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Sex

Warum ich mir im Krankenhaus Göttlicher Heiland die Vorhaut entfernen ließ

Juden tun es seit viertausend Jahren, Muslime seit der Begründung des Islam—ich hätte es nie getan, wenn da nicht immer wieder diese Sexunfälle gewesen wären.
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​Wer als erster auf die Idee kam, ist unklar. Die alten ​Ägypter taten es jedenfalls schon vor viereinhalbtausend Jahren (und haben uns dankenswerter Weise sogar ​Bilder davon hinterlassen). ​Juden tun es seit viertausend Jahren, Muslime seit der Begründung des Islam. Eine solide Mehrheit der heute lebenden männlichen US-Amerikaner, Südkoreaner und Einwohner englischsprachiger afrikanischer Länder tat es ebenso wie die allermeisten ​Pornodarsteller, deren Gemächt mein Blick im Laufe meines Lebens unabsichtlich genauer streifte. Und jetzt habe auch ich es getan: Vor drei Wochen ließ ich mir im Krankenhaus Göttlicher Heiland in Hernals die Vorhaut wegschneiden.

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Ich habe ziemlich lange überlegt, ob ich das wirklich tun soll. Im Allgemeinen waren und sind die Motivationen zur männlichen Beschneidung ja ziemlich vielfältig. Die altägyptische Vorstellung, durch das symbolische Abwerfen der Haut meiner „heiligen Schlange" im Jenseits Unsterblichkeit zu erlangen, überzeugte mich jedenfalls nicht vollends. Dass sich Abraham angeblich im Alter von 99 Jahren auf Gottes Kommando hin selbst die Vorhaut abhackte, wäre vielleicht guter Stoff für einen Charlton Heston-Film gewesen, motivierte mich aber ebenfalls kaum zur Nachahmung. Außerdem strebe ich zumindest im Augenblick keine Porno-Karriere an oder hätte einen ästhetischen, hygienischen oder sonstwie gearteten Wunsch nach chirurgischer Veränderung meiner Genitalien verspürt.

Foto: afagen via photopin cc

Ich wäre auch nie zum Arzt gegangen, wären da nicht immer wieder die Sexunfälle gewesen. Dass meine Vorhaut nicht die weiteste war, stellte ich schon im frühen Jugendalter fest. Der tatsächliche Nachteil wurde mir dann beim ersten Sex ohne Kondom schmerzhaft bewusst: In dem Moment, als ich eines Nachts mit rasant sinkender Geilheit und diametral ansteigender Panik feststellte, dass das Blut auf dem Bettlaken nicht von ihr, sondern von mir stammte. VON MEINEM PENIS! Diagnose: ​Vorhauteinriss, der erste.

Schon damals riet mir der Arzt zu einer Beschneidung. Geschüttelt vom fröstelnden Schauder der Vorstellung, jemanden mit einem Skalpell an meinen Schwanz zu lassen, beließ ich es bei antibiotischer Heilsalbe und der Hoffnung auf eine einmalige Episode. Vergeblich. Frauen kamen und gingen, die Salbe blieb. Manchmal ging viele Monate alles gut, und dann durchzuckte mich durch eine Verkettung gewisser ungünstiger Umstände beim Sex plötzlich wieder jenes intensive, aber grundfalsche Gefühl: Schmerz statt Orgasmus. Ich begann über die Jahre, mich mit dem Risiko von Kollateralschäden abzufinden. Wo gehobelt wird, oder so ähnlich.

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Bis ich mit Ende 20 eines Tages völlig verkatert und blutverschmiert auf irgendeiner dreckigen Couch aufwachte, mir zusammenreimte, was passiert sein konnte, und beschloss: Ich muss mein Leben ändern. Radikal. Ich lasse mich beschneiden! Wenige Tage später saß ich bleich im Wartezimmer eines Urologen, zwischen lauter Männern 60+, die vermutlich auf ihren Prostata-Checkup warteten. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was sich nebenan im Behandlungsraum wahrscheinlich gerade abspielte, und vermied jeglichen Blickkontakt. Trotzdem bildete ich mir ein, von allen angestarrt zu werden.

Ich ging lange Gänge voller Kreuze, Heiligenbilder und Darstellungen biblischer Folter-, Todes- und Auferstehungsszenen entlang, meiner Operation entgegen.

Der Arzt, erschreckenderweise nur unwesentlich älter als ich selbst, wechselte gekonnt die vaselineglänzenden Gummihandschuhe, fummelte kurz an mir rum, nickte und verkündete feierlich das Urteil, das ohnehin schon längst gefallen war: Zirkumzision. „Wann gemmas an?" Ich entschied mich für Vollnarkose und Übernachtung mit Frühstück in einem Wiener Krankenhaus. Beschneidung All Inclusive, sozusagen. Nicht, dass ich meine Zeit gerne im Krankenhaus verbringe, aber für Vollnarkose sprach schon einiges: Zum einen wollte ich mir ein Opiat-induziertes Kurzkoma auf Krankenkassenkosten grundsätzlich ungern entgehen lassen. Zum anderen: Wer will schon mit der OP-Schwester smalltalken, während einem am Schwanz herumgeschnitten und -genäht wird?

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Der Tag der Aufnahme ist in meiner Erinnerung etwas nebulös. Ohnehin schon nervös und nun auch zunehmend beunruhigt von der hardcore-katholischen Ausrichtung des Krankenhauses, die mir jetzt erst bewusst wurde, ging ich lange Gänge voller Kreuze, Heiligenbilder und Darstellungen biblischer Folter-, Todes- und Auferstehungsszenen entlang, meiner Operation entgegen. Die Passion Christi als Krankenhaus-Testimonial—bei mir kam das nicht gar so gut an. Ich musste wieder an Abrahams Selbstbeschneidung denken und an den medizinischen Fortschritt der letzten paar tausend Jahre. Und tröstete mich damit, dass Jesus als Jude ja auch beschnitten war und seine Jünger in diesem Krankenhaus schon wissen würden, wie man sowas macht.

Dann ging alles ziemlich schnell. Nachthemd, Bett, Beruhigungspille. Panik, weil die Beruhigungspille nicht zu wirken schien, verständnislose Zimmernachbarn, die sich die Wartezeit zwischen Prostata- und Blasenoperationen in fröhlicher Routine mit Kartenspielen vertrieben und heimlich Schnaps tranken. Noch eine Beruhigungspille. Aufgewacht bin ich dann im OP—genau in dem Moment, als der Anästhesist gerade meine Narkose vorbereitete. „Zählen Sie bis zehn!" Eins.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich schon in meinem Zimmer. Es war also vollbracht. Nach zehn Minuten wagte ich es endlich, die Decke hochzuheben. Zwischen meinen Beinen ein dicker Verband, auf dem sich dunkle Flecken abzeichneten. Was hatte ich getan! Ich blieb liegen und wartete auf den Schmerz. Stattdessen kam Harndrang. Als mir klar wurde, dass pissen gehen gleichbedeutend mit Verband abnehmen war, verwarf ich den Gedanken daran gleich wieder. Und verfluchte mich die nächsten zwei Stunden lang dafür, damals auf der Uni nicht diesen kostenlosen Beckenbodentrainingskurs belegt zu haben. Als nichts mehr half, kam die Schwester.

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In den folgenden zwei Wochen wurde mir zum ersten Mal in meinem Leben schmerzhaft bewusst, wie oft ich in 24 Stunden einen Ständer bekomme.

„Na, wollen wir mal nachschauen?" Sie interpretierte mein Gestammel als Zustimmung und legte gleich Hand an. Bei ihrem Ausruf: „Sieht doch gut aus!", überkam mich Mitleid. Was musste diese junge Frau in ihrem Arbeitsalltag schon alles gesehen haben, um diesen Anblick positiv zu bewerten! Vor uns, oder besser gesagt zwischen uns, lag mein fast bis zur Unkenntlichkeit angeschwollener Penis, schattiert in allen Farben des Regenbogens. Die abstehenden Nähte anstelle der Vorhaut sahen aus, als wären sie der Fantasie Mary Shelleys entsprungen. Ich wankte aufs Klo, hinterließ dort eine Sauerei aus Blut und Pisse, und wartete wieder auf den Schmerz. Er kam nicht.

Die nächsten Tage verbrachte ich zuhause. Ich hatte mich vorher mit einigen beschnittenen Männern unterhalten und mich im Internet informiert, unter anderem über den Blog eines Typen, der nach seiner Beschneidung 200 Tage lang täglich Fotos von seinem Schwanz gepostet hat. Wer schaut sich sowas an, fragt man sich. Ich wette aber, verdammt viele Leute. Überall riet man dazu, ein paar Tage auf Hosen zu verzichten. Das tat ich auch, und eigentlich war alles halb so schlimm: Ich hatte keinerlei Schmerzen, die Schwellungen und Blutergüsse gingen schnell zurück und meine Eichel gewöhnte sich täglich mehr an ihre neuen Outdoor-Abenteuer. Alles bestens, wären nicht die Erektionen gewesen …

Solange sich die Nähte nicht aufgelöst haben, „Erektionen vermeiden", sagte mir der Arzt. Also bis zu drei Wochen kein Sex und nicht onanieren. Als ich in der ersten Nacht mit dem Gefühl hochschreckte, jemand hätte mir die Schwanzspitze abgebissen und Salz drauf geschüttet, wusste ich, warum. Ständer mit frischer Wunde und engen Nähten sind einfach richtig scheiße. Aber nicht, dass mein Körper die Geilheit in dieser Notsituation irgendwie selbst reguliert hätte: In den folgenden zwei Wochen wurde mir zum ersten Mal in meinem Leben schmerzhaft bewusst, wie oft ich in 24 Stunden einen Ständer bekomme. Zum Glück habe ich mich nicht schon mit 16 beschneiden lassen.

Nach zweieinhalb Wochen wurde es mir zu blöd. Ich griff zu Nagelschere und Pinzette, dachte an Free Willy und sprengte die Ketten. Als die letzten Nähte draußen waren, verheilten auch die Nahtstellen schnell, und das Ganze sieht jetzt richtig gut aus. Alles funktioniert so, wie es soll, und die Sex-Verletzungen (zumindest an der Vorhaut) sind Geschichte. Happy Ending!