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Wird der russische Dopingskandal die Leichtathletik kaputt machen?

Der Leichtathletikzirkus steckt dank unzähliger russischer Athleten in einem Dopingsumpf— und keiner will etwas dagegen machen.
Foto: Dmitry Rozhkov

Im letzten Dezember hat die ARD eine Dokumentation ausgestrahlt, bei der es um Doping in Russland ging und die auf die Frage, wie verbreitet dort der Einsatz illegaler Substanzen ist, eine erschütternde Antwort geliefert hat: Denn laut den Experten, die in der Doku zu Wort kamen, würden 99 Prozent der russischen Leichtathleten leistungssteigernde Mittel einsetzen. Mittel, die von keinem Geringeren als dem Russischen Leichtathletikverband bereitgestellt wurden, der zudem noch versucht hat, den Betrug unter den Teppich zu kehren. Aber wie stark wirkt sich dieser Skandal nun auf die internationale Leichtathletik aus?

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Je nachdem, wen man fragt, bekommt man sehr unterschiedliche Auskünfte. Manche nennen das Ganze einen „„einzigen Witz" und haben für die Anschuldigungen nur ein müdes Lächeln übrig, wohingegen andere von einer echten Bedrohung für den Leichtathletik-Zirkus sprechen. Lustig ist dabei vor allem, wie vorhersagbar die jeweiligen Antworten sind.

Wenn man sich anschaut, wie der Russische Leichtathletikverband auf die Anschuldigungen reagiert hat, könnte man glauben, der Skandal begrenze sich nur auf das Team der russischen Geher sowie auf ein paar wenige schwarze Schafe im Rest der russischen Leichtathletikmannschaft. Im Januar wurden drei Mitglieder aus dem Geher-Team verbannt. Zudem ist Walentin Maslakow, verantwortlicher Trainer der russischen Leichtathletikmannschaft, kurze Zeit später zurückgetreten

Den Rücktritt Maslakows hat Russlands Leichtathletikpräsident Walentin Balachnitschew laut BBC folgendermaßen bekannt gegeben: „„Obwohl Anti-Doping-Maßnahmen nicht zu Maslakows Aufgaben gehört haben, hat er trotzdem die Verantwortung für seine Mitarbeiter übernommen und ist mit sofortiger Wirkung zurückgetreten."

Das war natürlich ein toller Zug von ihm. Zur Belohnung gab's dann gleich den Trainerposten bei den Kurzstreckenläufern.

Foto: Roberta F. (WikiMedia Commons).

Mitte Februar ist dann auch Balachnitschew zurückgetreten (Balachnitschew war schon im Dezember, kurz nachdem der Skandal bekannt geworden war, als Schatzmeister des Weltleichtathletikverbands IAAF zurückgetreten). Als er seinen Rücktritt verkündete, trat er mit seiner halbherzigen Entschuldigung rhetorisch direkt in die Fußstapfen von Maslakow: „„Ein Präsident übernimmt Verantwortung, darum habe ich beschlossen zurückzutreten."

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Die Zukunft wird zeigen, ob im Zuge des Skandals noch weitere Verantwortliche das Feld räumen müssen. Von Viktor Chegin, Trainer der russischen Geher, wird erwartet, dass er in Kürze seinen Rücktritt bekannt geben wird. Währenddessen hat der Russische Leichtathletikverband aber erstmal die ARD verklagt.

Es wäre auf jeden Fall „ein großer „Erfolg" für die russische Leichtathletik, wenn man den Skandal so drehen könnte, dass am Ende nur das Team der Geher wie die echten Betrüger dastehen. Dass man in Russland jetzt versucht, an den Gehern ein Exempel zu statuieren, darf einen also durchaus skeptisch machen—nicht zuletzt deswegen, weil schon ein halbes Jahr vor Ausstrahlung des ARD-Berichts gegen die Geher ermittelt wurde. Aber das Handbuch zur perfekten Schadensbegrenzung sieht nun mal vor, einen geeigneten Sündenbock zu finden.

Leider ist auch der Präsident des Weltleichtathletikverbands, Lamine Diack, sehr auf Schadensbegrenzung bedacht. Vor einigen Wochen gab er dem BBC ein Fernsehinterview und die Äußerungen, die er von sich gab, zeugten mehr von einem Versuch nach Schönreden und Wegsehen als dem Willen, den Skandal vollständig aufzuklären.

Das Interview begann wie erwartet. Als er auf den Skandal angesprochen wurde, meinte Diack: „„Es ist zwar eine schwierige Krise, aber auch die werden wir am Ende meistern."

Später meinte er dann, dass die Anschuldigungen der ARD für ihn „„ein einziger Witz und einfach nur lachhaft" seien. Und weiter: „„Zu sagen, dass 99 Prozent der russischen Athleten dopen, ist eine lächerliche Anschuldigung."

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Diack meinte zudem, dass die Zahl der russischen Athleten, die tatsächlich gedopt haben, deutlich geringer sei. Außerdem sei er sich „„sicher", dass die IAAF auch nichts vertuscht habe. Und das, obwohl sein eigener Sohn im Dezember von seinen Ämtern bei der IAAF zurückgetreten ist, nachdem gegen ihn—und andere IAAF-Mitarbeiter—wegen versuchter Vertuschung ermittelt worden war.

Das Scheitern der IAAF, konsequent gegen Doping vorzugehen (und das auch schon lange vor dem jüngsten Skandal), sorgt bei den meisten Athleten für reichlich Verärgerung. Christine Ohuruogu, Weltmeisterin und Olympiasiegerin im 400-Meter-Lauf, hatte für Diacks Äußerungen nur folgenden Kommentar übrig:

„„Es regt mich ziemlich auf, dass er solche Sachen von sich gibt. Wir Sportler sind die, die Tag für Tag trainieren und immer unser Bestes geben. Da kann man sich schon mal fragen, was die Herren in der Führungsriege eigentlich machen. Wir arbeiten wirklich hart dafür, um unseren Sport in ein positives Licht zu rücken, und dann sitzen da oben irgendwelche Typen, die dir sagen, dass sie im Grunde von nichts wissen."

Es ist wohl keine Überraschung. dass die Athleten selbst am meisten darüber besorgt bin, wie sich der Skandal längerfristig auf ihren Sport auswirken wird. Viele Sponsoren werden der Leichtathletik wohl den Rücken kehren, was es für Athleten umso schwerer machen wird, mit dem Sport ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Zyniker werden sagen, dass sich Athleten, die verbotene Substanzen zu sich genommen haben, so zumindest nicht mehr teure Schweigegelder an hohe Funktionäre leisten können. Bestes Beispiel dafür ist die russische Marathon-Läuferin Lilia Schobuchowa, die zugegeben hat, sich ihren Start bei Olympia 2012 in London durch eine Zahlung in Höhe von 450.000 Euro erkauft zu haben.

Eine sehr ehrliche und nachvollziehbare Reaktion auf den bekannt gewordenen Skandal zeigte die britische Mittelstreckenläuferin Jenny Meadows. In einem Interview mit dem BBC beschwerte sie sich über den fast sicheren Rückgang von Sponsorengeldern. Außerdem gab sie zu, sich Sorgen um die Zukunft der Leichtathletik zu machen, und stellte in Frage, ob man jemals das ganze Ausmaß des russischen Dopingskandals erfahren werde.

„„Viele Organisationen wollen mit allen Mitteln das Image ihrer Sportart schützen", so Meadows. „„Darum werden wir wohl nie zu 100 Prozent herausfinden, was da wirklich passiert ist. Dieser Skandal ist meiner Meinung nach mindestens genauso groß wie der Dopingskandal bei den Radrennfahrern. Das Ganze wird unseren Sport leider kaputt machen."

Was kann also gemacht werden? Wie Peter Vigneron gegenüber Outside erklärte, ist das aktuelle Anti-Doping-System leider komplett unzureichend. Es führt zu Interessenkonflikten, denn die Verbände, die die Athleten unterstützen und fördern, sind gleichzeitig auch an der Durchführung der Dopingkontrollen beteiligt. Und auch wenn die IAAF die Sache in die Hand nimmt, wird es nicht besser. Ihr Anti-Doping-Programm, das man gelinde gesagt als undurchsichtig bezeichnen kann, ist sehr wahrscheinlich selbst ein Sumpf von Korruption.

Meadows hat also guten Grund zur Sorge. Der Skandal könnte tatsächlich solche Ausmaße annehmen, dass er am Ende den Sport—zumindest kurzfristig—„„kaputt machen" wird. Aber vielleicht ist genau ein solcher Neuanfang der einzige Ausweg aus dem aktuellen Dilemma. Denn fest steht: Das Anti-Doping-System muss dringend und umfassend reformiert werden. Die Leichtathletik braucht eine unabhängige, internationale Kontrollinstanz. Die Welt-Anti-Doping-Agentur, erklärt Vigneron, sei noch nicht so weit, diese Rolle ausfüllen zu können. Bis das der Fall sein wird—oder endlich eine wirklich starke Organisation zu diesem Zweck gegründet wird—müssen wir uns darauf einstellen, dass die Leichtathletik immer mehr in die Bedeutungslosigkeit abrutschen wird.