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Die längste Wahl der Welt

​Die Wahlanfechtung – eine österreichische Tragikomödie

Wir waren beim Verfassungsgerichtshofs und haben uns in die kleineren verwaltungstechnischen Abgründe gestürzt.
© VfGH/Achim Bieniek

Der Verfassungsgerichtshof (BVGH) am Burgring steht nicht oft im absoluten Rampenlicht. Normalerweise verhandeln die Höchstrichter dort zwar Fälle von grundlegender Bedeutung, aber überschaubarer Reichweite. Er ist der Öffentlichkeit so unbekannt, dass euch beim Lesen gerade wahrscheinlich nicht mal aufgefallen ist, dass er eigentlich VfGH abgekürzt wird und nicht am Burgring, sondern an der Freyung sitzt.

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In diesen Tagen ist das anders. Seit Montagmorgen wird die Anfechtung der Bundespräsidentenwahl öffentlich verhandelt, und das Interesse ist riesig. Der Sitzungssaal ist schon eine Stunde vor Verhandlungsbeginn gefüllt mit Vertretern wichtiger Medien, die mit ihren Laptops auf dem Schoß den ganzen Tag relativ lustige Live-Ticker fabrizieren. Der VfGH hat den Ansturm geahnt und vorsorglich unter Dach eine Public-Viewing-Area eingerichtet. Kein Scherz. Sie ist bis auf den letzten Platz gefüllt.

Die FPÖ in Person von Heinz-Christian Strache hat die Wahl, bei der ihr Kandidat Norbert Hofer um 31.026 Stimmen hinten lag, bekanntlich am letztmöglichen Tag angefochten. Ich hab hier schon einmal dargelegt, warum ich nicht finde, dass man sie dafür kritisieren sollte.

Das Ganze passierte mit einem ziemlichen Monster-Schriftsatz, der neben vielen peinlichen PR-Momenten (nein, die Wahl wird nicht wiederholt werden, weil der ORF angeblich nicht objektiv war) auch einige wirklich substantielle Verwürfe enthielt. Die jetzt auszuführen, würde hier den Rahmen sprengen (wer mehr wissen will, liest hier oder hier), aber im Kern geht es vor allem um die Briefwahlen und damit zusammenhängende Unregelmäßigkeiten in verschiedenen Wahlbezirken mit unterschiedlicher Intensität. Mit diesen muss sich jetzt der VfGH beschäftigen.

Und es ist eine Mammutaufgabe. Das Gericht hat sich dafür knapp 90 Zeugen aus unterschiedlichen Wahlbezirken eingeladen. Die Zeugeneinvernahme soll in vier Tagen abgeschlossen sein, was nach Tag 1 sehr ambitioniert erscheint. Vor den 14 Richtern, den Vertretern der FPÖ, dem Team Van der Bellen und der Bundeswahlleitung stehen also am Montag Zeugen aus sieben Wahlbezirken. Bezirkshauptmänner, (stellvertretende) Bezirkswahlleiter, aber auch viele kleine Beisitzer, die sich vor einem Monat sicher noch nicht hätten vorstellen können, dass sie einmal vor dem VfGH aussagen sollten.

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Was ist ein Beisitzer? Ganz grob: Parteien entsenden Vertreter in die Wahlbehörden, die sicherstellen sollen, dass die Ergebnisse korrekt zustande gekommen sind. Der Gedanke dahinter: Die Legitimität von Wahlergebnissen soll damit erhöht werden. Also im Grunde soll exakt das verhindert werden, was jetzt eingetreten ist.

Beisitzer auf Bezirksebene sind oft kleinere Angestellte der lokalen Parteiorganisationen, oft aber eben auch einfache Bürger. Man kann sich vorstellen, dass die Kenntnisse über das Wahlrecht da teilweise überschaubar sind. Und trotzdem ist es dann doch ein bisschen überraschend, welche kleineren verwaltungstechnischen Abgründe sich im Sitzungssaal des VfGH auftun.

Die Wurschtigkeit, mit der geltende Gesetze gebogen wurden, lässt einen doch sprachlos zurück.

Nach einem Tag kann man klar sagen: Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ist noch nie eine Wahl in Österreich ganz gesetzeskonform abgelaufen. Und bislang hat es niemanden gestört. Nicht falsch verstehen: Zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl, dass irgendjemand auch nur eine Spur bösen Willens gehabt hat. Und niemand behauptet ernsthaft, dass es wirklich zu gezielten Manipulationen gekommen ist. Aber die Wurschtigkeit, mit der geltende Gesetze gebogen wurden, lässt einen zwischenzeitlich doch sprachlos zurück.

Da gibt der Bezirkshauptmann der Südoststeiermark relativ selbstbewusst zu Protokoll, dass sein Wahlleiter-Stellvertreter (der aufgrund einer Erkrankung einer Kollegin erst am Wahlsonntag selbst in diese Position rückte) die Briefwahlstimmen schon Sonntagnacht ausgezählt habe, weil "er das sonst zeitlich nicht geschafft hätte". Der Bezirkshauptmann von Villach-Land, wo dasselbe passierte, gibt sogar offen zu, bewusst gegen den Leitfaden des Innenministeriums verstoßen zu haben. Denn eigentlich dürfte die Auszählung erst am Montag ab 9:00 Uhr geschehen.

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Die Beisitzer haben das ordnungsgemäße Zustandekommen der Ergebnisse alle unterschrieben. Die Vertreter der FPÖ, auf deren Aussagen sich die Anfechtung stützt, wollen davon allerdings heute vielfach nichts mehr wissen. Das könnte für sie strafrechtliche Konsequenzen haben—die Wirtschafts- und Korruptionsstaatanwaltschaft ermittelt bereits.

Aber offenbar ist die FPÖ bereit, sie als Bauern ans Messer zu liefern. Wobei sich an diesem Montag schnell herausstellt, dass sich das Problem mit den Beisitzern nicht auf die FPÖ beschränkt. Auch mehrere Beisitzer der ÖVP oder der Grünen beantworten auf die Frage, ob sie das Abschlussprotokoll vor der Unterschrift gelesen haben, offen mit nein. Es würde immer nur herumgereicht. Etwas ungläubiges Staunen im Saal.

Die Befragungen nehmen teilweise absurde Züge an. Da sagt eine Zeugin, von Beruf Kleinkindpädagogin, das Wahllokal sei in ihrem Kindergarten untergebracht. "Da kann ich dann gleich kontrollieren, dass nichts schmutzig gemacht wird." Eine andere sagt aus, sie hätte "gedacht, da stimmt alles, weil ja ein Jurist am Werk war." Ein Satz, der alle anwesenden Juristen außerordentlich erheitert.

Nur auf die FPÖ-Beisitzer einzuhauen, wäre zu einfach.

Zwei Dinge ziehen sich durch fast alle Befragungen: Das unerschütterliche Vertrauen in die Beamten der Wahlbehörde ("Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Magistratsbediensteten ihre Arbeit nicht ordentlich machen") und die ständige Annahme, dass das alles schon so passen würde. Auch bei den Verwaltungsbeamten. Das hätte man ja immer schon so gemacht. Es ist im Grunde ein sehr, sehr österreichisches Theaterstück, das an diesem Montag im Verfassungsgerichtshof aufgeführt wird. Lustig. Aber auch ein bisschen tragisch.

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In den sozialen Netzwerken schoss man sich prompt auf die FPÖ-Beisitzer ein. Verständlich. Schließlich ist es ihre Partei, die jetzt mit den Ergebnissen, deren Richtigkeit eben diese Beisitzer bestätigt haben, eine Neuwahl erzwingen will. Aber auch ein bisschen zu einfach.

Es gibt offenbar eine große Diskrepanz zwischen der demokratiepolitischen Bedeutung, mit der die Funktion der Beisitzer aufgeladen wird, und ihren realen Ressourcen beziehungsweise ihrer Vorbereitung. Gerade Beisitzer, die nicht direkt aus den Parteien kommen, wirken im Wahlrecht doch sehr verloren. Sie haben einen Brotberuf, sind Pensionisten, Kleinunternehmer, Lehrer. Von ihnen zu verlangen, die Entscheidungen eines Verwaltungsbeamten, der schon seit Jahren in der Wahlbehörde tätig ist, zu hinterfragen, ist ein bisschen viel.

MOTHERBOARD: In dieser Sci-fi-Geschichte ist Wahlbetrug unmöglich

Natürlich ist ein Satz wie "Ich hab dem Beamten vertraut, einem Beamten muss man ja vertrauen" wahnsinnig lustig und eben auch wahnsinnig österreichisch. Wer sich aber gar nicht vorstellen kann, in derselben Situation ähnlich gehandelt zu haben, der werfe den ersten Stein. Nein, es sind eigentlich nicht die Aussagen der Beisitzer, die wirklich ärgern. Sondern die der Beamten, die es eigentlich besser wissen müssten.

Am Dienstag geht die Verhandlung weiter, unter anderem mit dem Bezirk Wien-Umgebung. Der nimmt eine Schlüsselrolle ein, weil hier Wahlkarten ohne Beschluss der Wahlbehörde vorzeitig geöffnet wurden. Auch hier nicht in böser Absicht, aber aktuell gehen viele davon aus, dass das Gericht nicht tatsächliche Manipulationen bewertet, sondern die theoretische Möglichkeit dazu. Ob die nicht bestrittenen Unregelmäßigkeiten dafür reichen, werden die nächsten Wochen zeigen.

Es könnte also zu einer (teilweisen) Wahlwiederholung ohne eine einzige manipulierte Stimme kommen. Dann wüsste man vermutlich wirklich nicht mehr, ob man sich in einer Komödie oder Tragödie befindet.

Jonas auf Twitter: @L4ndvogt