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Ist das mysteriöseste Manuskript der Neuzeit vielleicht nur ein Hoax?

Seit Jahrzehnten beißen sich Kryptologen, Historiker und Linguisten die Zähne am Voynich-Manuskript aus, das in einer unbekannten Code-Sprache verfasst wurde. Doch vielleicht, so das Fazit einer neuen Untersuchung, ist alles nur Quatsch.

Seit der polnischstämmige Antiquar Wilfrid Voynich vor 104 Jahren ein handgeschriebenes Buch im Kolleg eines Jesuitenorden in Italien entdeckte, beißen sich Wissenschaftler und Krypto-Experten die Zähne an der Entschlüsselung des auf Vellum (einem lichtbeständigen Pergament aus Kalbshäuten oder -Föten) verfassten Wunderwerks aus. Es wird als „mysteriösestes Schriftstück der Neuzeit" gehandelt.

Neben vielen hübschen Illustrationen von Nymphen, die in einer Art grünem Schleim schwimmen, astronomischen Diagrammen und Abbildungen von Fantasiepflanzen ist es vor allem der kryptische Text, der Bibliophile, Historiker und Verschlüsselungsexperten in Atem hält. Auf über 400 Seiten Seiten entfaltet sich zwischen den farbenfrohen Zeichnungen etwas, das entfernt an eine Sprache erinnert—doch niemandem ist es bislang gelungen, den geheimen Code der Schrift auch nur ansatzweise zu knacken oder die geschwungenen Lettern auf einem weiteren Schriftstück zu finden.

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Leider gestattet die Beinecke Library for Rare Books an der Uni Yale, die den Schatz aktuell hütet, nicht, dass man das potentiell wertvolle Meisterwerk mit chemischen Mitteln untersucht, da es dabei möglicherweise zerstört werden könnte. Daher ist bis heute nicht ausgeschlossen, dass die aktuell wissenschaftlich einigermaßen fundierte Altersschätzung des Buchs auf ca. 500 Jahre komplett falsch ist und es sich um eine aufwändige neuzeitliche Fälschung handelt, die Sammler von Schriften aus dem 15. Jahrhundert verschaukeln sollte. Denn bislang bestätigt ist nur das Alter der Pergamente, die als Trägermaterial dienen.

Dass das unergründliche Rätsel ein Riesenhaufen Quatsch sein könnte, postulierte bereits der österreichische Physiker Andreas Schinner 2007, der den Text nach Wortwiederholungen und Entlehnungen aus anderen Sprachen abscannte und enttäuschenderweise nichts fand, das einen Sinn ergab.

Wenn das Voynich-Manuskript ein Hoax ist, dann ein extrem aufwändiger | Bild: Beinecke Library for Rare Books

Aber auch die Theorie, dass das Manuskript ein gigantischer Hoax ist, will gründlich untersucht werden. Das tat Gordon Rugg von der englischen Keele University, der sich—Tragik der Grundlagenforschung—nunmehr schon seit über einem Jahrzehnt mit einem Text beschäftigt, den er immer noch nicht lesen kann. Der Computerwissenschaftler und Linguist, selbst in früheren Arbeiten zu einem Anhänger der Unfug-Theorie konvertiert, machte sich nun daran, praktisch zu beweisen: Nur weil etwas wie eine Sprache aussieht, bedeutet das noch lange nicht, dass es auch eine ist.

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Rugg überarbeitete für seinen jüngsten Versuch ein selbstentwickeltes Kartensystem, das die Silbenstruktur des „Voynichesisch" nachempfinden sollte. Er versuchte dafür, neben Wortstämmen Präfixe und Suffixe zu identifizieren und über den Text hinweg nach Mustern zu suchen. Ein Ergebnis: Die Silben im Text sind nicht wahllos verteilt. Ein weiteres Ergebnis: gibt es leider nicht.

„Ich meine, man kann auch Unsinn produzieren, der statistisch nicht wahllos aussieht", so Rugg im New Scientist. „Es ist ein bisschen wie würfeln mit leicht gezinkten Würfeln: Dann wirfst du die Sechs auch häufiger als statistisch zu erwarten ist, aber eben nicht immer."

Selbst der bekannte Kryptologe Klaus Schmeh muss auf die Frage, ob in dem Manuskript nun „Omas beste Käsekuchen-Rezepte oder die Anleitung zum Weltfrieden" stünden, passen. Er vermutet: „Die wahrscheinlichste Lösung ist, dass es sich dabei um bedeutungslosen Unfug handelt." Bislang gebe es aber nur wenig kompetente Wissenschaftler, die sich mit dem Manuskript beschäftigt haben (der Vollständigkeit halber sollte aber erwähnt werden, dass manche von ihnen von der Sinnhaftigkeit des Textes nach wie vor überzeugt sind).

Dafür aber sind, wie nicht anders zu erwarten, Verschwörungstheoretiker und Esoteriker verlässlich am Start. Der Mutmaßungsbaum steht seit Jahren in voller Blüte, denn so rätselhaft wie der Inhalt des Textes ist letztlich auch die Frage nach seinem Verfasser: War der Autor etwa der legendäre Mönch und Mittelalterwissenschaftler Roger Bacon (Antwort: nein)? Hat das Buch einen direkten Bezug zum Alten Testament, wie UFO-Enthusiast von Däniken herausgefunden haben will (auch nicht)? Ist es in der „Sprache Gottes" verfasst, die der Präastronautiker Erhard Landmann behauptet, „auf den ersten Blick" erkannt zu haben (eher nicht)? Oder hat vielleicht sogar der raffinierte Buchhändler Voynich das Manuskript selbst verfasst (nicht ausgeschlossen: Zugang zu altem Vellum hatte er als ausgebildeter Chemiker nämlich)?

Das Buch verliert auch deshalb nicht an Faszination, weil ein ungelöster Text in diesem Umfang absolut einzigartig ist. Die meisten chiffrierten Texte stammen nämlich tatsächlich aus dem 20. Jahrhundert, als moderne Ver- und Entschlüsselungsmethoden zur Verfügung standen.

Ende August sicherte sich ein kleiner spanischer Verlag die Rechte an der Reproduktion. Bald wird das Buch, dessen Sinn sich bisher niemandem erschließt, also noch exakt 898 mal gedruckt—und wird auch bei einem ambitionierten Stückpreis von 8000 Euro sicher Abnehmer finden. Kleiner Tipp für kleine Budgets: Das von vorne bis hinten hochauflösend eingescannte Werk ist auch gratis online verfügbar.