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Reisen

Warum ich den Ruhrpott liebe

Ob ich irgendwo anders einen Nachbarn finde, der sich Super-Elvis nennt und mich auf einen Apfelkorn einlädt? Eher nicht.

Foto: imago | blickwinkel

Du hast eine Vorliebe für Jogginghosen und bekommst ständig die Frage zu hören "Kommst du gerade vom Sport?". Mach es mir nach und zieh in den Pott. Hier erinnert dich niemand daran, wie unsportlich du eigentlich bist. Modezar Karl Lagerfeld behauptet, Menschen, die Jogginghose tragen, hätten die Kontrolle über ihr Leben verloren. Du irrst, Karl. Wir tragen unsere Jogginghose mit Stolz. Und das zu jedem Anlass. In seiner besten Jogginghose trifft man sich dann ganz klassisch auf ein Pils an der Trinkhalle und nicht im veganen Superfood-Bistro auf einen Chia-Samen-Pudding, der eh scheiße schmeckt. Der Spruch "Kein Bier vor Vier" sagt hier übrigens niemandem was.

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Dass ich den Pott eines Tages lieben würde, hätte ich selbst nicht für möglich gehalten. Während meiner Schulzeit habe ich viele falsche Entscheidungen getroffen, die sich alle im Durchschnitt meines Abiturzeugnisses widergespiegelt haben. Für mein Wunschstudium gab es deshalb nur die Option, aus meiner Heimatstadt Frechen bei Köln nach Chemnitz zu ziehen. Nach Wochen der Verzweiflung meinte es das Nachrückverfahren der Uni Duisburg-Essen dann doch noch gut mit mir und holte mich in den Pott.

Nach nun drei Jahren empfinde ich eine tiefe Liebe für diese Gegend. Im Pott kannst du vom BAföG wie ein König leben. Überall außerhalb bräuchtest du mindestens drei Nebenjobs, nur um die Miete für dein winziges und überteuertes WG-Zimmer zu bezahlen. Aber das Herzstück des Potts sind die Menschen, die hier leben. Ob ich irgendwo anders einen Nachbarn finde, der sich selbst Super-Elvis nennt und mich bei jeder Gelegenheit auf einen Apfelkorn einlädt? Wohl eher nicht. Ich muss mir auch keine Sorgen machen, dass mich die Nachbarn mit unzähligen Whatsapp-Nachrichten nerven, um ein langweiliges Treffen zu vereinbaren, das am Ende eh nie stattfinden wird. Super-Elvis zum Beispiel grölt einfach quer über die Straße, wenn er sieht, dass in der WG noch Licht brennt. Wenn er mal keine Antwort bekommt, ist er auch cool damit. Er fragt morgen einfach nochmal.

Nicht gerade New York: die Skyline Essens | Foto: imago | Jochen Tack

Meine Wahlheimat Duisburg könnte ihren guten Ruf nie verlieren, weil sie nie einen guten Ruf hatte. Woher kommt also überhaupt dieses heftige Ruhrpott-Bashing? Symbolisch für dieses graue und dreckige Image der gesamten Stadt steht die Wanheimer Straße in Duisburg-Hochfeld. Hier sind die Fensterscheiben vieler Geschäfte seit Monaten zerbrochen. Vor den Läden türmt sich der Müll. Der Straßenstrich ist nicht weit entfernt. Und auch die vielen breit gebauten Männer, die vorzugsweise Lederkutte tragen und teure Sportwagen fahren, prägen das Bild der Stadt. Dennoch sind die Duisburger es satt, dass ihre Heimat ständig als asoziale No-Go-Area abgestempelt wird. Ja, hier gibt es keine akkurat gestutzten Vorgärten und hier hält auch niemand die Nachtruhe ein. Aber all das macht den Stadtteil noch lange nicht zu einer No-Go-Area. Ich erzähle lieber von den Backgammon-Partien im Hochfelder Rheinpark, dem Duft von türkischem Tee und dem besten Kumpir, den ich jemals gegessen habe.

Ich bin aber auch nicht der einzige Mensch auf der Welt, der den Pott in sein Herz geschlossen hat. Frag mal Herbert Grönemeyer. Der würde sofort seinen Song "Bochum" anstimmen. Grönemeyer wird von den Ruhris verehrt. Der Herbert, hömma, dat ist einer von uns. Der hält die Flagge hoch. Hätte das Ruhrgebiet aber eine offizielle Hymne, dann wäre es wohl der Track "R.U.H.R.P.O.T.T.", den Snaga & Pillath gemeinsam mit Manuellsen vor knapp zehn Jahren veröffentlicht haben. Der Song hat hier bis heute Kultstatus. Zu Recht.

Und wenn du spätestens jetzt noch immer nicht davon überzeugt bist, wie geil der Pott und seine Menschen sind, dann zieh bitte nach Düsseldorf und beschwer dich bei einem Sektfrühstück auf der Kö darüber, dass dein letzter Besuch beim Beauty-Doc schon fucking fünf Tage her ist.