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Ein US-Biologe hält sich seit 8 Jahren Hydra-Haustiere, die nicht sterben wollen

Diese kleinen Süßwasserpolypen trotzen bisher allen Naturgesetzen.
Hydra
Bild: imago | Science Photo Library

Die Hydra ist ein unauffälliges Tierchen, nicht viel größer als ein Pfefferkorn. Es lebt in Flüssen, sieht aus wie ein kleiner Baum und frisst, was so vorbeischwimmt; man nennt sie auch Süßwasserpolyp.

Doch dieses winzige Lebewesen hat uns etwas voraus. Etwas, für das wir Menschen uns bislang vergeblich in Eistanks einlagern, die Blutkreisläufe von alten und jungen Mäusen koppeln und allerhand andere vielversprechende Allheilmittel ausprobieren: das ersehnte Shangri La der Unsterblichkeit.

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Eigentlich gibt es in der Natur ein unerschütterliches Muster, das sich durch das gesamte Tierreich zieht: Je früher du Babys bekommst, desto früher musst du sterben. Insekten vermehren sich nach wenigen Tagen und sterben ein paar Wochen später, eine Elefantenkuh gebärt nach einigen Jahren und stirbt erst nach 50. Nur diese Polypen, so munkelte man, machen da nicht mit.

Als der Wissenschaftler Daniel Martínez in den 90er Jahren gerade an seiner Doktorarbeit bastelte, hörte er zum ersten Mal von der Theorie, dass bestimmte Süßwasserpolypen nicht altern. Experimente dazu gab es aber noch nicht. Also schnappte sich Martínez ein Gefäß, fischte ein paar Polypen der Gattung Hydra aus einem kleinen See in Long Island, New York, legte sie zu Hause in Petrischalen und beschloss, zu warten, bis sie sterben. In seiner Uni-Biografie erinnert sich Martínez an den Unglauben, mit dem er das Projekt begann: „Auf keinen Fall kann irgendein Tier unsterblich sein. Die Evolutionstheorie sagt, dass alle mehrzelligen Lebewesen altern. Also wollte ich beweisen, dass die Hydra wie alle Tiere altert."

Ein Jahr verging und der Polyp lebte weiter.

Nach einer Woche begannen die kleinen Polypen, Babies zu kriegen. Ansonsten passierte erstmal nichts. Nahm er sie aus dem Wasser, schrumpelten die Tierchen sofort und starben, doch in ihrer natürlichen Umgebung im Frischwasser blieben sie quicklebendig.

Ein Jahr verging und an der Polypenfront passierte weiterhin nichts. Martínez reiste mit seinem Bruder von der Ost- an die Westküste, fotografierte die Hollywood Hills, mit der Hydrasammlung immer im Gepäck. Im Zion National Park fütterte er sie nachts mit Krebsen und wechselte am nächsten Morgen ihr Badewasser. Die Leute hielten ihn für bescheuert.

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Ein weiteres Jahr verstrich und ein Umzug stand an im Hause Martínez, denn der Forscher hatte einen neuen Job in Irving bekommen. Martínez packte und mietete einen Umzugswagen. Die Hydra waren immer noch nicht tot, also mussten sie in einem gekühlten Koffer voller Petrischalen mitkommen.

Es wurde Winter in Martínez' neuer Bleibe, es wurde Sommer, Winter, Sommer, und die Polypen schwammen weiterhin dynamisch im Wasser herum. Nach über vier Jahren zeigten sie immer noch keine Zeichen der Alterung. Das veranlasste Martínez, ein Paper über die endlos robusten Tierchen zu schreiben und der wundersamen Tatsache, dass sie einfach nicht sterben wollten.

„Die Hydra ist eine Tüte voller Stammzellen."

Unsere Zellen teilen und spezialisieren sich, dann werden sie alt und sterben. Zellen, die beschädigt sind, werden bei der Hydra nicht einfach repariert, sondern fortlaufend ersetzt. „Die Hydra ist eine Tüte voller Stammzellen", fasst Martínez zusammen. Innerhalb von fünf Tagen erneuert sich der kleine Polyp komplett, indem sich seine Zellen teilen und in die Tentakel und den Fuß wandern. Die alten, kaputten Zellen werden einfach abgeworfen. Teilt man eine Hydra in zwei Hälften, stirbt sie ebenfalls nicht, sondern wächst einfach nach.

Die Hydra ist ein Jungbrunnen und, so wie es aussieht, unsterblich. Martínez führt sein Langzeit-Experiment nun mit einer neuen Geldspritze vom Max-Planck-Institut für demographische Forschung in Rostock unter etwas professionelleren Laborbedingungen am kalifornischen Pomona College durch. Er hat sich mittlerweile damit abgefunden, dass nicht jeder unsterblich ist: „Das scheint der Preis dafür zu sein, dass wir komplexe Organismen sind".

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Robert Krulwich, eine Koryphäe des amerikanischen Wissenschaftsjournalismus im Public Service Radio NPR, gestaltete zu Ehren dieses Wunders mit einem Freund ein hübsches Video über das Tierchen, das nicht sterben will:

In einem begleitenden Blogbeitrag aus der Reihe „Krulwich wonders" schreibt der Wissenschaftler gemäß des Serientitels voller Erstaunen:

„Warum nicht (entschuldigt die Frage)… wir? Evolution ist eine so wahllose, casinomäßige Angelegenheit; es ist verrückt, zu denken, dass Langlebigkeit nicht von der Größe abhängt. Ich erwarte doch, dass Mammutbäume und und Wale länger durchhalten als Fruchtfliegen, Gänseblümchen und Klee. Aber wenn zwei winzige Süßwassertierchen eine so eine radikal unterschiedliche Lebensspanne haben, kann ich nur sagen… Whoa! Das Leben ist ein Rätsel."

Die Hydra leben immer noch, mittlerweile über acht Jahre–ihr Bestand hat sich kaum dezimiert. Verglichen mit herkömmlichen Süßwasserpolypen ist das ist mehr als 100mal länger als ihre eigentliche Lebensspanne sein sollte.

Wer also von Panik befallen wird, dass seine Katze sterben könnte, sollte sich vielleicht einfach eine Hydrakolonie anschaffen. Damit kannst du deinen Enkeln dann auch noch etwas wirklich Zeitloses vererben.