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Information und Inkontinenz: Willkommen in der Postdemokratie

Was bedeuten die Enthüllungen eines Geheimnisstaat, und warum gelingt es uns nicht die Architektur dieser Informations-Kontrollgesellschaft zu verändern?
DIENSTE UND BEHÖRDEN DER USA, VERÖFFENTLICHEN SOGAR MANCHMAL INFORMATIONS-DOKUMENTE (WENN SIE DAZU GENÖTIGT WERDEN). VIEL MEHR AUSSER SCHWARZEN BALKEN STEHT MEIST NICHT DRIN, ABER SCHAUT EUCH DAS PDF SELBST AN.

Genug von Snowdens Gesicht! Zu lange blockierten diese Gesichtszüge von klarer Brillianz und distinguierter Überlegenheit schon die Schlagzeilen und verursachten nichts als diplomatische Peinlichkeiten und allgegenwärtiges stilles Misstrauen auf der politischen Weltbühne. Die Amerikaner haben also nochmal in die Trickkiste gegriffen und „Angriff auf Syrien“ hervorgezaubert.
Bei den Aussichten auf eine regionale Eskalation inklusive einer Verwicklung der russischen Streitkräfte sitzen Kalte-Kriegs-Kids wie ich in aufgeregter Antizipation der potentiellen Katastrophe gebannt vor dem Bildschirm. Wer als Kind einmal ,The Day After' und die düsteren Panikdokus der Öffentlich Rechtlichen gesehen hat, weiß von welchem Thrill ich spreche.

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Bei all dem kann der endlos andauernde NSA Skandal eigentlich gar nicht so recht mithalten und droht in Vergessenheit zu geraten: Gäbe es eine Maslow Staatsparanoiapyramide wäre abgehört werden bedeutungsloser Luxus gegenüber nuklearer Auslöschung und drittem Weltkrieg.

Im Angesicht der fundamentalen Enthüllungen grundgesetzwidriger kontrollgesellschaftlicher Apparate, ist der große Schaden für die Legitimation des Staates – abgesehen von ein paar bemerkenswerten Demonstrationen – bisher jedenfalls ausgeblieben. Es scheint für die Bürger emotional komfortabler zu sein so weiterzumachen wie bisher: das atrophierte Social Media Gedächtnis tut sein übriges, die nächsten Wahlen nehmen sich peripher der Thematik an, um dann unbehelligt so weiterzumachen wie bisher. Eine Art von Gleichgewicht des Gleichmutes stellt sich ein, mit einer kleinen interessierten Minderheit, die weiterhin, vielleicht zynischer als zuvor ihre Schlüsse zieht, es allerdings eben sowenig schafft sich politisch zu organisieren.

Direkte Konsequenzen auf das Verhalten von staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren bleiben allerdings weiterhin abzuwarten. Vielleicht sind die neuen biometrischen Überwachungshandys von Apple ein guter Indikator für das öffentliche Gedächtnis und die Toleranz gegenüber der eigenen Überwachung. Die nächsten Wochen und Monate werden Zeigen ob die Inkontinenz des Geheimstaates ein Zeichen seiner Altersschwäche oder nur ein zynischer Reality-Check und Legitimationstest seiner immer dreister und öffentlicher werdenden Einmischung in die Politik ist.

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Aber irgendwas ist dann doch zurückgeblieben, je weiter wir uns vom medialen Ausnahmezustand wieder in Richtung Alltag zurückbewegen. Sind da nicht doch ein paar trübe Konsequenzen, die die Selbstwahrnehmung jedes Einzelnen und dadurch das politische System dauerhaft verändert haben?

Tatsächlich muss man sich fragen, ob die Snowden Enthüllungen nicht eine neue Evolutionsstufe für die politischen Systeme des Westens bedeuten. Sicherlich könnte man behaupten, dass Snowden, ähnlich wie vor ihm „Bradley“ „Chelsea“ Manning ein geringes Ausmaß von eigentlichen Neuigkeiten publizierte, die nicht schon durch NSA Whistleblower wie James Bamford, Russ Tice, oder Wayne Madsen bekannt waren. Bereits 2010 hatte zudem die Washington Post mit ihrer Studie Top Secret America eindringlich dargestellt, dass 854.000 Amerikaner Top Security Freigaben besaßen. Der Wissensstand eines nicht zu vernachlässigender Teils der Bevölkerung hebt sich also vom Rest ab und gibt einen Hinweis auf das rein quantitative Ausmaß eines Staates im Staate. Und dann war da ja auch noch das Statement vom März dieses Jahres, in dem Gus Hunt – ,Chief Technology Officer' des CIA – im Bezug auf Internetdaten verkündete: Wir versuchen alles aufzusammeln und es für immer zu behalten.

Trotzdem sollte man die Neuerungen durch Snowdens Enthüllungen nicht unterbewerten. Schließlich ist er es, der durch sein personalisiertes und medienwirksames Auftreten das Wissen über den Geheimstaat massenfähig und mit Originaldokumenten nachweisbar gemacht hat. Diese massenwirksame Inszenierung kommt in ihrem Effekt einer kognitiven Revolution in der Staatsführung gleich. Mit einem Mal ist es allgemeines Wissen und nicht nur stille Vermutung, dass es einen Staat im Staate gibt, der transnational operiert, darum bemüht ist die Gesamtheit der Kommunikation abzuschöpfen, und dem repräsentativen politischen System nur äußerst bedingt Rechenschaft schuldig ist. Vor allem die armseligen geschwärzten Seiten, die Kanzleramtsminister und Geheimdienstkoordinator Pofalla den Amerikanern zwecks Aufklärung der Vorwürfe von flächendeckender Ausspähung in Deutschland abgerungen hat sprechen Bände, kommen sie doch im Vokabular diplomatisch-politischer Gesten einer öffentlichen Entmachtung der Repräsentanten des Volkes gleich.

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So sieht ein 'Statements' aus der US-Geheimdienst-Kommune aus, wenn sie über die Vorgänge ihrer Kontrolle durch Gerichte und Politik Auskunft geben sollen. Auschnitt freigegeben Gerichtsdokumenten.

Mit dem zunehmenden Austausch und Datenhandel von Firmen und Datensammlung auf zentralisierten Platformen, die schon ihrem Design nach kompromitierbar sind, lässt sich Information heutzutage weniger denn je kontrollieren. Es ist also anzunehmen, dass der Staat auch weiterhin vor sich hintröpfeln wird. Dadurch entsteht vielleicht letztlich eine Art von Informationsadel, ein Millieu derjenigen, welches es sich leistet kann, die Puzzelteile der staatlichen Leaks glaubwürdig in ein kohärentes Ganzes zu fügen.

Währenddessen können sich jedenfalls Journalisten sicher sein, dass ihre Kommunikationen mit vertraulichen Quellen abgesaugt wird. Natürlich können sie Verschlüsselung benutzen, sollten sich aber sicher sein, dass weder ihre eigenen Computer, wie auch die Ihrer Gegenüber nicht bereits von staatlicher Malware infiltriert sind. Währenddessen sind alle diejenigen belohnt worden, die all die Jahre nicht den Kommunikationen des Staates vertraut haben- galten doch die Aussagen zum Ausmaß der Geheimdienstoperationen jahrelang als Verschwörungstheorien. All dies dürfte bemerkenswerte Auswirkungen darauf haben, wie sich Bürger im Verhältnis zu ihren Regierungen verorten.

Das bemerkenswerteste ist daher auch die Reaktion auf die Enthüllungen. Zur Zeit entwirft sich eine ganze Gesellschaft in Opposition zum Staat und seinen Geheimdiensten, besonders die Stasi Vergleiche sind wirkungsvoll und rufen hierzulande unangenehme Erinnerungen wach. Fast instinktiv erwartet man also, dass mit den Enthüllungen auch die Läuterung der Bösewichte und eine Rückkehr von der verwundeten Normalität bevorsteht.
Und täuscht sich.
Es gibt keine Katharsis, gleich dem Protagonisten der Verfilmung von Bret Easton Ellis American Psycho: „This confession has meant nothing“.