SVP Feier mit älteren Männern und Schweizerfahne
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Die Chefs der Schweiz haben dem Land ihre Eier gezeigt

Wir waren am offiziellen Abstimmungsbrunch der SVP und schauten, von Freundlichkeit eingesäuselt, in das Herz der Dunkelheit.
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Text: Benjamin von Wyl

Wir vom „internationalen Jugendmagazin VICE" (so hatten wir uns angekündigt) waren am offiziellen SVP-Brunch. Wir wurden herzlich begrüsst. Wir wurden in Freundlichkeit ertränkt. Braun angehauchte Freaks wie Ulrich Schlüer oder Christoph Mörgeli suchten wir vergeblich.

Rassistische Voten? Fehlanzeige: „Und ich will kein einziges Wort sagen gegen die, die schon hier sind." (Zitat: Nationalrat & Toupetträger Luzi Stamm) Hetze gegen die EU? Fehlanzeige: „Die EU ist keine Diktatur. Das sind unsere Freunde. Und weil wir Freunde sind, können wir mit der EU an einen Tisch sitzen und ihr unsere Bedürfnisse mitteilen." ( Zitat: Luzi Stamm) Wir trafen nette Bauern, nette Mütter und nette Unternehmer. Alles unterlegt von den Heimat- und Boney M-Covers der „Seeland-Spatzen".

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Die Freundlichkeit hörte in den politischen Gesprächen nicht auf: „Sie wollen auswandern, wenn die Initiative angenommen wird? Schön, endlich mal jemanden mit einer klaren Haltung zu treffen." (Martin Schlup, Grossrat BE) Dem SVP-Unternehmer Peter Gaus konnten wir zu fast jedem Thema parteifeindliche Sprüche entlocken: „Dumpingkontrollen auf Baustellen? Da bin ich sicher dafür." „Ja, diese Anti-Abtreibungsinitiative ist heuchlerisch, die finde ich ganz schlimm." „Blocher hat hintergründig schon als Diktator gewirkt. Nur merkt er nicht, dass seine Zeit vorbei ist."

Von der Freundlichkeit erlöst hat uns der SVP-Lokalmatador Markus Büchi. Zwar sagte jener in seiner Ansprache auch verwirrende Dinge wie „Ich kann mir schon vorstellen, dass jemand von euch falsch abgestimmt hat, aber hoffen wir es nicht."

Sehr bald machte er klar, wer in diesem Land sagt, wo es langgeht: „Ab heute werden die Chefs im Land wieder bestimmen. Und wer ist der Chef? Der Bürger. Ich kann nicht alle aufzählen, es sind etwa 90." Die Chefs sind Bürger; die Bürger sind die anwesenden SVPler. Der Büchi stellt seine Partei auch über das Land: „Es ist sicher vernünftiger, der SVP Geld zu geben als der Steuerverwaltung." Nach dem Büchi-Redeblock waren wir zu erregt, um weiter zu jassen—richtig zittrig gar. Dann kamen die ersten Zwischenresultate.

„Denken Sie schon ans Auswandern?" hat man uns zugerufen. Auch Toupetträger Luzi Stamm wurde zusehends radikaler: „In Uri sagen sie, es gäbe in der Schweiz schon doppelt so viele Mazedonier wie Urner."

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Schön, wenn man Ausländerfeindlichkeit auf die Urner schieben kann. Offen rassistisch wurde aber niemand am SVP-Brunch. Auf den Quoten-Skinhead mit blutunterlaufenen Augen mussten wir bis Mitte Nachmittag warten (Leider wollte er sich nicht fotografieren lassen).

Es gab die widerlichen (nicht „widerlich" wie die Bäckchen von Thomas „Jabba The Hutt" Fuchs) SVPler, die keiften und schrien, weil die Anti-Abtreibungsinitiative nicht durchgekommen ist. Die meisten Exemplare, mit denen wir gesprochen haben, schockierten aber auf andere Weise:

Die Mutter Nadja Zbinden z.B. bringt ihren 13-jährigen Sohn an SVP-Sonntage. Wahrscheinlich hat sie sich gar nicht überlegt, dass er so keine eigene Meinung entwickeln kann. Immerhin hat sie eine fundierte politische Haltung: „Ich bin gegen die EU, weil ich in Italien mal einen Lastwagen voller Tiere—ein Teil war schon tot—gesehen habe. Der Fahrer meinte, es wäre billiger, die Tiere lebend zu transportieren. Da wusste ich, dass die EU böse ist."

Naveen Hostetter, SVPler indischer Abstammung, trug eine Krawatte mit den bekannten schwarzen Schafen. Auf die Frage, ob er denn ein schwarzes oder weisses Schaf sei, antwortete er erst „Sie sehen ja wie ich aussehe", fragte dann aber zurück: „Kennen Sie nur schwarz und weiss? Sehen Sie auf der Krawatte gibt es auch noch rot."

Florian Müller hatte ich noch als JUSO-Mitglied kennengelernt: „Ich war immer eurer Meinung, ausser bei der Armee. Und jetzt habe ich halt meine Meinung geändert. Von der JUSO zur JSVP."

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Ich musste Florian einfach denunzieren. Die anderen JSVPler fanden eine JUSO-Vergangenheit aber ganz okay. Die finden es auch okay, wenn Schweizer bald nicht mehr in ganz Europa reisen und arbeiten können: „Der einzige Nachteil sind Auslandssemester im Studium. Aber man kann ja heute schon ausserhalb der EU studieren."

Obwohl diese und andere SVP-Exemplare unsere Frage nach der historischen Bedeutung der Abstimmung, bejahten—wir konnten es keinem wirklich glauben: Die haben keine Ahnung von der Tragweite dieses Entscheids. Beim Langlauf-Sieg von Dario Cologna hatten die SVPler zehnmal mehr gejubelt, als bei der Verkündigung der Endresultate. Das JA zur Masseneinwanderungsinitiative macht uns mehr fertig als es die SVPler freut! Immerhin hat VICE jetzt die Handynummern von vielen SVP-Nationalräten. Das wird ein Spass.

Benj auf Twitter: @biofrontsau

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland

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Update 06.12.2019 12:00 Uhr: In einer früheren Version dieses Artikels stand eine beleidigende Bemerkung gegen einen Protagonisten, die wir nachträglich entfernt haben.