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Jeden Mittwoch ist in Weissrussland Revolution

Heute ist Mittwoch, das bedeutet, dass die Straßen von Minsk wieder mal voll mit den am besten überwachten Revolutionären dieses Jahres sind.

Heute ist Mittwoch, das bedeutet, dass die Straßen von Minsk wieder mal voll mit den am besten überwachten Revolutionären dieses Jahres sind. In einem der militarisiertesten Ländern der Welt sind Aktivitäten wie das Tragen einer Maske, das Hochalten eines Banners oder Parolen rufen nicht empfehlenswert.

Weißrussland ist das zuhause von Europas letzter Diktatur. Während arabische Nationen in chaotischer „Befreiung“ aufgeblüht sind, liegt Weißrussland stagnierend im Herzen Europas - ziemlich peinlich für das Demokratie-Franchise der EU. Vor Jahren hatte Belarus sein Wirtschaftswunder, da es schwer von dem Wiederverkauf von russischem Öl profitiert hat. Für ein Land, dessen nationale Identität von den Unbequemlichkeiten von globalen Rowdies wie Napoleon, Hitler und Stalin, die gnadenlos durchmarschiert sind, geschmiedet wurde, war  Geld mal eine nette Abwechslung.

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Es war so nett, dass das Land einem weiteren Bastard der Geschichte freudig erlaubte, drauf zu scheißen: Alexander Lukaschenko kam vor zwölf Jahren an die Macht, schaffte die auf zwei Jahre begrenzte Amtszeit ab und fing an, seine Gegner einzusperren. Weißrussland steckte das gut weg; immerhin gab es Geld, Nahrung und die großen europäischen Streitkräfte hielten sich das erste mal seit Jahren von Minsk fern.

Aber dann ging das Geld aus (tut es  immer) und alle wurden wütend (werden sie immer). Der weißrussische Pубель verlor dramatisch an Wert und die Preise verdoppelten sich. Jahrelang waren die einzigen Dinge, die Belarus produziert hat, Traktoren und überhöhte Ölpreise, aber jetzt geht ihnen das Geld aus und sie können sich keine Importe mehr leisten. Das Land schuldet Russland um die 50 Millionen Dollar und deshalb haben die Russen diesen Juni die Stromlieferungen an Weißrussland halbiert. Wahrscheinlich, weil sie Lukaschenkos wehleidige Entschuldigungen nicht mehr hören konnten.

Der hintere Teil eines Militärbusses: nicht der beste Ort

Dadurch, dass sie jetzt mit schlimmer Armut konfrontiert waren, sind die Weißrussen ein wenig ungehorsam geworden. Sie haben die Schnauze voll von ihrem Diktator, haben aber verständlicherweise auch Angst vor ihm. Anders als die unterdrückten Generationen von, sagen wir, Libyen, führen die Weißrussen ein relativ mittelständisches Leben und haben viel zu verlieren, wenn sie sich mit dem Despoten anlegen, der ihre Nation stabil gehalten hat. Die meisten politischen Gegner und Anarchisten wurden eingesperrt oder sind spurlos verschwunden und lassen nun dort ein Vakuum zurück, wo eine alternative Ideologie hätte entstehen können. Aber auch wenn der Widerstand so geschickt von der nationalen Tagesordnung gestrichen wurde, fängt das Land an, zu beben.

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Seit über einem Monat haben sich jeden Mittwoch in Minsk und anderswo Demonstranten versammelt, um gegen Lukaschenko zu marschieren. Wahrscheinlich werden sie durch Social Media Seiten von einer Gruppe Weißrussen im Ausland organisiert. Sie vermeiden Sprechchöre, Banner und Gewalt, um Lukaschenkos Zorn zu entgehen. Stattdessen applaudieren sie. Als Taktik, um Strafen zu vermeiden, ist es trotzdem scheiße; Lukaschenkos angeheuerte, ausländische Schläger greifen jeden an, der ihnen grade nicht gefällt. Sie ziehen Leute aus der Menge, werfen sie in Busse ohne Kennzeichen und treten die ganze Fahrt zum Gefängnis auf sie ein. Über 1.700 Menschen wurden seit Beginn der Proteste letzten Monat festgenommen.

Letzte Woche ist Berichten zufolge ein Mann mit nur einem Arm wegen Applaudierens festgenommen worden - ein Akt von dadaistischem Faschismus, der gut zu der Geschichte von dem Mann passt, der kürzlich festgenommen wurde, weil er angeblich regierungsfeindliche Parolen gesungen hat. Er war stumm.

Wenn du einmal in diesem Bus bist, wirst du von diesen „Zivilpolizisten“ auf‘s Revier gebracht und musst stundenlang mit dem Gesicht zur Wand dastehen. Keiner überprüft deine Papiere und die Leute werden schließlich so zahlreich in Zellen gestopft, dass am Ende nur Platz zum Stehen ist. Wenn du Glück hast, wirst du nach 12 Stunden oder so wieder rausgelassen. Wenn du Pech hast, wirst du generell so zehn Tage lang dabehalten. Wenn du noch mehr Pech hast, verschwindest du einfach spurlos. Eine meiner Kontaktpersonen in Minsk wurde vor einer Woche festgenommen, weil er geklatscht hat. Er hatte Pech und wird bis Samstag nicht freigelassen werden. Laut ein paar anderen Weißrussen, die ich getroffen habe, wurde eine weibliche Demonstrantin in einem Gefängnis in Minsk so sehr verprügelt, dass sie ihr Kind verloren hat. Sie nannten es den „ersten Toten des Kampfes“.

Trotz derartiger Unterdrückung gehen die Proteste weiter. Es ist kein Land voll Optimismus, aber die Leute wurden so lange geknechtet, dass sie gelernt haben, mit den Schultern zu zucken und einfach weiter zu leben. Während also die Wirtschaft weiter kippt, gewinnen die Proteste zaghaft an Schwung, indem die Leute rausgehen und - wenn auch leise - gegen ein Regime marschieren, das sie ohne mit der Wimper zu zucken zerdrücken könnte.

Letzte Woche haben die Demonstranten in Minsk die mittwöchliche Tradition verändert, indem sie den Hauptplatz, den Oktyabrskaya Platz, gemieden haben und die Proteste in der Stadt aufgespalten haben. Gott weiß, was heute passiert, aber was auch immer geschieht, es ist sehr wahrscheinlich, dass viele Weißrussen die nächsten zehn Tage nach Lukaschenkos Belieben verbringen werden.

BILDER: ANTON MOTOLKO (seine Seite)