Auf drei Melange mit Stefanie Reinsperger

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Auf drei Melange mit Stefanie Reinsperger

Stefanie Reinsperger ist bestimmt nicht nur aus Glück dort, wo sie jetzt ist. Wir haben mit ihr über Schauspiel, Verwundbarkeit und nackte Haut gesprochen.

Dieser Artikel ist Teil unserer Reihe zum 10-jährigen Jubiläum von VICE Austria. Mehr dazu findet ihr hier.

Fotos von Christopher Glanzl

Wer Stefanie Reinsperger nicht liebt, hasst auch den Geruch von frisch gemähtem Rasen. Aber es sind dieser Tage nur sehr wenige. Die Schauspielerin wurde von quasi jedem Medium interviewt, von ebenso vielen gelobpriesen und gewinnt einen Preis nach dem anderen. Wer sie je auf einer Bühne gesehen hat, kann das nur nachvollziehen: Österreich mag ein verschlafenes Land sein, doch am Tag, an dem eine Revolution ausgerufen wird, hofft man, Stefanie Reinsperger führt sie an. Bis dahin wird sie wohl auf der Bühne bleiben. In Lächerliche Finsternis spielt sie einen schwarzen männlichen somalischen Piraten—und man nimmt ihn ihr ab. In der Pause und am Ende des Stücks kann einem nur der Mund offen stehen.

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Wir sitzen in der Kantine im Museumsquartier. 20 Meter entfernt ist eine Baustelle. Stefanie be- stellt eine Melange und ein Soda Zitron. Sie wirkt wie ein Mensch, mit dem man stundenlang reden könnte. Sie kommt gerade vom Kistenpacken. Im Herbst zieht sie nach Berlin, wechselt vom Volkstheater an das Berliner Ensemble. Zur Zeit spielt sie noch den Philoktet im Volx/Margareten, währenddessen muss sie schon nach Salzburg pendeln, wo sie im Sommer die Buhlschaft spielt.

"Als ich den Anruf bekommen habe, ob ich die Buhlschaft spielen möchte, habe ich erst mal ge- sagt: Ich muss einen Kaffee trinken, ich ruf zurück. Ich war dann sehr stolz auf mich, dass ich das gesagt habe." Einer der Hauptgründe für die Zusage sei schließlich ihre Familie gewesen, erzählt Stefanie. Dass sie ihrer Familie so ein riesiges Geschenk machen könne, sei für sie der schönste Grund. Dass sie neben Tobias Moretti spielen dürfe, sei nicht nur für sie großartig. Ihre Mutter habe angerufen, als es schon die ersten Gerüchte gab, dass Moretti den neuen Jedermann spiele und gefragt, ob Stefanie mit ihr nach Salzburg fahren würde, um sich das Stück anzusehen. "Das war der schlimmste Moment, weil ich meinen Eltern damals noch nicht verraten habe, dass ich mitspielen werde. Ich hab dann gesagt: Ja sicher fahr ich mit."

Einen Tag vor der Pressekonferenz habe sie es dann verraten: "Am lautesten gebrüllt hat meine Schwester. Meine Eltern waren eher in einer Schockstarre und hatten Tränen in den Augen." Die Rolle der Buhlschaft habe eine gewisse Faszination. Sie wolle schon wissen, was alle mit dieser Rolle hätten. "Da können wir dann Ende August nochmal reden. Dann hab ich es verstanden. Oder auch nicht."

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"Ich arbeite sehr impulsiv und versuche einfach, das Stück ganz oft zu lesen."

Dreieinhalb Jahre hat Stefanie Reinsperger unter anderem den Ultimo Michael Pussi in Wolfram Lotz' Lächerliche Finsternis gespielt—einen schwarzen somalischen Piraten. Man kann es sich vielleicht schwer vorstellen, ohne das Stück gesehen zu haben, aber hat man es doch gesehen, möchte man sich niemand anderes mehr in der Rolle ansehen. Genauso wie die drei Schauspielerinnen an ihrer Seite, die allesamt Männer spielen. Auch in Philoktet spielt sie eine Männerrolle. Auf den Schauspielschulen wird immer gesagt, man brauche mehr Männer als Frauen, weil es einfach mehr Männerrollen gebe. "In den klassischen Stücken sagt man immer, dass das Verhältnis grob 8:3 ist."

Wie bereitet man sich als weiße europäische Frau auf eine solche Rolle vor? "Ich glaube, ich be- reite mich nicht im klassischen Sinne auf Rollen vor", erzählt Reinsperger. "Ich arbeite sehr impulsiv und versuche einfach, das Stück ganz oft zu lesen. Ich schaue mir genau an, was andere Figuren über die Figur sagen und was die Figur über sich selbst sagt. Dann höre ich ganz viel Musik, die mich inspiriert und klebe in die Textbücher Bilder, die mir ein wenig Orientierung geben. Bei Lächerliche Finsternis waren einige von Apocalypse Now dabei."

Das Spielen habe sich verändert im Laufe der Jahre. Der Humor sei vor ein paar Jahren noch ganz anders gewesen: In dem Stück stirbt der Freund von Stefanie Reinspergers Figur. "Da hat man gesagt: 'Ich bin ins Meer gestürzt, und wollte meinem Freund folgen.' Nach zwei Jahren hat man gemerkt, dass die Leute nicht mehr lachen und man selbst auch ganz anders rangehen muss. Weil diese Bilder präsenter geworden sind. Bilder von ertrinkende Menschen waren damals noch ein bisschen weiter weg. Es war immer da, aber nicht so nah und präsent wie heute."

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Nicht nur in diesem Stück stand Reinsperger quasi nackt auf der Bühne. Und in jeder Rolle wieder tut sie es, als würde sie seit jeher nackt spielen. Aber so selbstbewusst war die Schauspielerin nicht immer—vor allem am Anfang habe sie sich das nicht getraut. "Das ist jetzt auch nichts, das ich als Erstes anbieten würde bei der Probe", sagt sie. Aber vor ein paar Jahren habe ihr in Düsseldorf der Regisseur von Lächerliche Finsternis erklärt, weshalb es interessant wäre, dass sie bei einem Stück am Ende nackt wäre—allerdings mit dem Hinweis, dass es ganz ihre Entscheidung sei. Zehn Vorstellungen lang habe sie sich nicht getraut. Bei der elften habe sie es dann getan, ohne jemandem davor Bescheid gesagt zu haben. "Ich hab es in der Sekunde entschieden: Jetzt zieh ich es durch. Danach war eine riesige Party im Schauspielhaus." Natürlich habe sie sich damit auch sehr angreifbar gemacht, aber die positiven Reaktionen seien toll gewesen.

Diese Verwundbarkeit ist für Reinsperger aber nicht nur an Nacktheit gebunden: Auf der Bühne sei man generell wahnsinnig angreifbar. Für die Zuschauer sei sie das sehr gerne, wie sie mir während der zweiten Melange erzählt, aber gleichzeitig würde man dadurch eben auch angreifbar für die Presse—was oft wirklich schwer sei und sie aus der Bahn werfe. Aber wenn man um 19:30 Uhr auf die Bühne gehe, vor die Menschen trete, die viel Geld für ihre Karten ausgegeben und sich extra Zeit genommen hätten, dann gibt man mehr als alles.

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Und genau in diesen Momenten, auf der Bühne, fühle sie sich dann viel wohler als im echten Le- ben. Da müsse sie nichts zurückhalten. Schauspieler wie Birgit Minichmayr oder Niki Ofczarek seien Schauspieler, die sehr weit gehen. "Die machen sich sehr sehr angreifbar durch ihr existienzielles Spiel. Um so etwas machen zu können, muss man, glaube ich, sehr gefestigt sein." 11 Wochen für Medea zu proben, die ihre Kinder umbringt, tue auch nur bedingt gut. Es gebe ein ganz tolles Zitat vom Tollsten im Theaterwesen wie sie ihn nennt, Konstantin Sergejewitsch Stanislawski: "Liebe die Kunst in dir, nicht dich in der Kunst." Viele "der Großen" würden heimgehen nach der Vorstellung. "Die sind danach fertig. Weil wenn man so arbeitet, dann ist man wundgescheuert."

Und Stefanie Reinsperger scheuert sich wund. Sie gibt auf der Bühne alles ("Hauptsache Arbeiten" sagt sie, als ich frage, was sie mit 65 machen möchte). Auf der Bühne kontrolliere sie gar nichts. Ein Schauspiellehrer von ihr habe einmal gesagt: "Auf der Bühne müssen wir Menschen ohne Haut sein." Damit jedes Staubkorn verletzen könne. "Wenn Menschen das sehen können, dann passiert auch bei ihnen was. Dann schnürt es ihnen die Kehle kurz zu oder sie fangen total an zu lachen", erklärt sie.

"Dass wir alle einen Poscher haben, wissen wir ja eh"

Umso weniger möchte Reinsperger im Alltag schauspielern. In der Pause liest sie stattdessen einfach ein Buch. "Aber natürlich: Wenn ich feiere, kann ich auch feiern. Dann bin ich laut und mach Rückwärtsrollen." Ich kann mir das sehr gut vorstellen und wäre gerne selbst dabei.

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"Dass wir alle einen Poscher haben, wissen wir ja eh", ergänzt sie. "Also Menschen generell. Das ist wahninnig sympathisch. Zumindest solange es nicht gefährlich wird." Manchmal stehe sie mit Kollegen in der U-Bahn und die Menschen um sie herum müssten genau das von ihnen denken. "Wir stehen manchmal in der U-Bahn und reden so Sachen wie: 'Das Blut heute war aber nicht so gut, wir brauchen da mehr Rote Beete, die war besser. Die muss man halt auswaschen.'"

Als Kind seien ihre Eltern mit den Kindern oft in den Park zum Spielen gefahren. "Wir haben dann Schneeweißchen und Rosenrot gespielt. Mein Vater war der Zwerg. Wir haben immer schon viel gespielt. Es war Alltag. Und wir haben gewusst: Wenn man etwas anderes sein möchte, dann kann man es durch eine Geschichte werden." Wahrscheinlich komme ihre Begeisterung für die Schauspielerei auch daher. Sie seien auch früher oft ins Theater, Musical und Ballett gegangen. "Ich weiß noch, da war ein Stück und ich war ganz klein, so dass meine Füße noch auf dem Sessel gelegen sind. Ich musste mich immer so strecken, damit ich was sehe und da hab ich gedacht: Ich will auch mal, dass sich Leute so nach mir strecken und sehen wollen, was ich mache."

Ob sie ab diesem Zeitpunkt gewusst habe, dass sie Schauspielerin werden möchte, frage ich. "Ich wusste, dass ich es versuchen will." Auf dem Weg gebe es halt einige Hürden: zuerst die Vorsprechen, dann die Schauspielschule und danach die Angst, dass man keinen Job bekommt. "Dann hast du endlich einen Job und bekommst Angst, dass du ihn nicht lange haben wirst. Dann hast du eine tolle Rolle und hast dafür Angst, dass du nie wieder so eine tolle Rolle bekommen wirst. Und dann triffst du großartige Kollegen und wenn sich die Wege trennen, hast du Angst, dass du nie wieder mit solchen Leuten arbeiten wirst. Ich lag regelmäßig in der Schauspielschule in der Toilette auf dem Boden, weil ich Angst hatte, keinen Job zu bekommen."

"Den Druck mache ich mir ja meistens selbst."

Es sei eben nicht so, dass der Beste, der Schnellste oder Klügste die Rolle bekommt. Man bekomme Rollen, weil man Glück hat, zu den Menschen passt oder gerade gebraucht wird. Stefanie Reinsperger ist bestimmt nicht nur aus Glück dort, wo sie jetzt ist—und auch nicht bloß, weil sie gerade gebraucht wurde. Doch als sie sich auf der Ernst-Busch-Schule in Berlin beworben habe und nicht genommen wurde, habe sie sich lange geschämt. "Ich hab gedacht: Ich bin nicht gut genug. Und ich habe mich richtig vor mir selbst geschämt. Den Druck mache ich mir ja meistens selbst."

Was, wenn sie nicht Schauspielerin geworden wäre? "Das möchte ich mir gar nicht ausmalen. Vielleicht was mit Kindern. Was Soziales. Mit denen würde ich dann aber natürlich die ganze Zeit irgendwelche Theaterstücke spielen."

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