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The Essentials of Gesaffelstein

Wir haben versucht, uns dem französischen Phänomen Gesaffelstein anzunähern.

Mike Levy war schon immer ein Außenseiter. 1985 in Lyon geboren, interessierte sich der Franzose etwa nicht für den HipHop, den seine Klassenkameraden die ganze Zeit auf dem Schulhof feierten. Man muss schon über mehr als aufgeschlossene Ohren verfügen, wenn in der Kindheit EBM-Artists wie Front 242 oder Nitzer Ebb aus dem eigenen Walkman schallt, anstatt sich den prolligen Beats aus Amerika oder den eigenen Banlieues hinzugeben.

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Levy alias Gesaffelstein ist eben anders. Am offensichtlichsten wird das bereits bei seinem Outfit erkennbar. Auch wenn er Fragen zu seiner Mode zumeist aus dem Weg geht, ist es ein Novum, dass ein elektronischer Künstler mit einem feinen Anzug hinter seinen Gerätschaften steht, um die Menge in Ekstase zu bringen. Die mitschwingende Kommunikation ist doch recht eindeutig: Der Franzose ist kein weiterer hedonistischer Jünger unter den DJs, sondern reichert seine Kunst mit einen tiefschwarzen Ernst an. Ach ja, und als DJ sieht er sich schon mal gar nicht. Warum auch, da feiert die Crowd ja sowieso nur fremde Stücke, deswegen performt Gesaffelstein auch ausschließlich live.

Im Zuge des Heineken Open Your City Events in Berlin, auf dem Gesaffelstein gemeinsam mit den Berliner Sick Girls und dem New Yorker Zebra Katz am 2. Oktober zu sehen sein wird, haben wir uns dem Phänomen Gesaffelstein erneut angenommen. Lest hier die Essentials über den Franzosen:

SEIN (DEUTSCHER) NAME

Mike Levy ist doch gar nicht so ein schlechter Name, um Karriere zu machen. Und trotzdem musste ein anderes Pseudonym her: Gesaffelstein ist die Zusammenführung des deutschen Wortes „Gesamtkunstwerk" und dem Physiker Albert Einstein. In zahlreichen Interviews betonte Levy überdeutlich, dass es keine Brücke zwischen seinem Leben und dem musikalischen Projekt gäbe. Ist das überhaupt möglich? Sei es drum, aber der von Wagner geprägte Begriff kommt seiner künstlerischen Intention tatsächlich am nächsten. Unabhängig von seinem Interesse für Naturwissenschaften reicht es Gesaffelstein nicht, lediglich ein paar Beats und Patterns in die richtige Ordnung zu bringen. Bei ihm laufen Ton, Bild und Kunst zusammen (siehe: seine Videos).

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SEIN STIL

Kaum ein Interview oder Review existiert, das nicht auf Gesaffelsteins düsteren Ethos hinweist. Er selbst erklärt das mit der grundlegenden Zufriedenheit mit seinem eigenen Leben, die ihn zu den dunklen Themen seiner Musik zieht. Ist das seine Form der Kompensation? Nun ja, wer sein eigenes Pariser Studio komplett in schwarz angestrichen hat, kompensiert nicht nur, sondern lebt eine gewisse Form von morbider Trostlosigkeit. Doch da der Endzwanziger ohnehin nur ungern redet, ist Musik seine präferierte Sprache. Als Gegenteil zum French House wird sein Stil zumeist mit Dark Techno beschrieben. Heißt konkret: garstige Basslines, pumpende Kicks und finstere Snares loten die Grenzen der industriell-geprägten elektronischen Musik aus, um einen düsteren Minimalismus aus Gewalt, Paranoia und Angst entstehen zu lassen.

SEINE EINFLÜSSE

Seine musikalischen Wurzeln liegen ohne Wenn und Aber im New Wave und Industrial der 80er-Jahre. Mit 14 Jahren entdeckte er im Schlafzimmer seiner Schwester eine CD mit Techno und war motiviert, fortan selbst ein paar Platten zu kaufen. Techno war der Startpunkt, doch Levy ging noch einen Schritt zurück zu den Ursprüngen. Größter Einfluss war etwa der französische Produzent The Hacker. Seine Musik sei für Gesaffelstein die perfekte Fusion aus Vergangenheit und Zukunft. Das Gestern meint in diesem Fall unter anderem die Pioniere Green Velvet oder Kraftwerk, die von Levy als Basis, für alles was heute passiert, beschrieben wurde. Das düstere Äquivalent war „Geography" von Front 242—die perfekte Electronic Body Music. Schnell war der Weg zu den Anfängen von Techno und mit Dopplereffekt, Drexciya und Underground Resistance erste Heroen gefunden. Dennoch beschreibt Gesaffelstein Techno heute lediglich als „gegenwärtige Inkarnation" einer Vielzahl von Musikstilen.

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SEIN NETZWERK

Langjähriger Weggefährte, Freund und musikalischer Inputgeber ist Louis Rogé alias Brodinski. Der DJ und Produzent gründete 2011 mit seinem Manager, der heute auch für Levy verantwortlich ist, das Label Bromance Records. Das Ziel war es nicht nur eine Plattform für befreundete Künstler zu erschaffen, Bromance sollte als Brand für geile Partys fungieren. Die erste Split-EP auf dem Label war ein Release von Brodinski und Gesaffelstein. Es war Brodinski, der Levy mit HipHop in Berührung brachte. Beide wurden später auch von Kanye West gefragt, zwei Tracks für Yeezus zu programmieren (siehe: Seine Remixes).

SEINE REMIXES

Gesaffelstein weckt Begehrlichkeiten. Ist ja ein altes Gesetz im Business, Stichwörter: Zielgruppen-Erweiterung, Stück vom Erfolgs-Kuchen abbekommen oder Marktwert-Auslotung. Und die Liste derer, die einen Gesaffelstein-Stempel auf ihre eigenen Tracks haben wollen, kann sich mehr als sehen lassen: Lana Del Rey, Depeche Mode, Laurent Garnier, A$AP Rocky, Boys Noize oder Justice. Schlagzeilen machte vor allen Dingen seine Zusammenarbeit mit Kanye West. Gemeinsam mit Brodinski und Daft Punk schraubte der Franzose an den beiden Yeezus-Songs „Black Skinhead" und „Send It Up". Für einen Produzenten, der gerade mal seit fünf Jahren im Geschäft ist, keine schlechte Vita. Können ja nicht viele von sich behaupten, einmal Gott persönlich getroffen zu haben.

SEIN DEBÜTALBUM

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Aleph wurde im Oktober 2013 veröffentlicht. Ob NME, Pitchfork, Consequence of Sound und wie sie nicht alle heißen—das Debüt erntete jedenfalls weltweit großen Applaus. Trotzdem gab es natürlich auch kritische Stimmen, die das Album als Abklatsch der Werke von Boys Noize, Mr. Oizo oder Daft Punk diskreditierten. Wie man nun auch zu den vierzehn Stücken stehen mag, Aleph beherbergt zwei Sorten von Tracks: die furiosen, düsteren und endzeit-affinen Club-Banger und die meditativen Downtempo-Elegien, die als perfekter Soundtrack für den  morgendlichen Kater fungieren. Aleph ist der erste Buchstabe im hebräischen Alphabet und meint für Gesaffelstein den Anfang, seine eigene Big-Bang-Theorie quasi und der Kick-Off für Arena-große Events. Und die einzelnen Tracks sind nicht nur angereichert mit dem Willen zu einer Vielzahl an ambivalenten Emotionen, sondern spiegeln auch die Sozialisation von Levy wieder: „Pursuit" ist seine Hommage an die New Wave-Voreiter DAF und seine Variante von EBM, während „Helifornia" HipHop ist, der auf „unintellektuelle" Weise G-Funk interpretiert. Oder wie sagte er bereits unseren Freunden von Noisey: „Es ist, wie wenn sich ein Typ und ein Mädchen treffen, du weißt schon, das kann schön sein. Es kann aber auch böse sein. Es kann traurig sein. Und so ist es auch mit meiner Musik. Es kann glückliche Musik sein, oder eben traurig, gewalttätig und melancholisch."

SEIN ANZUG

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Ganz klar, das Markenzeichen von Gesaffelstein. Andere DJs tragen Oversized-Shirts, gerne auch mal Basecaps oder gleich die legere Jogging-Hosen. Kommt für Levy nicht in Frage. Doch wer glaubt, der Franzose sei ein Fashion-Nerd irrt sich, eher aus Langeweile und Kreativlosigkeit sitzt der schwarze Anzug mit dem weißem Hemd an seinem Körper. Die Aufregung darüber ist hingegen ziemlich bescheuert, immerhin trägt Lady Gaga Fleisch und alle feiern das. Für Gesaffelstein ist es schlichtweg more easy, wenn er sich jeden Tag gleichanzieht.

SEINE VIDEOS

Erst seine Videos unterstreichen seinen Gesamtkunstwerk-Ansatz, wo Musik und Bilder zusammenkommen. Die Visualisierung von „Pursuit" darf mit der Überschrift NSFW versehen werden, wobei doch eher die Vielzahl an verstörenden Bildern entzückt oder Verwirrung stiftet—je nachdem. Eine rückwärts fahrende Kamera fasst dabei eine nackte Frau, ein fliegendes Raumschiff, eine Armada an Pistolen, ein Militär-Aufgebot von gedrillten Männern, eine freakige Zeremonie und vieles mehr ein. Kein Wunder, dass auf YouTube gleich mehrmals die Frage auftaucht: „What the fuck? I mean, this is awesome, but doesn't make any sense to me. Can someone please explain?" Der Clip zu „Hate of Glory" ist da schon einfacher zu dechiffrieren: Thema ist der Heißhunger von Straßen-Gangster nach Gold und Ruhm: Mord, Neid, Status, Gier, Reichtum—Gesaffelstein weiß um die Macht von Bildsprache und setzt sie gekonnt in Verbindung mit seinem Techno jenseits der 100-BPM-Marke. Man kann seine Musik hassen oder lieben, doch eines muss man dem Franzosen zugestehen: Wenn er etwas macht, dann richtig.

Gesaffelstein spielt am 2. Oktober in Berlin auf der Heineken Open Your City Party, präsentiert von THUMP. Mehr Infos gibt es hier.

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