Marsch für's Läbe? Wasser marsch!

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Marsch für's Läbe? Wasser marsch!

Die fundamentalistische Antiabtreibungsdemo „Marsch für's Läbe" bot Anlass für übermütige Gegendemonstranten-Jagden am Bürkli-, am Paradeplatz und in der Bahnhofstrasse.

Mit „Weil Maria hat geboren ist die Welt noch nicht verloren!" richtete sich Daniel Regli, der Organisator der „Marsch für's Läbe"-Antiabtreibungsdemo, an sein Publikum. Nicht ohne den Kommentar, dass „unsere Freunde da drüben rufen werden: Hätt' Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben." Dass Menschen, die Gott mögen, denken, dass er anwesend oder zumindest entschuldigt abwesend ist, ist deren gutes Recht.

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Sie dürfen auch eine politische Einstellung haben, so wie der alt-EDU-Nationalrat Markus Wäfler, der meinte: „Christen können beten und wählen." Und ja, wenn sie es wie Markus Wäfler nötig haben, die Weltkriege mit Abtreibungen gleichzusetzen, ist das irgendwie auch noch einzuordnen.

Aber wenn kleine Kinder auf einem riesigen Buggy durchkutschiert werden, Kinder selbst zum Demo-Symbol, also quasi zum Bioform-Transparent erhoben werden, ist das eher unschön. Richtig widerlich ist die Behauptung von Daniel Riegel, dass Richard Dawkins (und jeder, der halbwegs so denkt wie er) jeden behinderten Menschen abtreiben wolle.

Als nächste erhält die Mutter eines Kindes mit Trisomie 21 das Mikrofon und erzählt von ihrer Liebe für Kind und Gott. Danach darf eine junge Frau mit Down-Syndrom von ihrem Arbeitsplatz bei der Verkehrspolizei berichten.

Liebe Leute, das ist ziemlich off-topic. Beim Recht auf Abtreibung geht es um Notsituationen, um Zwang und Selbstbestimmung, nicht um das Lebensrecht von Menschen mit Behinderungen. Es geht um das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Es geht um Kinder, denen ein Leben aufgezwungen wird, das vielleicht niemand wollte (in der Schweiz) oder nicht lebenswert gestaltet werden kann (Ihr kennt ja sicher die afrikanischen Kinder aus der Worldvision-Werbung).

Daniel Riegel forderte nochmals „die starken Männer in der Demo auf, Frauen, Kinder und Behinderte zu beschützen." Dann trottete der „Marsch für's Läbe" hinter zwei Saxofonen los.

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Aber anyway: Zum Glück bleibt mir die Demo, also vor allem die Gegendemo, nicht wegen der Fundi-Inhalte in Erinnerung. Es war nämlich die erste Demo in der Wolff-Ära, bei der die Polizei keinen sauberen Kessel machen konnte.

Kaum hielt der Wasserwerfer beim Bürkliplatz an, spritzte er schon auf die dort versammelte Hundertschaft Gegendemonstranten. Andrea Stauffacher krähte ins Megafon. Aber der Wasserwerfer machte weiter, nur wenige Meter von den Touris am Seeufer und dem Samstagsflohmarkt entfernt. Der Wasserwerfer war schon in Gang als Polizeivorsteher Wolff mit dem Velo auf eine Verkehrsinsel angekommen ist. Wolff wollte das Velo direkt dort abschliessen. Unser Fotograf fragte: „Ist denn das hier ein Veloparkplatz?" Wolff blickte rasch über seine Schulter und zog mit Velo weiter.

Als der „Marsch für's Läbe" den Bürkliplatz passieren konnte, begann die Jagd erst richtig. Längst waren die Abtreibungsgegner nur noch ein abgeriegeltes Feindbild. Die Farb- und Dreckwasserballons trafen Polizeischilder, keine Christen. Immer wieder kamen Grüppchen aus Seitenstrassen und pfiffen für eine halbe Minute, bevor sie wieder wegrannten. Auch an Orten, die unbewilligte Demos sonst nie und schon gar nicht an sonnigen Samstagnachmittagen erreichen, wie der Paradeplatz oder die Bahnhofstrasse.

Die Bahnhofstrasse?! Als der Fotograf und ich aus einer Seitenstrasse zurück zu den Christen spurteten, heischte uns ein Sympathieträger in Uniform an: „Das ist die zweite Verwarnung! Beim nächsten Mal nehme ich sie rein. Haben Sie mich verstanden? Das ist eine polizeiliche Anweisung. Ich will Sie nicht mehr ausserhalb der Bahnhofstrasse sehen!" Da half weder Presseausweis noch Visitenkarte. Aber für Bilder hätte man uns an keine bessere Location zwingen können: Wann fährt sonst schon ein Wasserwerfer durch das Bahnhofstrassen-Gewusel aus betuchten Konsumsüchtigen? Und überall pfiff und rannte es weiter.

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Bei einer Atempause an einer Hausecke trafen wir Antiabtreibungs-Aktivist Daniel Regli ausserhalb seiner Demo.
VICE: „Entspricht der Verlauf der Veranstaltung Ihrer Zufriedenheit?"
Regli: „Es tut mir einfach so leid, dass die Polizei kommen musste. Wegen uns hätte sie nicht kommen müssen." Nach der Demo jubelten die wieder versammelten Abtreibungsgegner zwei Instanzen zu: Gott und der Zürcher Stadtpolizei.

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Alle Fotos von Jan Müller

VICE-Autor Florian Vock in friedlicher Demofreude.