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10 Fragen

10 Fragen an einen Späti-Betreiber, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Bei welchem Produkt hast du die größte Gewinnspanne? Dienen Spätis nur zur Geldwäsche? Hast du einen Baseballschläger hinter dem Tresen?
Alles Fotos: Hanko Ye

Sinan hat seine ganze Kindheit in einem Berliner Späti verbracht – diesem rettenden Anker nach Ladenschluss, der in anderen Großstädten Kiosk, Trinkhalle oder Büdchen heißt. Kinder kaufen hier drei Schlümpfe und zwei Center Shocks, Jugendliche das erste Bier und spätestens nach drei Monaten in der ersten Wohnung fragt man am Sonntag beim Verkäufer um die Ecke nach Klopapier. Der 18-jährige Sinan ist das zweitjüngste von 13 Geschwistern. Seit 19 Jahren betreibt seine Familie einen Laden unweit der Hermannstraße in Neukölln. Weil Sinan die Arbeit so liebt, eröffnete er vor einem halben Jahr einen eigenen Späti – auf der anderen Straßenseite. "Bevor ich zehn Jahre alt war, habe ich schon meine erste Schicht im Familien-Späti gehabt", sagt er. "Meine Schwestern machen Abi oder studieren, ich hab meinen Kiosk, das reicht mir." Manche Leute besuchen ihren Lieblingsspäti täglich – und behaupten, dass sie zum Besitzer ein ganz besonderes, beinah freundschaftliches Verhältnis pflegen. Dabei weiß man oft so gut wie nichts über diese Helden der Nacht. Das wollten wir ändern.

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VICE: Wie viel verdienst du?
Sinan: Das sage ich nicht. Aber man verdient gut. Wir sind 13 Geschwister, einige studieren und alle leben vom Laden ganz gut. Und das, obwohl wir auch immer wieder an das Ordnungsamt hohe Strafen zahlen müssen, wenn wir an Sonn- und Feiertagen geöffnet haben. Erst waren es 300 Euro, irgendwann 1.000, dann 3.000 Euro. Ich mache den Laden, aber trotzdem immer wieder auf. Der Sonntag ist der wichtigste Tag in der Woche, da machen wir um die 40 Prozent mehr Gewinn. Deswegen haben viele Besitzer so ihre Tricks. In der Sonnenallee haben manche Spätis Walkie-Talkies und warnen sich gegenseitig, wenn das Ordnungsamt herumfährt. Was war das Seltsamste, das mal jemand bei dir kaufen wollte?
Ich finde es seltsam, dass Leute hier immer auf Toilette gehen oder sich Geld leihen wollen. Am Tag kommen zehn Leute, weil sie auf Klo gehen wollen. Ein Tipp: Ich suche mir die aus, die nett und sauber sind. Wenn so ein Vollgecrackter oder ein Besoffener reinkommt, dann dürfen die nicht. Und es wollen sich immer Leute Geld leihen. Ich habe eine zweiseitige Schuldenliste von Stammkunden. Die meisten bezahlen das, aber drei Leute haben sich seit einem Jahr wegen fünf Euro nicht mehr blicken lassen.

Der Kiez-Späti in der Selchower Strasse in Berlin Neukölln

Was ist das bescheuertste Produkt in deinem Sortiment?
Ich habe Strumpfhosen. Die bieten wir seit Jahren an. Hier im zweiten Stock gab es mal einen Puff. Die Prostituierten sind immer runtergekommen, haben neue Strumpfhosen gekauft und sind dann wieder hoch. Seitdem die weg sind, kauft die keiner mehr, aber wir haben die immer noch. Bei welchem Produkt hast du die größte Gewinnspanne?
Bei Lebensmitteln und Getränken. Wenn ich etwas für einen Euro kaufe, verkaufe ich es für zwei. 100 Prozent Aufschlag ist immer drin bei Lebensmitteln. Auf Zigaretten verdiene ich vielleicht 30 Cent, auf Handyguthaben nur 20 Cent. Aber diese Sachen brauchst du eben im Laden, weil die Kunden dafür kommen – und dann im besten Fall noch ein Getränk oder einen Schokoriegel kaufen. An Silvester haue ich nochmal einige Euros auf die großen Alkohol-Flaschen drauf. Eine Flasche Belvedere-Wodka habe ich für 35 Euro gekauft und am Silvesterabend für 80 verkauft. Auf eine 1,5-Liter-Flasche Jack Daniel's habe ich einfach 130 Euro geschrieben und die Besoffenen haben es mir abgekauft, ohne zu murren.

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Mit wem telefonieren Späti-Besitzer andauernd?
Mit meinen Kumpels, Geschwistern oder wenn mein Vater anruft. Ansonsten kommen die Leute zu mir und hängen hier ab. Ich muss immer hier sein, jeden Tag über zwölf Stunden. Also kommen die Leute zu mir oder ich muss mich irgendwie beschäftigen. Ich gucke mittlerweile türkische Serien, weil ich alle Staffeln von Game of Thrones in einer Woche durchgeschaut habe.

Eine Frau kommt in den Laden. "Pall Mall, 10?", fragt Sinan. Sie nickt. "Wichtig ist, dass du als Späti-Besitzer immer nett bist und weißt, was deine Stammkunden wollen."

Wie schwer ist es, nicht den ganzen Tag Kinderriegel zu essen?
Ich tu das gar nicht mehr. Ich bin schon so lange hier, dass ich auf nichts mehr Bock habe. Aber ich habe meine Kindheit in einem Späti verbracht. Guck mich an: Ich habe in meinem Leben schon viele Kinderriegel gegessen. Ich hatte von meinen zwölf Geschwistern definitiv am meisten.


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Wurdest du schon mal überfallen?
Jeden Abend stehen hier 15 Leute vor der Tür, alles meine Kumpels. Da kommt keiner und überfällt den Laden. Ich wurde auch noch nie überfallen. Mein Onkel stand mal im Laden und wurde von vier Maskierten mit krassen Waffen überfallen, wie er später erzählte. Aber die haben auch nichts geholt, weil er ihnen nichts geben wollte. Er hat ihnen das nicht abgekauft. Die meisten haben keine Eier zu schießen oder nicht mal ein Magazin in der Waffe drin. Mein einziges Überfallszenario war mit einer Weinflasche. Als ich gerade Bier nachgefüllt habe, hat jemand eine Flasche Wein auf mich geworfen. Die Flasche ist neben mir zersprungen. Ich habe einfach mit einer Bierflasche auf ihn zurückgeworfen. Ich habe ihn aber auch nicht getroffen. Das war irgendein Kunde, der mich hasst.

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Hast du einen Baseballschläger hinter dem Tresen, falls jemand mal was klaut?
Nein, so etwas habe ich nicht. Ich habe hier aber ein Foto von meiner Überwachungskamera ausgedruckt und hingehängt. Darauf ist eine alte Dame zu erkennen. Sie klaut hier immer Zeitungen und das Schlimme ist, dass sie es immer wieder schafft. Eine Berliner Morgenpost hat sie schon mitgehen lassen und eine Frankfurter Allgemeine hat sie auch geklaut. Die ist verrückt, die Frau. Dabei ist sie voll die gute Kundin und kauft immer zwei Schachteln Kippen und Bier. Deswegen werde ich sie nicht rausschmeißen oder die Polizei rufen. Statt den Kunden zu verlieren, passe ich einfach mehr auf, dass sie beim nächsten Mal nichts mitnimmt.

Sinan mit seinem Vater in der Tür seines Spätis und das Foto der Zeitungsdiebin

Hast du ein schlechtes Gewissen, wenn du Alkohol an Alkoholiker verkaufst?
Nein, gar nicht. Ich kann nicht meine Kunden wegschicken. Aber manchmal, wenn es richtige Alkis sind und die mir nur ihre Hand mit dem Kleingeld hinstrecken, dann gebe ich ihnen zwar das Bier, aber berechne weniger. Ich selbst trinke kein Bier, sondern Eistee. Davon bestelle ich auch immer mehr. Es sind hier Leute schon umgekippt. Denen habe ich nichts verkauft und sie rausgeschickt. Ich habe hier so zwei Leute, Peter und Mischa. Mischa kommt hier meistens nackt rein, egal ob im Winter oder Sommer. Aber ich bleibe da ruhig, ich kenne ja meine Pappenheimer. Mischa gebe ich ein Pilsator. Eine Stunde später kommt er wieder.

Was stimmt an dem Gerücht, dass Spätis nur zur Geldwäsche dienen und mit Drogen dealen?
Bei mir gibt es so etwas nicht, aber ich kenne schon ein paar Spätis, die Drogen verkaufen. Hier um die Ecke gibt es einen Späti-Besitzer, der hat seinen Laden nur zur Geldwäsche. Vorher hatte er ein Café und macht jetzt einen auf Späti. Dabei eröffnen die meisten für Geldwäsche lieber ein Café statt eines Spätis. Im Café musst du nur Kaffee verkaufen, im Späti bist du den ganzen Tag beschäftigt und musst andauernd schauen, dass die Regale voll sind. Der Geldwäsche-Späti hat auch ein leeres Regal, wo fast keine Zigaretten-Schachteln sind. Das ist immer verdächtig.

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