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So kaufst du dir auf Ebay eine polizeilich erprobte Überwachungsanlage

Falls die Leipziger Polizei ihre enttarnten Überwachungsanlagen billig nachrüsten will, sollte sie sich in den Weiten der virtuellen Second-Hand-Welten umschauen.
Komponente der Kameraanlage in Plagwitz. Bildquelle: Indymedia, Anonymer Autor; Startseitenbild (Ausschnitt): K's Photo's / FlickR | CC BY-SA 2.0

Am Wochenende enttarnten Aktivisten im ersten Stock eines verlassenen Leipziger Hauses erneut eine geheime Überwachungskamera. Zu Sinn und Zweck der Observation schweigen sich Polizei und Staatsanwaltschaft bislang aus. Sie gaben aber zu, diese anlassbezogen, also im Zuge eines laufendes Verfahren, einzusetzten. Laut den anonymen Findern ist in jedem Fall klar, dass die schwenkbare Kamera wohl theoretisch einen guten Teil des Straßenzugs Gießerstraße beobachten konnte.

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Ob die Finder die Anlage zerstört oder zur weiteren Untersuchung mitgenommen haben ist nicht ganz klar. Der Leipziger Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz warnt jedoch, dass sich sie sich „wegen Diebstahls und gegebenenfalls Sachbeschädigung und Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel strafbar" gemacht haben könnten. Die Aktivisten riefen, davon unbeeindruckt, zur Gegenspionage und auch zur Jagd auf eine weitere solche Kameras auf.

Die Polizei hat die Kosten der verschwundenen Technik bereits pro Anlage mit rund 10.000 Euro beziffert. Wie uns der Leipziger Politiker Wolfgang Kasek berichtete, dürften die Kosten der Maßnahme insgesamt jedoch wohl noch „einmal um mindestens 50 Prozent darüber liegen."

Die nächste polizeiliche Aufrüstung kommt bestimmt und so haben wir als serviceorientierte Technologieplattform die einzelnen Bauteile (auf dem Foto unten) einmal zum Nachkauf auf Ebay Kleinanzeigen und Amazon aufgetrieben.

Gerne versuchen auch wir, unseren Teil zur Kostensenkung im öffentlichen Sektor beizutragen oder vielleicht ja sogar verschwundene Bauteile wieder aufzutreiben, falls die Finder sich doch nur etwas Geld als Second-Hand-Technik-Dealer verdienen wollten. Wir möchten allerdings betonen, dass wir von jeglicher illegalen Überwachungsmaßnahme des öffentlichen Raums abraten—das gilt für eine mögliche Verwirklichung deiner privaten Orwell-Fantasien genauso wie für vielleicht etwas übermotivierte anlassbezogene staatliche Kameras.

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Nach detaillierter Fotostudie und einiger Herumtelefonierei präsentieren wir dir hier alle einzelnen Bauteile der ersten in Connewitz gefundenen Kameraanlage, wie sie in den virtuellen Reste-Rampen des Internets zirkulieren:

Die steuerbare Kamera

Die aus der Ferne schwenk- und zoombare Videokamera ist tatsächlich ein Importprodukt von Sony. Typ: EVI D70 CCTV-Kamera (PTZ, Farbe, 1 / 10 cm (1 / 4 Zoll), optischer Zoom: 18 x, 470 TVL).

Gebraucht für1282,04 Euro

Wie mir die freundlichen Mitarbeiter von Digital-Secure am Telefon erzählten sind sie einer der Lieferanten der Leipziger Behörden für solcherart Überwachungsbedarf, der wahlweise auch als Videokonferenztechnik firmiert. Höchst konspirativ hatte die Polizei auch gleich ihren Sticker auf der Kamera in Connewitz kleben lassen. Wie mir die Firma aus Breisbach am Rhein erzählte ist die selbe Sony-Kamera bei ihnen neu für 1375 Euro zu haben—und dass sogar in original-tarnschwarz.

Screenshot des Autors | Ebay

Der Stream-Konverter

Ironischerweise ist die Kamera noch nicht einmal das teuerste Bauteil des ganzen Systems. Um die Videodaten über eine schnelle LTE-Verbindung verschicken zu können, wurde in Connewitz der Converter CamMobile 4 von Heitel Xtralis installiert.

Neupreis: 1760 Euro.

Sorry, Schnäppchen-Schlapphut. Gebraucht momentan weder auf Ebay, Ebay Kleinanzeigen noch auf Amazon erhältlich. Solltest du im Besitz dieser Anlage sein, ist jetzt vielleicht genau der richtige Zeitpunkt zu verkaufen. Im Anzeigentitel unbedingt „rar" dazu schreiben.

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Screenshot des Autors | Visicom

Der Hersteller Heitel Xtralis ist übrigens so begeistert davon was die englischen Behörden mit seinen Produkten anstellen, dass er sein Werbevideo mit Happy-Surveillance-Musik unterlegt hat:

Der Router

LTE-Router Lancom Systems 1781-4G.

Gebraucht ab 450 Euro.

Screenshot des Autors | Amazon

Autarke Stromversorgung

Weil es in verlassenen Wohnungen dummerweise keinen Strom gibt und sich konspirativ auch schlecht ein Vertrag bei Vattenfall abschließen lässt, bringst du einfach deine eigene Brennstoffzelle mit. In diesem Fall vom Typ Efoy Pro 1600.

Gebraucht für 1400 Euro.

Screenshot des Autors | Ebay

Cooles Schaltbrett (Retro, Vintage)

Zu guter Letzt brauchst du auch noch ein cooles, nummeriertes Schaltbrett. In diesem Fall im kultigen Look von Behördenbeständen der 1970er Jahre.

Über diese kleine Einheiit schließt du die Brennstoffzelle und die anderen Komponenten an.

Kosten Eigenbau oder Flomarkt: Wenige Euro.

Pro-Tipp: Handeln

Bei meinem Telefonat mit den Behördenlieferanten aus Baden-Württenberg erkundigte sich mein freundlicher Gesprächspartner irgendwann auch, welche Preise ich für die Kamera bisher gefunden hatte—um mir schließlich stolz zu antworten: „Das gibt es bei uns billiger." Ich habe nicht weiter nachgefragt, aber da könnte durchaus noch Verhandlungsspielraum gewesen sein.

Das Endergebnis: Neuware vs. Second Hand

Würdest du dir alle Kompenenten als neuwertige Ware bestellen, würde dich das nach meiner Erhebung einiges kosten.

Neupreis gesamt: 8413 Euro.

Eine kleine Tour durch die virtuellen Second-Hand-Shops dieser Welt, auf denen alle verwendeten Teile (bis auf den exklusiven Streaming-Konverter) mehr oder weniger regelmäßig verkauft werden, liefert dagegen eine sensationelle Einsparung:

4892 Euro (plus: Schaltbrett und LTE-Vertrag bei Vodaphone.)

Und fertig ist die konspirative Überwachunsanlage.

Unterdessen formierte sich in den vergangenen Tagen wieder einiger Widerstand gegen die Überwachungskameras in Leipzig: Die lokale Anti-Überwachungsgruppe PrivacyLeipzig ruft für den 21. Juni zu einer Demonstration „gegen die Überwachung" auf, und Privatsphären-Aktivisten bringen auch die Strategie der Gegenüberwachung ins Spiel: Wer bei einem Wettbewerb die besten Fotos von in Leipzig installierten Überwachungskameras mitbringt, kriegt einen Sonderpreis. Aber weshalb nur Fotos schießen, wenn die Behörden gerade in Leipzig eine so tolle Vorlage für ein mobiles Spionage-Kit geliefert haben?