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One of Many Possible Art Issues

Jack Kirby in the Valley

In seinem neuen Paradies lauerte das Chaos—wie in den fantastischen Szenarien seiner Arbeiten auch—direkt unter der Oberfläche.

Alle Scans mit freundlicher Genehmigung des Jack Kirby Museum’s Original Art Digital Archive, mit Unterstützung von Tom Kraft von What if Kirby. Alle Bilder sind Bleistift und Tusche auf Karton und alle Charaktere und Abbildungen sind geschützte Trademarks und © DC Entertainment. 

Als sich Jack Kirby 1969 in Südkalifornien niederließ, wurde er anfangs nachts von Hippie-Bikern wachgehalten, die um den Berg, auf dem sein, an eine Ranch erinnerndes Haus stand, ihre Runden drehten. Der Lärm machte Kirby, der sowieso eher empfindsame Nerven hatte, fast wahnsinnig—wir reden von einem Mann, dessen Frau, Roz, ihm verboten hatte Auto zu fahren, weil er zu leicht in Tagträume abglitt—und er litt Höllenqualen. Im Alter von 52 Jahren bewegte sich Kirby tiefer in das 20. Jahrhundert hinein, das ihn zugleich verstörte und inspirierte. Doch selbst in seinem neuen Paradies lauerte das Chaos—wie in den fantastischen Szenarien seiner Arbeiten auch—direkt unter der Oberfläche.

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Kirby war vor allem wegen des Asthmas seiner Tochter aus Long Island in den Westen gezogen, aber die neue Nähe zum amerikanischen Traum und Hollywood war ein erfreulicher Nebeneffekt. Von seiner Soldatenzeit während des Zweiten Weltkriegs abgesehen, hatte er sein komplettes Leben in und um New York herum verbracht. Er zeichnete seit 1936 Comics. Er wurde und wird zu Recht für seine Dynamik und seinen visuellen Erfindungsreichtum verehrt. Kirbys Zeichnungen haben die Art knisternder Energie, die wir mit den besten Comics verbinden—solche, in denen die Charaktere über die Seiten explodieren. Seine Fähigkeit, Kostüme, Städte und Welten zu erschaffen und zu gestalten, war einzigartig. Er war eine Ein-Mann-Erfindungsmaschine und hatte in den 60ern bereits an der Schaffung eines ganzen Universums von Charakteren—oder in der Branchensprache „Properties“—(die X-Men, die Fantastic Four, der unglaubliche Hulk, Iron Man und Thor waren alle von Kirby) für Marvel Comics mitgewirkt, die allesamt maximal kommerziell aus­geschlachtet wurden, ohne dass er davon über sein normales Seitengehalt und leere Versprechungen hinaus je etwas zu sehen bekam. Kirby war ein würdevoller Mann, der Verträge ernst nahm und als bindend empfand. Nur war es leider so, dass die Verträge, die man mit Comicfirmen schließen konnte, eher Forderungen waren—vor allem der Forderung, dass alles der Firma gehört, was der Künstler erschafft. Kirby beschwerte sich erst sehr viel später, als er es nicht mehr ertrug. Und Kirby war, was seine Fähigkeiten betraf, sicher nicht naiv. In einem Gespräch mit Mark Herbert sagte er 1969 einmal: „Ich fühle mich wie Gott, weil diese Dinge nach meinen Vorstellungen leben und sich bewegen. Gut oder schlecht, so kamen sie aus mir heraus. Ich kann sie sogar bestrafen, indem ich sie ausradiere, aber so wütend bin ich noch nicht auf sie. Ich bemühe mich, sie so perfekt wie möglich zu machen, und ich empfinde das als das Gleiche, das Gott mit uns macht“ (Nostalgia Journal 30-31, 1976).

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Ein Mann mit einer solchen Einstellung und einem so starken Sinn für Loyalität, und noch dazu einer Frau und drei Kindern, für die es zu sorgen gilt, würde es sicher nicht leicht haben. Er würde es sehr, sehr schwer haben. Kirby, der als Jude in Armut in der Lower East Side aufwuchs, war tatsächlich gottgleich in seinen Fähigkeiten. Er war eine Ein-Mann-Mythenmaschine und er wusste das. Aber was alles andere, alles Praktische betraf, war er machtlos. Und als dann die Verfilmungen entstanden und die Zeichentrickfilme ausgestrahlt wurden und andere Künstler seine Figuren zu steuern begannen, wurde Kirby wütend. Ihm blieb nur, seinen Hut zu nehmen.

Also trennte er sich 1970 von Marvel Comics und nahm einen Dreijahresvertrag bei DC Comics an, der ihm die (fast) komplette Kontrolle, wenn auch nicht das Eigentum an seinen Arbeiten, zu­sicherte. In Kalifornien begann er seine Produktion selbst zu übernehmen und schrieb, zeichnete und editierte verschiedene Titel, darunter seine grandiose Fourth-World-Saga, in deren vier Folgen—Superman’s PalJimmy OlsenThe Forever PeopleMister Miracle und New Gods—er einen neuen Pantheon sich bekriegender Götter erfand. Es war Kirbys Phase opernhafter, kosmischer Comics und es waren diese vier Titel, die sein Lebenswerk dauerhaft bestimmten und lange Schatten in die Vergangenheit und die Zukunft warfen. Dann brach DC die Serie nach nur drei Jahren ab, und bremste Kirby bei voller Kraft und Geschwindigkeit aus. Er hatte bereits mit der Arbeit an Nebenprojekten wieKamandi (1972) begonnen, nahm aber auch Aufträge in verschiedenen anderen Genres an, deren Begrenzungen ihn oft erdrückten. Vor allem der Krieg war ein Thema, das Kirby besonders lag, also entstand 1974 Our Fighting Forces. Beide Titel zeigten Kirby, obwohl sie nicht ganz so frei in ihren Formen waren wie Fourth World, auf dem Höhepunkt seines Schaffens, als schlauen und erfinderischen Freiberufler und einen Mann, der seinen Vorstellungen von der Welt oft gerade in den scheinbar banalsten Genres Ausdruck verlieh. Kamandi begann als eine Parodie auf Planet der Affen. DC war es nicht gelungen, die Lizenzen für die Filmadaption zu erwerben, darum baten sie Kirby, etwas zu schaffen, das ihnen ein Stück vom Kuchen des potenziellen Affen-Publikums sichern konnte. Er ließ also eine Idee, die bereits 1956 entstanden war, wieder auferstehen und machte sich an die Arbeit. Kamandi ist ein Junge, der ziellos durch eine postapokalyptische Welt irrt, die von einer Rasse menschenähnlicher Löwen bevölkert wird. Wie alles, was Kirby gemacht hat, ist die Geschichte voller Humanität und Dringlichkeit. Die sechste Ausgabe ist nicht nur die beste der Serie, sondern auch ein Höhepunkt von Kirbys gesamter Karriere. Kamandi und seine barbusige Hippiefreundin Flower werden bei einer Ausfahrt von Löwenbikern bedroht (während der gesamten 70er-Jahre brettern Biker durch Kirbys Comics und sind manchmal gut, manchmal böse, aber immer sehr laut). Die zwei müssen sich verstecken. Flower ist ein kurvenreiches Mädchen, das stark, schön und frei ist, wie alle der besten Frauen von Kirby. Unser Heldenpaar sucht in einem ausgebombten Vorstadthaus Zuflucht, wo Kamandi mit ernster Miene die ganze Nacht über an der Tür Wache hält, sogar als Flower ihn zu sich ruft. Während er das Haus bewacht, denkt der verwilderte Junge: „Wir scheinen hier alles zu haben, was wir brauchen. Ein Mensch könnte ewig hier verweilen, so lange er Nahrung und Obdach hat.“ Kirby war in der Armee Infanterist gewesen und diese Szene liest sich wie die Beschreibungen seiner Kriegserlebnisse aus zahlreichen Interviews: in den Ruinen eines Chateaus zu sitzen und zu warten, dass Hilfe kommt oder die andere Seite verliert. Ein Mann könnte unter einer Decke, mit der Waffe in der Hand, endlos ausharren, vermutete Kirby/Kamandi. Aber mit dem Morgen kommt auch ein neuer Angriff, und Flower, die zunächst gefangen genommen wird, befreit sich gerade noch rechtzeitig—sie wirft ihren schönen Körper vor eine Gewehrkugel, um ihren Geliebten durch ihren Tod zu retten. Kamandi trägt sie wortlos nach draußen, um zu trauern.

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Kirbys Welt war die der Dreigroschenromane, und so klingt auch diese Geschichte zunächst eher albern. Aber er grub tiefer und entdeckte die darunter liegenden psychischen Aspekte und arbeitete sie heraus. Für Kirby muss ein Mann, wenn nötig, sich verteidigen und kämpfen können, aber er zieht den Frieden vor. Es ist eine Abstraktion der fundamentalsten mythologischen Werte, die er auf wundersame Weise in Unterhaltung verwandelte. Kirby ist nicht didaktisch, kommuniziert seine Aussage aber dennoch sehr klar. Er wünscht sich von Vernunft geleitete Männlichkeit und Ver­antwortung, hat aber keine Angst zu lieben und zu trauern. Er ist kein Hippie und kein Spartaner des Kalten Kriegs, sondern eher eine Art Dreigroschenhumanist.  Man kann es auch so sehen: Kirby war ein Visionär, der von seinen lebhaften Erinnerungen an seine österreichisch-jüdische, nach Amerika emigrierte Mutter geprägt war, seine Familie während der schlimmsten Jahre der Depression mit seinen Zeichnungen über Wasser hielt, Captain America miterfand und dann während des Zweiten Weltkriegs auf dem europäischen Schlachtfeld kämpfte und tötete. Danach begann er, von seinem Haus in Long Island aus zu beobachten, wie das Jahrhundert an ihm vorbeizog. Er verstand, wie sehr sich die Dinge verändert hatten und dass er eine unvorstellbare Kluft überbrückt hatte. Das schlägt sich in seinen Arbeiten, besonders aus den 70er-Jahren, nieder. Er hatte ein paar popkulturell äußerst ertragreiche Jahre hinter sich und nun war es wieder Zeit, in den Holzschuppen und zu seinen Wurzeln aus den 40ern und 50ern zurückzukehren.

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Kirbys Partner haben häufig angemerkt, dass es, wenn Kirby ­zeichnete (wobei er von links nach rechts arbeitete und die Komposition einer Seite selten vorab plante), oft schien, als würde er eine in seinem Inneren bereits existierende Projektion zu Papier bringen. Kirby hat einmal gesagt: „Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass eine Zeichnung, wenn ich sie mit Bleistift skizziert habe, fertig ist. Das klingt vielleicht exzentrisch, aber so fühlt es sich für mich an—als würde ich das Bild, wenn ich es dann mit Tusche nachzeichne, ganz ohne Grund noch einmal zeichnen“ (Nostalgia Journal 30-31, 1976). Für Kirby war der ursprüngliche Akt des Zeichnens der Anfang und das Ende des kreativen Prozesses. Andere Künstler betrachteten die Tuschezeichnungen (denn nur diese konnten richtig fotografiert und so reproduziert werden) als das Endprodukt, aber nicht Kirby. Für einen Mann, der von einer Idee zur nächsten raste und in der Lage war, in einer Woche mehr als 20 Seiten zu zeichnen, wäre das „Nachzeichnen“ einer Seite eine Verschwendung wertvoller kreativer Energie gewesen. Und Kirby war einer der seltenen Künstler, die ohne Schwierigkeiten zwischen Vergangenheit und Zukunft hin- und herwechseln und beide in einer einzigen Zeichnung vereinen konnten. Eine Doppelseite aus Kamandi 8 ist die perfekte Verkörperung dieser Fähigkeit und von Kirby selbst: Ein imaginäres postapokalyptisches Museum, in dem das Lincoln Memorial in luftiger Höhe neben den Artefakten einer esoterischen neuen Zivilisation hängt. Und unter diesen ganzen Artefakten sind vor allem die bedeutungsvoll, die aus Kriegen stammen. Am Ende seiner Zeit bei DC Comics schuf er eine Geschichte namens The Losers für ein drittklassiges Comic mit dem Titel Our Fighting Forces. Das Faszinierende an The Losers, wie an allem, was Kirby geschrieben, gezeichnet und editiert hat, ist, dass es sich anfühlt, als sei es sein ­eigener Krieg. Anstelle von Helden und Patriotismus zeichnet Kirby eine Gang, die, wenn auch an sich schon interessant genug, vor allem dazu dient, die Handlung zu tragen und die Geschichten zu stützen. Kirby selbst wurde 1943 eingezogen und kam im August 1944, nur zehn Tage nach der Invasion in der Normandie, an, deren Folgen noch überall sichtbar waren, wie er sich später erinnerte: „All die Jungs, die bei der Landung umgekommen waren, lagen noch dort.“ Kirby sah und durchlebte schreckliche Ereignisse, darunter die Befreiung eines KZs. 30 Jahre später zeichnete er immer noch den Krieg und spann die Geschichten aus dieser Zeit weiter. Er mythologisiert sie dabei nicht. Und er moralisiert auch nicht. Die Losers sind ständig in Bewegung: Die nächste Aktion steht immer unmittelbar bevor, und Kirby unterbricht diese dauernde Vorwärtsbewegung bis zum Ende der Geschichte nicht. The Losers ist eine Geisterversion des Krieges, die Kirby in seiner Gedankenwelt entwickelte, als suche er nach einer Art, wirklich endgültig mit dem Zweiten Weltkrieg abzurechnen.

Es gibt nichts, das man am Krieg als ‚romantisch‘ bezeichnen könnte“, sagte er Ray Wyman (Jack Kirby Collector 27, 1999). „Ich denke, dass der Krieg uns kleiner macht, unser Charakter als Rasse nimmt mit jedem Krieg, den wir passieren lassen, Schaden. Dieses Land ist ständig im Krieg, es wurde im Krieg geschaffen. Und so wird es vielleicht auch enden.“ In der Ausgabe 156 von Our Fighting Forces beschwört Kirby das glamouröse New York der Kriegsjahre herauf und zeigt ein kunstvolles Festzelt und eine elegant gekleidete, lebhafte Partygesellschaft. Aber bei Kirby ist die Normalität immer in Gefahr: Als der Held in der Menge einen Nazispion entdeckt, explodiert die Handlung und die auseinandersprengende Menge und die Dramatik und Dynamik der Linien und Formen ist klassisch Kirby. Und wieder sind die Themen Heroismus und Erhabenheit—selbst im Chaos. Die 70er-Jahre waren gut zu Jack Kirby. In der Freiheit Kaliforniens gelang ihm ein neuer Anfang, und er erfand in rasender Geschwindigkeit Neues oder erfand Altes neu, indem er auf eine extrem erfolgreiche Art zwischen Welten und Zeitaltern wechselte—auf einer Höhe seines Könnens, die er so nicht wieder erreichen würde. 1975 kehrte er widerwillig für ein paar Jahre zu Marvel zurück, bevor er schließlich begann, beim Trickfilm zu arbeiten und sich teilweise aus dem Comicgeschäft zurückzog. Er lebte bis 1994. Seine letzten Jahre verbrachte er damit, die Huldigungen seiner Fans entgegenzunehmen. Aber das Heulen der Motorräder war ihm immer dicht auf den Fersen und Kirby bewahrte sich bis zum Ende seine Würde und setzte seine unausgesprochene Suche fort: „Ich bin jemand, der mit vielen Fragen lebt“, sagte er in dem 1987-er Dokumentarfilm The Masters of Comic Book Art. „Ich sage: ‚Was liegt da draußen?‘, und versuche die Frage zu lösen, aber es gelingt mir nicht. Wer hat die Antwort? Ich würde zu gern die endgültige Antwort hören. Aber das habe ich noch nicht und so lebe ich mit einer Menge Fragen und empfinde das als sehr unterhaltend. Und wenn ich morgen sterben würde, wäre mir das auch genug. Ich würde sagen: ‚Die Fragen sind toll gewesen.‘“

Eine erst halb nachgezeichnete Seite aus dem noch nicht erschienenen Band True Life Divorce 1, 1970. Diese Seite zeigt sehr gut, mit welcher Genauigkeit Kirby seine Skizzen ausformulierte, bevor er sie an den Tuschezeichner weitergab.