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Sex

Auf der Suche nach den Nutten der B2

In Deutschland finden sich immer wieder Straßenstriche mit jungen stark geschminkten Mädchen, die höchstens 20 Jahre alt sind. Sobald sich das dann rumspricht, oder die Presse davon Wind bekommt, ziehen sie mit ihren Zuhältern weiter.

Titelfoto: Groß Glienicke ist ein idyllisches Dörfchen direkt im Westen Berlins gelegen.

Eigentlich ist es verwirrend-idyllisch, so kurz hinter der Stadtgrenze der boomenden Easy-Jet-Set-Hipster Partymetropole gelegen. Es gibt eine Dorfkirche, eine Gedenktafel an die Berliner Mauer, einen Super- und einen Getränkemarkt, einen Bäcker und ein Hotel. Für die rund 4000 Einwohner war die Welt hier, umgeben von sattgrünem Wald und weiten, sonnengelben Feldern, perfekt.

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Doch vor sechs Monaten zog Aufregung ein, denn seit vergangenem Dezember stehen und standen, nicht regelmäßig, aber oft, junge Frauen aus Bulgarien und Rumänien am Straßenrand, um ihre sexuellen Dienstleistungen an Autofahrer auf der B2 anzubieten. Die Straße, die aus Berlin kommend durch Groß Glienicke führt, bietet sich für den Straßenstrich geradezu an, denn alle paar Meter führen verwunschene Waldwege ab von der Straße und ins Nirgendwo—dorthin, wo empörte, meist weibliche Anwohner rhythmisch rumpelnde Wohnwagen, große Mengen von benutzten Kondomen und Feuchttüchern, entdeckten und der Presse meldeten.

Mit einem großen starken Fahrer, der Dank Einzelkämpfertraining in der Bundeswehr zum Töten per Handschlag ausgebildet wurde (für den Fall, dass die Zuhälter keine Presse wünschten) machte ich mich also auf die Suche nach den Girls—und nach ihren Zuhältern.

Meine Qualifikation im Umgang mit jungen (Zwangs-)Prostituierten habe ich mir in langen Jahren im Nahen Osten mit vom Irak nach Syrien verkauften Irakerinnen und Palästinenserinnen, mit von Syrien nach Libanon verkauften Syrerinnen und mit in der Ukraine anschaffenden Ukrainerinnen erworben.

Wir dachten, es müsse also ein Leichtes sein, mit den Girls in Kontakt zu treten. Denn bislang hatte ich immer eine zwischenmenschliche seelische Einflugschneise, die es den Mädchen ermöglichte, mir zu vertrauen und mir ihre Schicksale zu berichten, gefunden.

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Bei dieser Recherche erwarteten wir im besten Fall freundliche, auskunftsbereite, fair bezahlte, gesundheitsgecheckte und selbstbewusste Huren—im schlimmsten Fall, von den Girls bespuckt zu werden oder von ihren Zuhältern eins in die Fresse zu bekommen. Leider und zum Glück war beides nicht der Fall. Wir stießen aber auf einen komischen Fall der Pseudo-Nichtzuständigkeit der lokalen Behörden, Verschwiegenheit bei den Gross Glienicker Männern und Empörung bei den Gross Glienicker Frauen.

Kaum waren wir in dem Dorf angekommen, sahen wir auch schon zwei stark geschminkte, höchstens Zwanzigjährige in sexy Klamotten – Hot Pants und weiße, vielfach geschlitzte Leggings ohne Unterwäsche – im Supermarkt einkaufen. Ich weiß nicht, ob sie mich überhaupt richtig verstanden haben, aber die Frage, ob sie hier arbeiteten, verneinten sie.

Ins Auto wollten sie auch nicht steigen. Wir verfolgten sie langsam über ein paar Kilometer hinweg, die sie die Landstraße mit ihren Einkäufen entlang spazierten und boten Zigaretten, Coca-Cola und einen Lift zu ihrem Bestimmungsort an. Irgendwann zogen sie nur noch entnervte Grimassen, wandten sich ab und reagierten nicht mehr auf uns. Kolleginnen oder Zuhälter sahen wir keine.

Zurück am Parkplatz fragten wir alle Männer, die aus dem Super- und Getränkemarkt kamen, ob sie etwas von oder über die Osteuropäerinnen im Dorf wüssten. „Was? Nutten hier? Das hab ich noch nie gehört!" war die entrüstete Antwort des ersten angesprochenen Mannes. „Prostituierte, bei uns? Nee, hier ist doch nicht Berlin!" die des Zweiten, ein Dritter wollte natürlich auch nichts davon gehört haben. Andere winkten einfach ab.

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Das Team in der lokalen Bäckerei wusste mehr und bejahte, dass das Auftauchen der Prostituierten niemandem im Ort entgangen sein könnte. Eine Verkäuferin zeigte sich auskunftsfreudig. „Manchmal hält hier ein Kleinbus, in dem viele Mädchen sitzen, die billig-sexy gekleidet sind. Dann steigen ausländisch aussehende, grobschlächtige Männer in Anzügen aus und kaufen ihnen Kaffee und Erdbeertörtchen, man könnte meinen, die kümmern sich richtig süß um die Mädchen. Aber danach werden die an die Straße gesetzt, müssen ihren Job da hinten im Wald machen und werden abends wieder eingesammelt."

Danach befragten wir an der gleichen Stelle, an der wir auch schon Männer gefragt hatten, Passantinnen nach den Girls. Komischerweise wussten die Frauen im Gegensatz zu den Männern alle gut Bescheid und auch sofort, was wir meinten. „Ah, ja, die stehen immer dahinten", „Ja, ich kenne die, da gibt es auch welche, die arbeiten im Wohnwagen, wo unsere Kinder immer mit dem Rad lang fahren, das finde ich nicht gut" und ein eine weitere erklärte, dass man etwas unternehmen müsse, sie wüsste leider nur nicht was.

Denn eine rechtliche Handhabe gegen das Anschaffen ist nur gegeben, wenn organisierte Kriminalität und Zuhälterei – also Zwangsprostitution – nachgewiesen werden kann.

Das Berliner Verwaltungsgericht legte 2001 fest, „dass Prostitution, die von Erwachsenen freiwillig und ohne kriminelle Begleiterscheinungen ausgeübt wird, nach den heute anerkannten sozial ethischen Wertvorstellungen in der Gesellschaft – unabhängig von der moralischen Bewertung – im Sinne des Ordnungsrechts nicht (mehr) als sittenwidrig anzusehen ist".

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Da es in Potsdam, zu dem Groß Glienicke gehört, keinen Rotlichtbezirk gibt, dürfen die Ladies sich auf High Heels oder auch mit ihren Lovemobiles überall dort hinstellen, wo es ihnen passt

„Freiwillig" und „ohne kriminelle Begleiterscheinungen" sind auf dem Papier natürlich tolle Worte, und es gibt sicherlich nicht nur wunderschöne Luxus-Escort-Ladies, die freiwillig und ohne Zuhälter der Prostitution nachgehen. Bei den sehr jungen Huren in Groß Glienicke handelt es sich aber um Mädchen, die außer dem notwendigen Fachvokabular kein Deutsch sprechen und die laut Aussage einer der Bäckereiverkäuferin in Kleinbussen mit Aachener Kennzeichen von breitschultrigen Männern gebracht und abgeholt werden.

Da muss man die Phantasie schon sehr bemühen, um Freiwilligkeit zu erkennen.

Gibt es in Bulgarien und Rumänien sozial orientierte Anlaufstellen, an die sich freiwillig als Prostituierte Arbeitende wenden können, nach dem Motto: „Ich will harte Euros verdienen, für den Transport nach Deutschland und die Organisation gebe ich gerne zehn Prozent ab, damit ich mir mein Medizinstudium in Bukarest nach drei Monaten harter, aber ehrlich und gut bezahlter Sex-Arbeit im Westen finanzieren kann"? Wohl kaum.

Das Phänomen der sporadisch in ländlicher Umgebung auftauchenden Osteuropäerinnen ist nur ein Zeichen der Zeit. Kaum ein internationales Business in Europa boomt seit der Öffnung der EU-Grenzen so sehr wie der Menschenhandel. Oft werden die Mädchen von ihren in Schulden verstrickten Familien verkauft, andere werden mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt.

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http://www.migrationsrecht.net…

Leider sind viele durch Schläge und Vergewaltigungen und aus Unkenntnis über die Rechtslage so eingeschüchtert, dass sie selbst vor altgestandenen Streetworkerinnen im Gespräch in ihrer Heimatsprache betonen, dass sie alles immer freiwillig machen würden.

Nicht nur Berlin und die ostdeutsche Provinz, auch Hamburg, Bremerhaven, Stuttgart, das Ruhrgebiet, selbst München, wo die Regeln strenger sind und Prostituierte als solche gemeldet sein müssen, melden die massive Zunahme der Osteuropäerinnen in Bordellen und auf den Straßenstrichen.

Sechzig bis achtzig Prozent der derzeit in Deutschland anschaffenden Huren sollen aus Bulgarien oder Rumänien kommen. Die wenigsten davon setzen sich allein in den Zug, fahren zu uns, machen sich hübsch, stellen sich mit Kondomen in der Tasche auf die Straße und verdienen eigenes, gutes Geld. Das Business mit den Ladies ist in ziemlich knallharten Händen und somit richtig tief in der brutalen osteuropäischen Bandenkriminalität verankert.

Nach Angaben einer Studie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in Europa werden zwischen 120 000 und 500 000 Frauen jährlich in die Westeuropäischen Länder gebracht und zum Anschaffen gezwungen—oft unter unglaublich brutalen Umständen. Ein Kenner der Bremerhavener und Dortmunder Szene berichtet mir, dass diese Aggression auch auf die Straße gelangt—andere, altgediente Huren werden angegriffen und versucht zu vertreiben. Oft sind selbst gestandene Zuhälter nicht in der Lage, die Stehplätze ihrer Damen vor den—natürlich sehr gut organisierten und hemmungslos brutal drohenden und auch handelnden—bulgarischen oder rumänischen Zuhältern zu verteidigen.

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„Die Szene ist umgeschlagen. Gerade in Bremerhaven herrschte im Milieu ein eher freundliches Miteinander, das nun einem harten Verdrängungswettbewerb gewichen ist. Die Mädchen schmeißen sich den Freiern an den Hals und bieten auch schon mal lautstark 'Ficken oder Mund für fünf Euro' an."

BILD ARCHIV

Szenen, die man auch vom ältesten Berliner Straßenstrich auf der Kurfürstenstrasse kennt – allerdings haben hier Beratungsstellen und mehrsprachige Streetworkerinnnen daran gearbeitet, eine gewisse Etiquette der Straße zu vermitteln.

Laut Aussage diverser Beratungsstellen sind Geschlechtskrankheiten wie Tripper und Syphillis – ganz zu schweigen von HIV/AIDS – in Osteuropa auf dem Vormarsch und werden durch die preiswerten Liebesdienste auch wieder vermehrt in Deutschland verbreitet. Bei ungewollten Schwangerschaften werden die Girls meist wieder in ihre Heimatländer transportiert und die Abtreibung vom Lohn abgezogen. Aber Verhütung kostet—und Sex ohne Gummi bringt mehr Geld.

Die brutalen Machenschaften der organisierten Kriminalität, die Etiquette und die Regeln der Straße sind das Eine. Die andere, in Deutschland wohl bedeutendere Regel, aber ist die Straßenverkehrsordnung: „Grundsätzlich gilt, dass die Frauen entlang einer Straße stehen dürfen, sofern sie den Verkehr nicht behindern oder gegen Halteverbote verstoßen wird", sagt der Sprecher der Stadtverwaltung Gross Glienicke, Jan Brunzlow, zu dem Sachverhalt. Auch der Gross Glienicker Ortsvorsteher Franz Blaser (SPD) sieht sich nicht in der Pflicht: „Wir können nur gegen die Frauen vorgehen, wenn sie eine Ordnungswidrigkeit begehen". Das Ordnungsamt ist kontaktiert worden, aber mehr als regelmäßige Ausweiskontrollen sind nicht drin.

Die Polizei bestätigt, dass alle bislang Kontrollierten legalen Aufenthaltsstatus haben und somit stehen und arbeiten können, wo sie wollen. Auf die Idee, mal verdeckte Ermittler einzusetzen, die sicherlich problemlos eine professionelle Organisation—Anlieferung, Abholung und Abzockung der Ware Frau—enttarnen könnten, scheint niemand gekommen zu sein.

Jetzt  sind die Girls schon seit Tagen nicht mehr in Groß Glienicke gesichtet worden. Hat die Polizei die Chance verpasst, einen internationalen Menschenhändler- oder Zuhälterring zu sprengen? Die katholische Beratungsstelle In Via, die sich um geschmuggelte und verkaufte Frauen auf der Straße kümmert, kommentiert das trocken und unaufgeregt: „Die Strecken wechseln schnell. Gibt es kritische Stimmen aus der Bevölkerung oder Ärger mit der Polizei, so zieht ein Strich schnell weiter. Wir betreuen Frauen, die abwechselnd in Brandenburg und in Polen anschaffen, je nachdem, wo ihre Zuhälter das Terrain als besser erachten. Die Frauen sehen sich oft aber nicht als gezwungene Opfer an sondern betonen, dass sie aus freien Stücken handeln."

Zwei Tage nach unserem letzten Besuch in Gross Glienicke, bei dem wir kein Mädchen, kein Wohnmobil und keine Zuhälter sahen, wurde schon wieder ein neuer Strich mit ähnlich aussehenden, also blutjungen schwarzhaarigen und nicht-deutschsprachigen Girls gemeldet. Diesmal in Nord-Berlin, bei Hellersdorf, ebenfalls auf der B2, die man praktischerweise gleich nach Polen durchfahren kann, falls „Ficken oder Mund für fünf" wieder die mediale Runde machen und zu viel ungeliebte Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollte.

Jasna Zajček arbeitet als Autorin für Zeitungen im In- und Ausland sowie als TV-Produzentin und Autorin, hauptsächlich im arabischsprachigen Raum. 2005 bekam sie den CNN Journalist Award für Undercover-Reportage aus einem US-Army Trainingslager für Afghanistan, wo sie eine Schulung erhielt, wie man sich als Terroristin verhält. In ihrem ersten Buch "Ramadan Blues", erschienen 2007 im Herder Verlag, behandelt sie den Clash der Kulturen Okzident - Orient. Ihr zweites Buch "Unter Soldatinnen" erschien 2010. Zur Recherche ließ sich sie sich bei der Deutschen Marine an der Waffe zur Soldatin ausbilden und reiste deutschen Soldatinnen im Einsatz nach Kosovo, Sudan oder Djibuti auf eigene Faust hinterher.