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Populismus

Wie uns die Worte von Politikern manipulieren

Spätestens seit Norbert Hofer wissen wir alle, dass NLP existiert. Reizworte und subversive Aussagen sind in politischen TV-Duellen gang und gäbe. Wir haben mit einer Expertin über diese Methoden gesprochen.
Screenshot via Puls4.

Donald Trump hat es im Präsidentenwahlkampf geschafft, seiner Kontrahentin Hillary Clinton kriminelle Eigenschaften zuzuschreiben und sie so – zumindest in der Vorstellung seiner Anhänger – als Mitbegründerin der Terrormiliz IS zu brandmarken. Auf seinen Wahlveranstaltungen war als Folge immer wieder zu hören, wie die Massen "Crooked Hillary" und "Lock her up" riefen. Auch die Bezeichnung "Mother of Isis" hat sich nach wiederholten Attacken auf seine politische Gegnerin etabliert und wurde von Trump-Unterstützern zigfach im Netz verbreitet.

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Aber man muss nicht zwingend nach Amerika schauen, um ähnliche Prozesse zu finden, die die Denkweisen von Teilen der Gesellschaft prägen: Die Burka wurde mit schätzungsweise 150 bis 200 Trägerinnen in Österreich ebenso zum Thema hochstilisiert wie das Kopftuch, Handybesitz von geflohenen Menschen und Terrorgefahr. Etwas älteres Beispiel hingegen wäre da noch Karl Heinz Grassers "Nulldefizit-Dogma" Anfang der 2000er, das einen ausgeglichenen Staatshaushalt als oberstes Ziel ausgegeben hatte. Die Gemeinsamkeit: Die Massen zogen mit.

Innerhalb der Politikwissenschaft gibt es die Diskursanalyse, die von Michel Foucault geprägt wurde und sich mit politischer Sprache beschäftigt, dabei den Worten Macht zuschreibt und eine Methodik verortet. Im Sinne der Rhetorik achtet man auf Betonung, effektvolle Sprachpausen, verwendete Begriffe und auf Rolleneinnahme und -zuschreibungen. Die Methode eignet sich gut, ein Streitgespräch zwischen konkurrierenden Politikern zu analysieren und beschäftigt sich auch damit, wie gezielt politische Meinungsstreuung zum dominanten Diskurs wird, der keine andere Perspektive mehr zulässt. Kurz: Warum wir etwas glauben, es verteidigen, und wie das Ganze funktioniert.

"Die Prozesse werden verschleiert und der Inhalt als normal dargestellt. Aber es gibt nichts, das normal ist. Alles ist sozial konstruiert."

Mi-Cha Flubacher arbeitet am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien und verweist bei dieser Frage auf das Mittel der ständigen Wiederholung: "Politiker benutzen Schlagworte, die immer wieder erwähnt werden. Mit der Zeit brennt es sich in die Köpfe der Menschen ein und wird zum einzigen Wort, das der Sache gerecht zu werden scheint", sagt sie im Gespräch mit VICE. Es sind diese Normalisierungsprozesse, mit denen sich Flubacher und ihre Kollegen aus kritischer Perspektive heraus befassen. "Die Prozesse werden verschleiert und der Inhalt als normal dargestellt. Aber es gibt nichts, das normal ist. Alles ist sozial konstruiert."

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Auch in der Flüchtlingsthematik finden sich zahlreiche Beispiele für den Entwicklungsprozess von politischer Agenda, die langsam in die Gesellschaft eingegossen wird. Begriffe wie "Willkommensklatscher", "Gutmensch" und "Refugees Welcome" haben sich quasi verselbstständigt und mit Ideen und Bildern aufgeladen. Während die beiden erstgenannten Begriffe trotz ihrer positiven Grundausrichtung "Willkommen und Klatschen" oder auch "gut" negativ verwendet werden, drückt "Refugees Welcome" eine andere gesellschaftliche Einstellung aus, die sich vom restlichen Negativdiskurs abgrenzt.

"Liest man es rein textuell, wären Willkommensklatscher und Gutmenschen prinzipiell nicht negativ konnotiert. Aber wenn der Kontext stets negativ geprägt ist, wird das Wort plötzlich auch negativ", sagt Flubacher und nimmt hierbei Medien in die Pflicht. "Wenn der Boulevard politische Agenden fährt, die mit Auflagenstärke zusammenhängen, und skandalöse Titel produziert, dann werden bestimmte Bilder verstärkt."

"Im Wahlkampf sieht man das besonders gut. Leute nehmen ungefiltert Falschmeldungen auf."

Auf Nachfrage erklärt die Sprachexpertin, wie man in der Theorie eine solche Agenda starten könne. Der erste Schritt beinhaltet das Aufbrechen eines scheinbaren Tabuthemas. Sätze wie, "es redet ja niemand darüber, aber…" suggerieren, dass ein Politiker Klartext spricht. Die nächsten Punkte sind eine stetige Erinnerung an das gewählte Thema, gegebenenfalls mit neuen Geschichten untermauert. "Im Wahlkampf sieht man das besonders gut. Leute nehmen ungefiltert Falschmeldungen auf. So wurde von Trump behauptet, Obama sei gar nicht in den USA geboren. Da kann der Ex-Präsident noch so oft seine Geburtsurkunde zeigen, in den Köpfen der Leute ist es bereits drinnen. Normalisierung, Assoziationen, Andeutungen und ständiges Wiederholen sind die Mittel dazu", sagt Flubacher.

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Wer denkt, es gäbe bloß Rechtspopulisten, die sich einer Mechanik der Massenmanipulation mittels Stilmitteln bedienen, der irrt. Der ehemalige und linke griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat die Bezeichnung "fiskalisches Waterboarding" rund um die Debatte der rigorosen EU-Sparpolitik eingeworfen. Waterboarding ist als Begriff nach 9/11 als CIA-Verhörmethode aufgetaucht und wird heutzutage noch stark mit dem Gefangenenlager Guantanamo assoziiert. Bei diesen beiden Begriffen wirkt jene Systematik, die Flubacher vorher erklärt hat. "Im ersten Moment fragt man sich, was Varoufakis damit meint. Nach regelmäßiger Wiederholung sickert es jedoch langsam ein und kennzeichnet die Finanzpolitik der EU als Foltermethode, die dem Volk aufgezwungen wird."

Eine fortgeschrittene Variante der sprachlichen Politmanipulation findet sich bei FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache wieder: "Und schon wieder wird auf dem Rücken unserer Kinder versucht, christliche Feste aus unseren Kindergärten zu verbannen. Wir sind ein christliches Land und wollen unsere christlichen Bräuche auch in Zukunft leben. Wir lassen uns Osterfest, Martinsfest, Nikolo und Christkind sicher nicht verbieten!"

"Und schon wieder wird auf dem Rücken unserer Kinder versucht, christliche Feste aus unseren Kindergärten zu verbannen."

So lautete eine Statusmeldung des Oppositionsführers auf Facebook vom 26. März dieses Jahres. Der Artikel eines österreichischen Boulevardblattes, auf den er Bezug nahm, warf die Frage auf, ob der Osterhase aus den Kindergärten verbannt wird. Hier wird in einem sich jährlich wiederholendem Diskurs über Islam, Christentum und religiöse Feiertage ganz clever, wie es Flubacher nennt, ein "Wir-gegen-sie-Gefühl" vermittelt, ohne spezifisch auf den Islam einzugehen. Die Wissenschafterin nennt es Stellvertreterdebatten, bei denen der "Gegner nicht beim Namen genannt wird, aber mitschwingt."

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Diese sprachliche Meisterleistung funktioniert allerdings nur gut in einem System, in dem der Diskurs schon länger vorherrscht und über Monate, wenn nicht Jahre hinweg, aufbereitet wurde. Nur dann wirkt eine Assoziierungsstärke, ohne dass der Sprecher viel sagen muss. In diesem Fall handelt es sich um das gefährdete Abendland versus drohende Islamisierung. Insbesondere ist die Erschaffung von zwei Fronten ein beispielgebendes und tragendes Element, startet man eine Kampagne pro oder contra zu einem Thema.

"Zu Beginn kommt immer die Gruppenpsychologie ins Spiel. Das konnte man gut bei Populisten in den USA oder Frankreich erkennen. Chantal Mouffe, eine belgische Professorin für Politische Theorie an der University of Westminster in London, die auch den französischen Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon im Wahlkampf beraten hat, versucht als interessantes Gegenbeispiel aber einen linken Populismus zu konstruieren, der auf französische Werte wie Gleichheit setzt und andere nicht minder darstellen versucht. Quasi ein positives Wir", wirft Flubacher ein.

Abschließend erklärt die Expertin, wie man sich vor Politiker-Vereinnahmung und Manipulation schützen kann. Flubacher spricht von neuen Medienkompetenzen, die man sich aneignen sollte, einem Schulunterricht, der den Umgang mit dem Internet thematisiert und erklärt, wo man im Notfall Rat bekommt.

"Als Empfänger politischer Aussagen kann man hinterfragen, was das Gehörte oder Gelesene in einem selbst auslöst. Man kann das Gespräch suchen, denn es gibt nicht nur eine Wahrheit. Leute müssen wissen, wohin sie sich wenden können, um etwas zu prüfen oder zu melden. Manche ‚'digital natives' wissen das vielleicht bereits, Erwachsene jedoch, die eher die heutigen 'digital migrants' sind, wissen das noch nicht."

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