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Stadtleben

Geht Wiens Stadtplanung gerade gezielt gegen Obdachlose vor?

Oder will sie doch nur alten Menschen helfen? Immer mehr Sitzbänke mit Abtrenn-Lehnen werfen diese Frage jetzt wieder auf.

Wem gehört der öffentliche Raum? Die Frage ist nicht ganz so einfach zu beantworten. In Städten gehört ein Großteil davon vor allem Autos und ihren Fahrern.

Der schwedische Zeichner Karl Jilg hat das mit einer Illustration sehr anschaulich gezeigt, indem er Fahrbahnen durch Schluchten ersetzt hat – und damit auch darauf aufmerksam gemacht, mit wie wenig Platz Fußgeher auskommen müssen.

Wer es in der Regel noch weit schwieriger hat als Passanten im Straßenverkehr, sind Obdachlose – und zwar in jedem Bereich des öffentlichen Lebens, von sozialer Akzeptanz ihrer Mitmenschen bis hin zur Stadtplanung und öffentlichen Raumgestaltung.

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Bereits 2014 haben wir über das Lüftungsgitter bei einer Wiener Billa-Filiale nahe des Karlsplatzes berichtet, das im Winter Obdachlose davon abhält, sich an der warmen Abluft zu wärmen (auch wenn das laut dem Unternehmen nicht der Grund für die Einrichtung des Gitters gewesen sein soll). Und auch seither flammen immer wieder ähnliche Diskussionen anhand ähnlicher Beispiele auf.

Zwei Vorwürfe scheinen dabei besonders häufig zu sein: Zum einen das Fehlen von Sitzgelegenheiten, besonders auf Einkaufsstraßen – schnell wird hier die Vermutung geäußert, umliegende Cafés hätten bei solchen Fällen Einfluss auf die Planung gehabt, damit in ihren Lokalen mehr konsumiert wird. Und zum anderen die bewusste Verdrängung von Obdachlosen und anderen Randgruppen – vor allem durch zu kurze oder unterteilte Bänke, die es unmöglich machen, auf ihnen zu schlafen.


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Aber wie berechtigt sind diese Vorwürfe? Und wer entscheidet überhaupt, wo, wann und welche Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum angebracht werden? Wir haben bei der Wiener MA 18 für Stadtplanung, den Wiener Linien und einem Landschaftsplaner nachgefragt.

Bei der MA 18 erklärt man uns, dass es wichtig sei, eine Balance zwischen verschiedenen Gruppen, die ja auch verschiedene Bedürfnisse hätten, zu halten: Die Stadt sei für alle da und so würden Plätze auch geplant. Auch Raum für potentielle Schlafplätze und Rückzugsmöglichkeiten würde hier bewusst geschaffen.

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Solche Einrichtungen sind oft etwas abseits gelegen und auf größeren Plätzen angesiedelt, wo es Ausweichmöglichkeiten gibt – für Passanten, wohlgemerkt. Ein Ziel der Planung sei es nämlich auch, "die komplexen subjektiven (Un-)Sichereitsgefühle bestmöglichst [zu] berücksichtigen", wie man uns in der Stadtplanungsabteilung erklärt: "Wenn sich andere gar nicht mehr in einen Park trauen und beginnen, den öffentlichen Raum zu meiden, dann ist die integrative Planung gefragt", meint Udo Häberlin, der mit uns im Namen der MA 18 gesprochen hat.

Von einem Versagen will man hier jedenfalls nicht sprechen. Das Ziel sei es auch nicht, Randgruppen ganz zu vertreiben – so würde sich das Problem letztendlich nur in andere, eventuell sozial weniger verträglichere Räume verlagern.

"Planung kann unterstützend wirken, indem sie genügend Raum für unterschiedliche Nutzungsgruppen einplant, damit marginalisierte Gruppen und andere NutzerInnen [Jugendliche, Eltern mit kleinen Kindern, alte Menschen…] in friedvollem Nebeneinander den öffentlichen Raum bevölkern." – Aus den offiziellen Bericht der MA 18

Es stimme jedoch, dass an bestimmten Orten versucht werde, die "Aufenthaltsqualität aufzuteilen" – also auch einmal zu kurze, unterteilte oder weniger Bänke einzuplanen. "Wir versuchen das Raumsetting so zu gestalten, dass wenn sich Treffpunkte für zu große Gruppen bilden, andere PassantInnen eine Ausweichmöglichkeiten haben. Manche wollen nicht mit bestimmten Menschen konfrontiert werden. Oft fühlen sie sich bereits durch ihre bloße Sichtbarkeit belästigt."

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So seien manche Passanten durch große Ansammlungen von beispielsweise Suchtkranken stark verunsichert. Diese Verunsicherung schade letztendlich allen. Anrainer würden sich in ihrer Wohngegend nicht mehr sicher fühlen und die Polizei rufen oder im Bezirk Druck machen, dass die Sitzgelegenheiten entfernt werden.

"Es kam öfters vor, dass sorgfältig geplante Objekte nach kurzer Zeit wieder abmontiert wurden, weil Einzelne so sich so laut beschwerten. Die, die auf die Schlafplätze angewiesen sind, bekommen in solchen Fällen leider meist keine Stimme, auch wenn sie eine Entfernung am meisten betrifft. Deswegen versuchen wir von vorne herein, solche Situationen durch gute Planung zu vermeiden. So ist allen besser geholfen", erklärt der Sprecher der MA 18.

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Auch die Vorwürfe, keine konsumfreien Räume zu schaffen, weist die Stadtplanung entschieden zurück. Gerade bei Neuplanungen achte man darauf, möglichst vielfältige konsumfreie Flächen zu schaffen. Das Fehlen von Bänken in manchen Abschnitten habe nichts mit dem Einfluss von umliegenden Cafés zu tun, sondern mit Sicherheitsbestimmungen. Notwendige Feuerwehrzufahrten beispielsweise.

Die Pressesprecherin der Wiener Linien erklärt uns ebenfalls, dass die Planung unterteilter Sitzgelegenheiten andere Gründe habe. Die oberste Priorität liege darin, eine gute Umgebung für die Kunden zu schaffen und diese hätten mehr Einzelsitze gefordert. Gerade ältere Menschen würden vermehrt Öffis nutzen – Unterteilungen durch Armlehnen seien wichtige Aufstehhilfen für sie. Außerdem habe sich gezeigt, dass unterteile Sitze viel eher vollständig genutzt werden, weil kleine private Räume mit Abstand geschaffen werden.

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Wie diese Erklärung zum Beispiel die Planung der Bänke bei der U4 Station Längenfeldgasse rechtfertigt, bleibt aber fragwürdig.

Aber realistisch betrachtet, brauchen die Wiener Linien und auch öffentliche Plätze (wie das MQ) oder Bahnhöfe (wie der Hauptbahnhof) und Touristenziele (wie der Stephansplatz) gar nicht erst andere Sitzflächen zu planen, um Obdachlose fernzuhalten. Sicherheitsleute und Überwachungskameras finden auch so schnell jeden, der doch eine geeignete Bank entdeckt oder sich mit dem Boden begnügt hat, und schicken so alle, die nicht gesehen werden sollen, weg.

Auch Ferdinand Koller von der Wiener Bettellobby meint, dass man immer wieder von Stadtplanern höre, es sei ein internationaler Trend, neue Plätze so zu gestalten, dass sie für Randgruppen nicht mehr gemütlich sind. Auch Mülleimer würden immer öfter so gestaltet, dass Obdachlose nicht mehr darin wühlen können. Angeblich aus "Sicherheitsgründen". In Wien wisse er aber nicht von solchen Beispielen.

Hier wollen einige Menschen Obdachlose offenbar doch nicht so gerne sehen und sorgen dafür, dass sie ihnen fernbleiben.

Vorgaben, wie beispielsweise notwendige Feuerwehrzufahrten, seien oft der Grund, wo und wie Sitzplätze geplant werden können. Trotzdem ist es auffällig, an welchen Stellen sich viele lange Bänke finden und wo sie unterteilt werden – oder wo sie eine Spur zu kurz sind, um darauf zu schlafen. Gerade auf Einkaufsstraßen, vor Einkaufscentern (wie zum Beispiel der Lugner City) und an touristischen Orten scheinen solche Modelle besonders gerne ihren Platz zu finden. Hier wollen einige Menschen Obdachlose offenbar doch nicht so gerne sehen und sorgen dafür, dass sie ihnen fern bleiben.

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"Ein Fehlen auf Einkaufsstraßen hat oft mit der ehemaligen Raumaufteilung zu tun", heißt es aus der Magistratsabteilung für Stadtplanung. Und weiter: "Neue Umgestaltungen zeigen eine Transformation hin zu mehr Aufenthalsqualität." Gemeint sind damit Orte wie die Ottakringer Straße, die Meidlinger Hauptstraße oder auch die Mariahilfer Straße.

Dass besonders neuerrichtete Gebäude und Plätze Obdachlose eher ausblenden – sowohl am Reißbrett, als auch in der Realität –, kann man im öffentlichen Raum immer wieder beobachten. Trotzdem wird in Wien keineswegs so gezielt gegen Drogennutzer, Bettler oder Obdachlose vorgegangen, wie es etwa in anderen Ländern der Fall ist.

Die Verdrängung dieser Randgruppen geht bei uns eher von den Anrainern und Geschäftsbesitzern aus, die die bloße Anwesenheit von Menschen, die auf der Straße schlafen, leider oft als Bedrohung oder zumindest als Störung wahrnehmen. Es ist eine sehr österreichische Situation: Niemand will selbst Schuld sein, aber jeder kennt jemand anders, den die Obdachlosen stören würden.

So bleibt Stadtplanern oft nur ein Kompromiss übrig: Keine Bänke oder unterteilte. Das Problem liegt hier nicht allein bei der öffentlichen Planung, sondern vielmehr an der Tatsache, dass man in Wien die Realitäten einer Großstadt immer noch am liebsten aus dem Blickfeld verbannen möchte. Stadtplanung ist sicherlich eine Möglichkeit, gegen kleinbürgerliche Ansprüche in der Großstadt vorzugehen. Aber solange es nicht unsere Priorität ist, die Probleme sozialer Randgruppen zu lösen, sondern wir sie nur aus der Wahrnehmung verbannen wollen, habe wir noch einen langen Weg vor uns.

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