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KPÖ

Was die Kommunisten in Graz so erfolgreich macht

Bei der Grazer Gemeinderatswahl 2012 landete die Kommunistische Partei Österreichs auf Platz 2 - deutlich vor SPÖ und FPÖ. Die Geschichte des Phänomens KPÖ Graz.

Update 5.2.2017: Die KPÖ bleibt bei der Gemeinderatswahl 2017 zweitstärkste Kraft.

"Grüß Gott", sagt die rund 70-jährige, adrett gekleidete Dame, "ich bin das erste Mal hier. Man hat mir gesagt, bei Ihnen wird mir geholfen." Alfred Strutzenberger, Büroleiter und "KPÖ-Mietrechtsexperte", bietet der Dame einen Platz an und zückt eine neue Karteikarte: "Wo wohnen Sie?". Nach einem Jahr Wartezeit auf eine Wohnung sei sie vor kurzem von einer kleinen Gemeinde an der südsteirischen Grenze in einen Grazer Außenbezirk gezogen. "Aber das ist das totale Chaos. Kein Keller, kein Balkon, keine Übergabe, kein Protokoll. Kann man beim Preis nichts machen?", fragt sie.

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Strutzenberger schaut sich Wohnung, Baujahr, Lage und Vermieter genau an: "In Zukunft wird die Miete noch mehr steigen – und zwar ordentlich. Des wissen'S eh?" - "Des wird mit meiner Pension, 1.000 Euro, aber dann schon sehr knapp." - "So eine Miete ist für jeden knapp", sagt Strutzenberger und zählt mehrere Verbesserungsmöglichkeiten auf, ehe sich die Dame bedankt und in Richtung der vielen gesetzlichen Regelungen sagt: "Als normal denkender Mensch versteht ma des alles ja überhaupt nicht." Deshalb ist sie hier, im Büro der kommunistischen Vize-Bürgermeisterin Elke Kahr.

Elke Kahr, Vize-Bürgermeisterin, Wohnstadträtin und Spitzenkandidatin der KPÖ Graz. Foto: KPÖ Graz

Im Vorraum liegen Formulare der Pensionsversicherungsanstalt, Gebietskrankenkassa und der Stadt Graz sowie der beliebte KPÖ-Sozialratgeber, der auf 100 Seiten alle Infos und Adressen im sozialen Bereich zusammenfasst – von der Fachstelle für sexualisierte Gewalt über ärztliche Behandlung für Menschen ohne Sozialversicherung bis hin zum "Mittagstisch für SeniorInnen". Daneben telefoniert die Sekretärin – es geht offenbar um eine defekte Waschmaschine: "Da können wir schon 150 Euro dazuzahlen. Aber wissen'S eh, die Frau Kahr bezahlt das mit Ihrem privaten Geld. Und da hamma erst wieder im Februar Kontingent dafür."

Das ist Politik, wie die KPÖ sie versteht. "Helfen statt Reden" steht auf den Plakaten. Die Telefonnummer von Elke Kahr findet sich in jeder Ausgabe der KPÖ-Zeitung. Der "Mieternotruf" für "Beratung und Hilfe in allen Wohnungsangelegenheiten" ist auch außerhalb der Arbeitszeiten besetzt und seit 20 Jahren eine Grazer Institution. "Die KPÖ soll eine nützliche Partei sein", sagt Elke Kahr. "Die KPÖ ist eine Partei für das tägliche Leben". Im Büro der Vizebürgermeisterin sind alle willkommen – auch jene, die sich keine teure Kleidung leisten können und in Jogging-Hosen kommen. "Die trauen sich bei keiner anderen öffentlichen Stelle um Hilfe zu bitten."

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Screenshot via graz.at

Heinz Peter Wassermann, Lehrender am Institut für Journalismus und PR an der FH Joanneum und wissenschaftlicher Beobachter der steirischen Politik, hält diese oft unter "Caritaspolitik" betitelte Form der KPÖ-Arbeit entscheidend für den Erfolg: "Die Grazer KPÖ hat nicht nur ein Bewusstsein für Probleme, sondern ihr wird auch die Kompetenz zugeschrieben, sie zu lösen. Sie verknüpfen eine gnadenlose Single-Issue-Position mit den Köpfen der Partei, die nicht oft wechseln."

Diesen Erfolg könne man aber auch durchaus kritisch sehen. "Die KPÖ ist dabei, den Sozialstaat zu privatisieren", meint Wassermann, und erklärt: Soziale Leistungen werden in Österreich traditionell nach gesetzlich festgelegten Regeln vergeben.Darüber hinaus gibt es in Österreich einen fast schon in die kollektive DNA eingeschriebenen „Sozialgarantismus". Das bedeutet, die Menschen glauben, Anspruch auf einen Vollkaskostaat, der ihnen alle Risiken abnimmt, zu haben. Dieser erzeugt aber nunmal einen Haufen Bürokratie. 
Weil alle KPÖ-Mandatare auf den Großteil ihres Gehalts verzichten, hat die Partei Mittel, um das Geld direkt an sozial Bedürftige auszuzahlen. Und die Vizebürgermeisterin lebt von 1.900 Euro pro Monat, statt von über 10.000 Euro.

"Die KPÖ ist in der angenehmen Lage, permanent gute Nachrichten zu produzieren", meint Wassermann. "Sie ist medial Everybody's Darling." Nicht einmal die Krone würde sich trauen, die Kommunisten wirklich zu watschen. Das soziale Engagement mache die KPÖ nicht nur weitgehend gegen Kritik immun, sondern strahle auch weit in andere, bürgerliche Milieus rein.

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Der KPÖ-Klub ist der einzige Gemeinderats-Klub, der nicht im Rathaus, sondern im "Rathaus-Hofgebäude" untergebracht ist. Foto: Christoph Schattleitner | VICE Media

Im Bereich der Selbstständigen ist die KPÖ vor der ÖVP stärkste Partei, wie die SORA-Wahltagsbefragung der Gemeinderatswahl 2012 zeigt. Unternehmer, die Kommunisten wählen? Das überrascht Elke Kahr nicht: "Denen geht's doch auch dreckig. Die vielen selbstständigen Künstler zum Beispiel brauchen dringend Hilfe." Auf kommunaler Ebene will die Marxistin nicht mit Begriffen wie "Proletariat" (Arbeiterklasse) und "Bourgeoisie" (Bürgertum) hantieren. "Ich sehe nur, wem es schlecht geht." Mit der Ideologie scheint die Grazer KPÖ grundsätzlich eher realpolitisch umzugehen. Mit Plakaten wie "Fürchtet euch nicht" und der Sozialarbeit dürften die KPÖ bei bürgerlichen "Herz-Jesu-Marxisten" gepunktet haben, glaubt Wassermann. "Mir sind überzeugte Christlichsoziale lieber als linke Kaffeehaustrinker", sagt auch Elke Kahr. "Religion ist Opium des Volkes", sagte Karl Marx.

Der pragmatische Umgang mit der Ideologie ist ein wichtiger Grund für den Erfolg, glaubt eine Person, die bei der KPÖ mal eine Position in vorderer Reihe inne hatte. Schon öfter wurde sogar über die Umbenennung des "K" in KPÖ nachgedacht. Dieser Zugang verstimme in der Partei aber auch einige, so die Person zu VICE. Sie werfen der Führung vor: "Die KPÖ ist im kapitalistischen System angekommen. Anstatt die Ursachen zu bekämpfen, hält sie die Symptome des Kapitalismus klein, indem sie eingreifen, wo der Sozialstaats zu kurz kommt."

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"Wir wollen nicht überheblich sein, sondern mit Pensionisten auch einfach mal nur Karten spielen."

Ist die KPÖ nun eine soziale NGO oder eine politische Partei mit gesamtgesellschaftlichem Weltbild? Hanno Wisiak, der vom Kommunistischen StudentInnenverband (KSV) kommt und nun in der Grazer Lokalpoltitik tätig ist, kennt diese Frage gut. 600 Initiativen hätte die KPÖ in dieser Legislaturperiode eingebracht, erklärt er – und zwar "nicht nur zum Thema Wohnen". Bei vielen ideologischen Themen sei man einfach kommunalpolitisch nicht zuständig, bei anderen wie dem Bau des Murkraftwerk streite man sehr wohl inhaltlich mit anderen Parteien.

"Im 98er-Jahr sind Ernest Kaltenegger und ich 6 Monate lang auf der Straße gestanden und haben Wahlwerbung gemacht", sagt diese Frau. Foto: Christoph Schattleitner | VICE Media

Der eigentliche Versuch bestehe aber darin, Druck von unten aufzubauen. "Wir wollen nicht wie andere linke Bewegungen nach dem Top-Down-Prinzip vorgehen. Wir wollen nicht überheblich sein, sondern mit Pensionisten auch einfach mal nur Karten spielen." Wisiak will die Erwartungshaltung an "Arbeiter" beziehungsweise Linke grundsätzlich relativieren. "Auf der Straße unterschreibt die beispielhafte Helga sofort unser Begehren für die Wohnbeihilfe. Sie weiß am eigenen Leib, warum es öffentlichen Wohnraum braucht. Aber beim Binnen-I steigt sie aus. Warum muss man hier das Trennende vor das Gemeinsame stellen? Warum mit der überheblichen Moral-Keule kommen?"

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Ähnlich geht die KPÖ übrigens mit der FPÖ um. Obwohl die Konzepte der Parteien "diametral gegenüberstehen", will sich Kahr nur sachlich mit der FPÖ befassen. Im Wahlkampf macht die Grazer FPÖ Stimmung gegen "Ausländer im Gemeindebau". Kahr sagt dazu nur: "Wir haben in Graz die Wohnungsvergabe entpolitisiert. Eine strenge Richtlinie sorgt für Objektivität. In 18 Jahren gab es bei der Vergabe keinen Einspruch – auch nicht von der FPÖ."

Trotz des unterschiedlichen Weltbilds gibt es beachtliche Überschneidungen von KPÖ und FPÖ. "In den Bezirken, wo die KPÖ stark ist, ist die FPÖ schwach", sagt Büroleiter Strutzenberger. Diesen Trend deckt auch die SORA-Wählerstromanalyse von der letzten Gemeinderatswahl. Bei der steirischen Landtagswahl 2005 wanderten sogar 8.000 Stimmen von der FPÖ zur KPÖ (und 2010 wieder 9.000 KPÖ-Wähler zur FPÖ). So absurd das im ersten Moment vielleicht auch klingt – es sieht schon ein bisschen danach aus, als wären die Kommunisten für Protestwähler eine Alternative zu Rechtspopulisten geworden.

Foto: Christoph Schattleitner | VICE Media

Inhaltlich gibt es wohl kaum Schnittmengen zwischen KPÖ und FPÖ. Beide Parteien unterscheiden sich aber von den anderen politischen Bewegungen Österreichs durch ihr anderes Verständnis von Politik. Im Fall der KPÖ heißt das, dass sie Dinge machen, die andere Parteien nicht machen – etwa die Sozialarbeit oder der Gehaltsverzicht. Zudem machen die Kommunisten manche Dinge bewusst nicht, die andere Parteien sehr wohl tun.

So verzichtet die KPÖ bewusst auf "Seitenblicke-Berichterstattung". KPÖ-Politiker sollen nicht lächelnd Eröffnungsbänder durchschneiden oder große Sonntagsreden mit unrealistischen Ankündigungen halten. "Meine Chefin stellt sich bei öffentlichen Veranstaltungen lieber in die letzte Reihe und redet mit den Leuten", sagt Strutzenberger. Man wolle die eigene Glaubwürdigkeit nicht für diese Art von Berichterstattung aufs Spiel setzen. "Und zu uns kommt keiner, der Geld oder Karriere machen will", ergänzt Strutzenberger. Sozialarbeit an der Basis, Glaubwürdigkeit durch Selbstverzicht sowie Mundpropaganda und eine Parteizeitung: Offensichtlich auch ein Rezept, um zweitstärkste Partei zu werden.

Christoph auf Twitter: @Schattleitner