaffee. Ich plaudere mit Ghamkin und Bahjato über überflüssige Lebensläufe, den Syrien-Krieg und warum Gott an den Zürchern verzweifelt.

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Alle Fotos von Horatiu Sovaiala

VICE: Ghamkin, du bist ausgebildeter Musiker. Wie kam's dazu, dass du heute Coiffeur-Salons besitzt?
Ghamkin: Als ich zwölf Jahre alt war, haben beim Coiffeur in Syrien ein paar Männer von einem erzählt, der nach Libyen gegangen ist und dort als Coiffeur viel Erfolg hatte. Ihre Worte („Mit diesem Beruf kannst du überall arbeiten") sind bei mir hängengeblieben. In der Schweiz arbeitete ich seit 1993 bei Santa Lucia. Ich habe allen Angestellten die Haare geschnitten—sogar dem Chef! Der zwang mich, 20 Franken anzunehmen. Die anderen warfen alle nur fünf Franken in einen Topf. Mit diesem Geld ging ich zu einem Coiffeur in die Josefstrasse. Dort musste ich immer stundenlang warten. Da wusste ich: Ich muss ein Coiffeur-Geschäft eröffnen—ohne Termine, schnell, günstig.

Bei euch verdienen alle gleich viel, egal ob sie eine Ausbildung haben oder nicht. Welcher Gedanke steckt dahinter?
Ghamkin: Leistung soll belohnt werden. Wir haben einen Grundlohn und eine Umsatzbeteiligung. Jemand, der in 15 Minuten die Haare super schneidet, macht mehr Umsatz als jemand, der eine halbe Stunde dafür braucht. Wir schauen nicht auf Diplome oder den Lebenslauf. Wir sagen: „Zeig uns, wie du Haare schneidest und wir schauen, ob das Ergebnis passt oder nicht."
Bahjato: Im Salon am Central arbeitet zum Beispiel José. Er kam vor fünf Jahren nach Zürich und sprach kein Wort Deutsch. Heute sitze ich mit dir hier während er das Geschäft schmeisst—als Chef.

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Als Friseur erfährt man sehr viel aus dem Leben der Kunden. Habt ihr eine besondere Geschichte auf Lager?
Ghamkin: Ein jüngerer Bruder von uns war einmal verliebt. Ich glaube, all unsere Kunden haben davon gewusst. Am meisten hören wir solche privaten Sachen: Frauen, Kinder, Fremdgehen.
Bahjato: Politische Themen sind heikel. Darüber rede ich nur mit Leuten, bei denen ich weiss, dass es in Ordnung ist. Bei mir im Geschäft arbeiten Türken, Kurden und Araber zusammen. Ihnen sagen wir: Arbeit ist Arbeit. Politik ist Freizeit. Aber viele Schweizer interessieren sich für die Lage in Syrien. Da erzählen wir gerne.

Ihr habt Syrien 1993 und 2000 verlassen. Seid ihr trotzdem persönlich vom Krieg betroffen?
Ghamkin: An den Orten, wo wir lebten, ist das Regime nicht mehr aktiv. Von dem her haben wir kein Problem. Aber Syrien existiert praktisch nicht mehr.

Trifft euch das?
Ghamkin: Ja, sehr! Dieser Krieg hat viel kaputt gemacht. Früher habe ich gedacht, dass ich wieder nach Hause gehe, wenn hier alles schiefläuft. Diesen Background habe ich verloren. Früher war Syrien meine Heimat, jetzt nicht mehr—das tut weh. Heimweh kenne ich praktisch nicht mehr.

Die Schweiz würdest du nicht als Heimat bezeichnen?
Ghamkin: Doch. Früher habe ich immer gesagt: „In der Schweiz fühle ich mich WIE zu Hause." Heute sage ich: „Ich BIN hier zu Hause."

Was konnte diese neue Heimat bisher von euch lernen?
Bahjato: Unkompliziert und spontan zu sein. Unsere Kunden kennen den Unterschied zwischen Schweizer Coiffeuren und uns. Bei uns bekommen sie ohne Voranmeldung einen Kaffee oder einen Tee, wenn sie noch warten müssen. An anderen Orten werden sie einfach wieder weggeschickt.
Ghamkin: Mut! Du kommst von 5.000 Kilometer weit weg her. Kannst keine Sprache, kennst die Kultur nicht—du bist extrem klein. Und trotzdem kannst du arbeiten und etwas erreichen, wenn du nur willst.

Und was konntet ihr von der Schweiz respektive Zürich lernen?
Ghamkin: Viele sehr gute Dinge: Regeln, Sauberkeit, Pünktlichkeit. Aber auch Negatives. Jammern zum Beispiel: „Ah, nein! Heute regnet's!—Ah, nein! Heute scheint die Sonne!" Gott sitzt da oben und denkt: „Hey Leute, was soll ich mit euch noch machen?!" Wir haben es so gut—darum jammern wir so viel.

Zum Abschluss werdet ihr ein Teil der Kampagne „Ich bin Zürich" auf www.ichbinzuerich.ch. Dafür machen wir ein Foto von euch und morphen eure Gesichter mit jenen von anderen Bewohnern des Kantons zu einem einzigen zusammen. Was könnt ihr diesem schönsten Zürcher abgeben?
Unsere Gesichter. Mit all ihren Falten und ihrem charakteristischen Ausdruck.