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Mind Machine und Neuro-Trips: Auf Astralreise am Himmel über Berlin-Wedding

Mein erstes Reiseziel nach dem Austritt aus meinem Körper war natürlich das Weltall.
​Bild: Shutterstock

In unserer hektischen, durchgetakteten Welt hat sich Stress als Normalzustand zwischen gelegentlichen Saunagängen und ​Selbstoptimierungsmaßnahmen etabliert. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn jede neue Technik, dem Alltag zu entfliehen, neugierig und voller Hoffnung auf ein wenig Entspannung angenommen wird.

Trance, Hypnose und Tiefenentspannung werden nicht nur dazu benutzt, unliebsame Gewohnheiten abzulegen, sondern zu unserem tieferen Selbst vorzudringen. Auch ich bin ein Teil dieser großstädtischen Menschenmasse und auch ich habe meine Variante für den Kontakt mit meinem Innersten gesucht und gefunden.

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​An diesem schönen Freitagabend liegen wir bereits um 23 Uhr—zur besten Ausgehzeit—versammelt auf unseren Matratzen und sind startklar. Die Aussicht hier aus dem obersten Stock über das nächtliche Berlin ist schon einmal grandios und ich kann es ehrlich gesagt kaum erwarten, endlich wieder rauszukommen. „Wer möchte, dass das Fenster offen bleibt?"—„Ich", sage ich. Doch nach langer Diskussion schmunzelt Reiseleiter Hugo: „Wer frische Luft möchte, muss gleich einfach astral rausgehen," und mir wird wieder einmal bewusst, was für ein seltsames Hobby ich doch habe.

Aber was mache ich hier eigentlich und wo bin ich? Ich befinde mich auf einer Praxisnacht für Astralreisen, luzides Träumen und sonstige bewusstseinserweiternde Aktivitäten wie virtuelle Neuro-Trips im Spirit Berlin. Mitten im Wedding ist ein komplettes Dachgeschoss spirituellen und parapsychologischen Aktivitäten gewidmet, die Besucher zu experimentellen Körper- und Geistesübungen einladen. Wie eine radikalere Yoga-Version zur abenteuerlichen Selbsterfahrung oder eine Meditationsform als LSD-Surrogat.

Schon Pythagoras oder Platon berichteten von außerkörperlichen Wahrnehmungen, bei denen sich die Seele, beziehungsweise der Astralkörper, von seiner physischen Existenz abhebt. Diese Zustände, auch Seelenreisen genannt, fanden Eingang in verschiedenste Religionen und Glaubensströmungen. Die Psychologin  ​Susan Blackmore schätzt, dass etwa 15 bis 20 Prozent der Weltbevölkerung schon einmal eine solche außerkörperliche Erfahrung gemacht haben.

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Die Autorin noch vor dem Verlassen ihres Körpers auf ihrer Matratze.

​Luzides Träumen ist das Phänomen, während eines Traums die volle Bewusstheit zu erlangen und gleichzeitig zu realisieren, dass man träumt. Bedeutet: du kannst deiner Fantasie freien Lauf lassen und den Traum nach deinen eigenen Vorlieben steuern. Eine Astralreise geht nochmal einen Schritt weiter, weil du bewusst aus deinem Körper heraustrittst und dich dann nicht nur in einem Traumzustand, sondern im Hier und Jetzt befindest. Viele beschreiben dies auch als klassische Nahtoderfahrung, da man in diesem Zustand sein schlafendes physisches Ich beobachten kann.

Oft gehen Astralreisen und luzides Träumen (auch bekannt als ​Klarträumen) Hand in Hand. Für viele mag es das gleiche sein, denn meistens driftet man von einer Astralreise in den luziden Traumzustand über. Auch die Charakteristika sind sehr ähnlich, denn du bist in beiden Zuständen nicht nur bei vollem Bewusstsein, sondern auch alle deine fünf Sinne funktionieren perfekt—wenn nicht sogar besser als im Wachzustand. So kann ein kurzer Traumaufenthalt im Wald die Explosion aller Sinne bedeuten (wer hätte gedacht, dass der Geruch von Nadelbäumen so intensiv sein kann?).

In einer in ​Nature Neuroscience veröffentlichten Studie der Universität Frankfurt wurde gemessen, dass die Gamma-Aktivität des Hirns während luzider Träume der des Wachzustands gleicht, im Gegensatz zu den Hirnströmen in der herkömmlichen REM-Schlafphase. Dein Gehirn sagt also: „Du bist wach", während dein Körper schläft. Im Rahmen der Forschung erhielten Kognitionsforscher bisher unbekannte Einblicke in das menschliche Bewusstsein. So eröffneten sich auch völlig neue wissenschaftliche Perspektiven darüber, dass Geist und Körper viel stärker miteinander verbunden sind als oftmals angenommen.

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Mit der Mind-Machine im Schleuderkarussel.

Um dich dem angestrebten Zustand näher zu bringen, gibt es ​verschiedenste Techniken, Bewusstseinsübungen oder auch ganz simple (aber extrem effektive) Gewohnheiten wie ein Traumtagebuch. Auch regelmäßige Realitätschecks im Alltag—zum Beispiel die Frage „Träume ich gerade oder bin ich wach?"  oder der Versuch, ob sich Gegenstände mit der Hand fassen kann—bringen schon sehr viel, um mit der Intention für einer außerkörperlichen Erfahrung ins Bett zu gehen. Bei Letzterem solltest du vielleicht darauf achten, dies nicht unter Beobachtung auszuprobieren.

Die größten Erfolge ereignen sich in den frühen Morgenstunden während der hirnphysiologisch hochaktiven ​REM-Phase (Rapid Eye Movement). Eine Schlafunterbrechung vor der REM-Phase (nach ungefähr vier Stunden Schlaf) ist die beste Voraussetzung für außerkörperliche Abenteuer. Um meine Fertigkeiten für einen Eintritt in die nicht-materielle Parallelwelt weiter zu entwickeln, begab ich mich also zur Praxisnacht.

Die Mind-Machine, ein Hilfsmittel für die erfolgreiche Astralreise.

Sogar bei Astralreisen gibt es Hilfsmittel, mit denen man ein bisschen tricksen kann. Eines davon ist die Mind-Machine: ein visuelles Stimulationsgerät, das durch gleichzeitige Licht- und Toneffekte (auch binaurale Beats genannt) einen ziemlich intensiven Bewusstseinszustand initiiert.

Je besser und geübter du im Meditieren bist, desto intensiver wird dein virtueller LSD-Trip. Eine 20-minütige Achterbahnfart mit der Techno-Brille reicht aus, um deine Hirnfrequenzen so aufzumischen, dass du dich in einem absolut high-ähnlichen Zustand befindest. Ein weiteres Hilfsmittel sind kleine Alzheimer-Mittelchen wie Galatamine, Cholin oder Huperzin A, die dir helfen, die Bewusstheit zu halten. Keine Sorge, die gibt's ganz unspektakulär bei Amazon.

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Während diese für westliche Anfänger der Bewusstseinserweiterung sicherlich probate Mittel darstellen, funktioniert der eigentliche und intensivere Weg über Meditation und  kontinuierliche Übung. Für viele mag das Wort Meditation noch ein Fremdwort sein, doch wenn schon Hip Hop-Mogul Russell Simmons von Def Jam einen Bestseller mit dem Titel "Success through stillness - Meditation made simple" schreibt, kannst du dir sicher sein, dass immer mehr Menschen gewillt sind, sich experimentellen Meditationsübungen hinzugeben. Dass der Dalai Lama ein Befürworter von Astralreisen, beziehungsweise 'Traumyoga' ist, liegt ohnehin nahe.

Für mich heute das erste Mal mit Galatamine & Co.

In unserer Praxisnacht geben wir uns also das volle Programm. Vor dem ersten Einschlafen leitet Hugo eine Technik an, mit Hilfe derer wir uns gemeinsam auf unseren geistigen Spaziergang vorbereiten. Zuerst stellen wir uns vor, dass wir in einem Wald sind, dann landen wir auf einem Spielplatz. Schiffsschaukel, Klettergerüst, Karussell—alle Geräte, mit denen man irgendwie wild geschleudert wird, sind super. Du hältst dich von außen am Karussell fest—eins von diesen Drehdingern aus der Kindheit—während du Runde für Runde immer schneller wirst. Ziel ist es, dich auf diese Weise von deinem physischen Körper zu lösen.

Danach schlafen wir für vier Stunden, sind wiederum für ungefähr 15 Minuten wach und toben uns kurz parapsychologisch aus: Wer will, gibt sich eine Runde Mind-Machine, wirft sich eine Alzheimerpille ein oder entspannt einfach kurz. Dann gehen wir in Gedanken wieder auf den Spielplatz und schleudern, was das Zeug hält. Ab da ist dann jeder sich selbst überlassen.

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Der Scheint trügt bei der Astralreisen-Praxisnacht. Eigentlich schleudern wir gerade bis uns schlecht wird.

Der Schein trügt. Eigentlich schleudern wir gerade bis uns schlecht wird.

Meine allererste Astralreise, insbesondere dieser eine kurze Moment, als ich mich aus meinem Körper gelöst habe, war ein einschneidendes Erlebnis.

Im August letzten Jahres, in einer dieser warmen Sommernächte, bin ich skurrilerweise aufgewacht und in eine Schlafparalyse geraten. Das heißt: Mein Körper ist wieder eingeschlafen, während mein Geist wach war. Mein Körper begann plötzlich zu vibrieren als würde in meinem tiefsten Inneren ein Düsenjet gestartet oder jemand einen Presslufthammer angeworfen hätte, der in jede meiner Zellen vordrang. Als wäre es das Normalste der Welt, habe ich mich dann aus meinem Körper gestoßen und schwebte auf einmal mitten im Raum. Ich weiß bis heute nicht wie ich das getan habe, aber irgendwie schien es in dem Moment die logische Schlussfolgerung auf das Düsenjet-Gefühl zu sein.

Mein Körper lag also reglos unter mir und ich, ein geistiges Etwas, schwebte dort oben. Das war schon eine recht ungewohnte Perspektive, aber eins ist sicher—es war mit Abstand das grandioseste und lebensveränderndste Gefühl, das jemals über mich gekommen ist. Als erstes bin ich dann ins Weltall geflogen—der ungeschlagene Klassiker unter den Zielen für Astralreisende und luzide Träumer.

Nach einer intensiven Weltreise durch Wälder und an Stränden entlang wurde es irgendwann wieder schwammig um mich herum und mit einem Wimpernschlag ging es zurück in meinen Körper. Wie in einem dieser Geisterfilme habe ich meine Augen aufgerissen und einen tiefen Atemzug gemacht, als müsste ich meine Seele wieder einatmen—gefolgt von einem Zustand, in dem ich für sehr lange Zeit ungläubig die Wand angestarrt habe.

Zurück zur Praxisnacht. Ich habe unzählige Runden auf dem Karussell gedreht, gefolgt von mehreren Einheiten auf der Schiffsschaukel. Dann endlich startet die inzwischen bekannte Vibration des Düsenjets in jeder meiner Zellen, begleitet von einem kleinen farbenfrohen Feuerwerk und dem Gefühl, dass ich heute zum Abheben ein paar Turbinen dazubekommen habe. Das muss wohl meine neue Freundin Galatamine sein. Wenige Sekunden später bin ich an der frischen Luft. Wer hätte gedacht, dass der Ausblick über den Dächern von Berlin-Wedding so magisch sein kann?