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Rassismus

Wir haben eine Lehrerin gefragt, wie man Erich Hess bändigen könnte

Erich Hess zeigt sich bezüglich seinem "N****"-Sager uneinsichtig. Der Berner Ratspräsident vergleicht ihn mit einem provozierenden Schüler.
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Collage von VICE Media | Fotos links von Facebook; Foto rechts von Pixabay

Seit wir am Montag berichteten, dass sich SVP-Nationalrat Erich Hess im Berner Stadtrat einen "Neger"-Sager und sexistische Äusserungen aus einer der untersten Schubladen leistete, gingen die Wogen hoch. Politikerkollegen von Erich Hess schilderten, wie dieser sich immer wieder in der Sprache vergreife. Die Juso, die Jungen Grünen und ein Twitter-User kündigten an, ihn wegen seinen Aussagen anzuzeigen. Und der Ratspräsident Christoph Zimmerli, der bei verbalen Entgleisungen für Interventionen zuständig ist, gab sich konsterniert. Er verglich die Situation mit einem Schulbuben, der seinen Lehrer nerven möchte: "Dann sagt er das Wort einfach noch öfters – lächelt dabei manchmal gar genüsslich in meine Richtung", begründete er, wieso er Erich Hess auch rückblickend nicht ermahnen würde, obwohl dessen Aussage komplett daneben sei.

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Nur einer zeigte sich unbeeindruckt vom ganzen Spektakel: Erich Hess selbst. "Für mich ist 'Neger' kein Schimpfwort", liess er die Berner Zeitung wissen. "Neger" komme aus dem Spanischen und bedeute einfach "Schwarzer". In der Schweiz habe man das Wort zudem bis in die 90er Jahre benutzt. Und: "Ich lasse mir doch nicht von den Linken meinen Wortschatz diktieren."

Abgesehen davon, dass die 90er Jahre nun doch schon mindestens 17 Jahre lang Geschichte sind, schildert ein Blick -Kommentator (!), wieso es auch schon damals ein Problem war, jemanden mit dem N-Wort zu betiteln: "Es geht nicht darum, wie dieser Ausdruck für uns erscheint, viel wichtiger ist, was die Betroffenen davon halten! […] Ich kenne keinen Schwarzen, der Freude daran hat, so genannt zu werden!"

Trotz dieser weisen Worte deuten die Erfahrungen seiner Kollegen darauf hin, dass sich der Berner Stadtrat auch in Zukunft mit verbalen Blutgrätschen von Erich Hess herumschlagen muss. In der Hoffnung, Ratspräsident Christoph Zimmerli etwas Kraft und Inspiration für kommende "schulbübische Situationen" geben zu können, habe ich Fabienne Ott angerufen – eine Freundin, die als Lehrerin arbeitet. Sie hat mir erzählt, wie sie mit renitenten Schülern klarkommt.

VICE: Hey Fabienne, wie gehst du mit Schülern um, die bewusst immer wieder mit Regeln brechen?
Fabienne: In den letzten zwei Jahren hatte ich eigentlich keine Schüler, die das bewusst gemacht haben. Regeln in dem Sinne gibt es bei mir auch gar nicht. Ich treffe zusammen mit den Schülern Abmachungen. Ab und an wird natürlich eine Abmachung nicht eingehalten. Am wichtigsten ist es dann, zuzuhören und den Kindern Zeit zu geben, sich zu erklären. Meistens haben sie die Erfahrung gemacht, dass auf einen Fehler eine Moralpredigt folgt. Ich suche dann mit ihnen gemeinsam nach Antworten auf die Fragen: Warum ist das passiert? Und: Was können wir machen, damit das nicht mehr passiert?

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Und das funktioniert immer?
Bei mir schon, ja. Das hat aber auch sehr viel mit Haltung zu tun. Ich sehe mich nicht als Autoritätsperson, sondern finde es wichtig, dass man sich mit den Kindern auf eine Ebene stellt. Auch wenn das viel Mut benötigt. Wenn Kinder merken, dass sie ernst genommen werden, bauen sie Vertrauen auf und du hast quasi eine natürliche Autorität.

Meine Schüler hatten einmal eine Phase, in der sie sich ständig Spitznamen gegeben haben. Wir haben ausgemacht, dass sie das nicht mehr tun, weil's doch zu viel wurde. Zwei der Kinder haben sich nicht daran gehalten und es kam zu einer Prügelei. Ich habe beide Beteiligten ihre Sicht schildern lassen – und beide konnten von sich aus zugeben, dass sie die Situation mitverantwortet haben. Wir konnten also nach vorne schauen und überlegen, wie sowas in Zukunft nicht mehr passiert.

Theoretisch gesehen: Falls es nicht klappt mit dem Gespräch und ein Kind sich wieder und wieder nicht an die Abmachungen hält. Wie würdest du vorgehen?
Meistens kommst du in einen Strudel rein: Das Kind gibt es nicht zu, du möchtest es wissen, es gibt es aber trotzdem nicht zu, und so weiter. Das Kind braucht jemanden, der Sicherheit vermittelt. Und das ist die Lehrperson. Sobald in einem Konflikt das Kind spürt, dass du unsicher bist, hast du verloren. Dann gibst du ihm keine Sicherheit mehr und hast das Ruder nicht mehr in der Hand. In solchen Situationen unterbreche ich und konfrontiere das Kind später nochmals damit. Meistens geht es dann besser. Falls es aber überhaupt nicht funktioniert und das Kind immer wieder mit Abmachungen bricht, muss man weiterdenken: Womit hat es zu tun, dass das Kind dieses Verhalten zeigt? Wie muss ich seine Umgebung gestalten und anpassen, damit dieses Verhalten aufhört?

Ich bestrafe das Kind aber nicht. In der Theorie bestehen ja Belohnungs- und Ampelsysteme, aber die bringen meiner Meinung nach wenig. Ich glaube, man sollte grundsätzlich die eigenen Haltungen und Einstellungen immer wieder reflektieren und sich darüber austauschen. Ich sehe es als Grundlage meiner Arbeit, Situationen zu schaffen, die es den Kindern ermöglichen, Selbstwirksamkeit zu erfahren. Sobald du als Autoritätsperson mit Strafen auftrittst, machst du alles, was du aufgebaut hast, wieder zunichte. Ich möchte den Kindern zu Selbstermächtigung verhelfen. Das ist eine wichtige Grundlage für direkte Demokratie und das ganze System.

Gibt's sonst noch was, was du sagen möchtest?
Manchmal hilft es auch, nicht alles zu ernst zu nehmen. Eine Prise Humor hat schon das eine oder andere Streitgespräch vorzeitig beendet. Folge VICE auf Facebook und Instagram.